«90 Minuten dem Ball nachzurennen ist einfacher, als diese Rede zu halten»

 

Sandro Burki, der Captain des FC Aarau hielt am Freitagmorgen die Zofinger Kinderfestrede. Wir haben sie im Wortlaut.

Liebe Kinder, liebe Jugendliche, liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Eltern und Familienmitglieder, geschätzte Behörden und liebe Gäste des Kinderfestes Zofingen!

Es ist mir eine grosse Ehre heute hier zu sein. Ich bin Zofinger, im Mühlethal aufgewachsen und war selber drei Mal am Kinderfest mit dabei. (Beim letzten Mal sogar als Fähnrich, wo es mir nach einem spektakulären Kampf auf dem «Heitere» gelang, unsere Fahne erfolgreich zu verteidigen.) Deshalb war ich unglaublich stolz, als ich angefragt wurde, heute zu Euch zu sprechen.

Kurz zu meiner Person: ich bin Sandro Burki, 31 Jahre alt und wohne mittlerweile mit meiner Frau und unseren beiden Kindern in Würenlos. Ich bin von Beruf Fussballspieler und spiele seit nun 11 Jahren beim FC Aarau; seit einigen Jahren bin ich Captain der Mannschaft.

Ich weiss genau was für ein spezieller Tag dies heute für Euch ist; nicht nur, weil heute die Sommerferien beginnen – darauf habe ich mich immer am meisten gefreut – sondern natürlich auch wegen des grossen Festes. Man sieht überall glückliche, zufriedene, hübsche und stolze Mädchen und Jungs.

Ihr könnt mir glauben, ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, was ich Euch heute erzählen will. Für die Jungen ein paar lustige Witze? Leider nicht ganz passend… Für die Älteren ein paar Geschichten aus den Trainingslagern? Leider nicht ganz jugendfrei – und auch nichts für die Kirche.

Als ich in eurem Alter war, habe ich mich meist gelangweilt bei solchen Ansprachen. Aber es gab auch ein paar Ausnahmen, bei denen etwas hängen geblieben ist. Ich hoffe, bei Euch bleibt heute ebenfalls ein bisschen etwas hängen, und zwar im positiven Sinne.

Ich habe in meiner Karriere vor fast 40’000 Zuschauern in Basel und vor 60’000 Zuschauern in der Champions-League-Quali in Belgrad gespielt. Heute spreche ich vor rund 1000 Kindern, aber es fällt mir viel schwerer, als die Spiele dazumal. Ihr könnt mir glauben: 90 Minuten einem Ball nachzurennen ist sehr viel einfacher, als die Zofinger Kinderfestrede zu halten.

Und weil Fussballspielen nach wie vor das ist, was ich mitunter am besten kann, will ich Euch heute etwas über meinen Weg zum Profifussballer erzählen. Ich möchte Euch damit Mut machen, an Eure Stärken zu glauben, auch wenn Ihr nicht immer perfekt seid und auch wenn Ihr nicht immer in ein bestimmtes Schema passt. Ich habe auch nicht immer den gängigen Erwartungen entsprochen und musste gegen die damit verbundenen Vorurteile immer stark ankämpfen.

Seit meinem 6. Lebensjahr habe ich praktisch immer nur Fussball gespielt; nebenbei habe ich noch die Schule im Mühlethal und später in Zofingen besucht. Am Anfang war es nur der Spass am Fussball; ich habe einfach immer gespielt oder trainiert. An jedem Wochenende, an jedem freien Tag, zu jeder freien Minute. Immer an meiner Seite war mein Vater, er hat mich trainiert und gefördert.

Es ist übrigens das erste Mal seit 11 Jahren das ich wieder in dieser Kirche bin, das letzte Mal als ich hier war wurde mein Vater beerdigt, auch deswegen ist dies heute ein spezieller Moment für mich.

Als ich die Sek in Zofingen besuchte, zeichnete sich langsam ab, dass es etwas werden könnte mit dem Fussball. Aber das war nicht so einfach, die Leute haben immer wieder gesagt, lerne doch was «Richtiges». Fussballprofi werden zu wollen, war zu wenig normal. Aber ich hatte nur ein Ziel, und das war Profifussballer zu werden. Ich passte nicht in das Schema das man gerne sieht.

Mein damaliger Lehrer, Brandon Schumacher, war der Erste der mich dabei voll unterstützt hat. Er hatte keine Ahnung ob ich talentiert bin, hat mich nie spielen sehen und trotzdem hat er hat sich dafür eingesetzt, dass ich nicht jede Schulstunde besuchen musste und dadurch mehr trainieren konnte. Noch heute bin ich ihm sehr dankbar dafür.

In der Sek lief es nicht schlecht, dafür aber im Fussball umso besser. Ich wechselte vom FC Oftringen zum FC Aarau. Ich war kein schlechter Schüler, aber ein wenig Minimalist.

Mein Weg ging über den FC Basel, dann zum FC Zürich – dort habe ich das erste Mal in der damaligen NLA gespielt – und von Zürich weiter zu Bayern München.

Ich war 16 Jahre alt und spielte bei Bayern München; dies erfüllte mich natürlich mit unglaublich viel Stolz, es war aber gleichzeitig auch extrem schwierig für mich. Mit 16 Jahren alleine in München zu leben, weit weg von Freunden und Familie, war eine grosse Herausforderung.

Bis dahin ging meine Karriere immer nur steil nach oben. Vor dem Wechsel zu Bayern wurden wir mit der U-17-Nationalmannschaft Europameister. Bei Bayern konnte ich die Vorbereitung zur Meisterschaft mit der ersten Mannschaft bestreiten. Plötzlich auf dem Platz zu stehen unter dem Training von Ottmar Hitzfeld, mit Weltstarts wie Oliver Kahn, Giovanni Elber, Philipp Lahm oder Bastian Schweinsteiger fühlte sich an wie ein Traum, der Wirklichkeit geworden war, und ich konnte alles gar nicht richtig glauben.

Im Fussballgeschäft geht es aber genauso schnell nach Oben wie auch nach Unten. Es kamen schon bald auch andere Zeiten. Ich kam nach zwei Jahren zurück in die Schweiz und spielte bei YB. Am Anfang war noch alles gut. Doch plötzlich war ich nur noch zweite Wahl und musste auf der Ersatzbank Platz nehmen.

Da habe ich das erste Mal an mir gezweifelt. Und habe mich gefragt: Bin ich nicht gut genug? Soll ich aufhören? Wie weiter? Warum wird nicht mehr auf mich gesetzt?

Nach einem Transfer zu Vaduz führte mein Weg zurück nach Aarau. Ich habe mich noch nie so sehr über einen Wechsel gefreut. Ich war wieder Zuhause! In der Nähe meiner Familie und bei meinen Freunden.

Aber auch hier gab es zwei Seiten, auf der einen Seite, das schöne Gefühl wieder zuhause zu sein und auf der anderen Seite mein schwer kranker Vater. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass Fussball nicht alles ist, was im Leben zählt. Das Problem war, dass ich mich nicht mehr auf den Fussball konzentrieren konnte. Siege und Niederlagen waren mir vollkommen egal. Ich war in einem tiefen Loch und mir fehlte die Motivation für meine grosse Leidenschaft.

Durch die Hilfe meiner Familie – welche mich immer bedingungslos unterstützt hat – und durch den Beistand und den Rückhalt meines damaligen Trainers René Weiler lernte ich die Dinge wieder richtig einzuschätzen und lernte ab diesem Zeitpunkt mit Tiefschlägen und Schicksalsschlägen umzugehen.

Nun spiele ich seit 11 Jahren beim FC Aarau und die nächste Saison wird sehr wahrscheinlich meine Letzte als Profifussballer sein.

Ich habe in meiner Zeit als Fussballspieler unglaublich viel erlebt. Sehr viel Positives: ich wurde U-17 Europameister, habe in der Schweizer Nationalmannschaft gespielt und bin mit dem FC Aarau aufgestiegen. Erlebnisse welche ich nie vergessen werde!

Erfolg mit einem Team zu haben, ist das Schönste was man erlebt kann. Dieses Gefühl, wenn du nach einer langen Saison oder einem harten Turnier den Pokal in die Höhe stemmen kannst, ist unbezahlbar. Wenn du siehst, wieviele Leute du mit deinem Job glücklich machen kannst, entschädigt dich das für viele harte Trainings oder Schläge, die du auf dem Platz einstecken musst.

Aber genauso unvergesslich sind all die Menschen, welche ich auf diesem Weg kennenlernen durfte. Ich habe mit Spielern aus der ganzen Welt zusammengespielt. Verschiedene Mentalitäten und Religionen, andere Sprachen, neue Kulturen; aber auf dem Platz sind sie alle gleich.

Es hatte wirklich verrückte Typen darunter mit denen ich viel erlebt habe… aber leider seid Ihr noch etwas zu jung für all diese Geschichten.

Auch zahlreiche Niederschläge und Niederlagen werden mir in Erinnerung bleiben. Als Fussballer erlebst Du in kurzer Zeit extrem viele Emotionen. An einem Wochenende jubeln Dir die Leute nach einem Sieg zu und loben Dich in den Himmel, ein Spiel später wirst Du nach einer Niederlage beschimpft und beleidigt.

Ich habe in meinem Leben gelernt aufzustehen. Es läuft nie alles perfekt, aber das Wichtigste ist stets das Positive zu sehen und nach vorne zu schauen.

Wenn Ihr in den letzten Tage Eure Zeugnisse erhalten habt und sie besser hätten sein können, dann seid nicht allzu traurig. Geht Euren Weg, glaubt an Euch, denn jeder hat seine Stärken.

Vielleicht müsst Ihr ein Schuljahr wiederholen; nicht den Kopf hängen lassen, schaut nach vorne. Vielleicht habt Ihr noch keine Lehrstelle, dann lasst Euch nicht entmutigen!

Und die Schüler, welche auf ein gutes Schuljahr zurückschauen können: macht weiter so, bleibt nie stehen und ruht Euch nicht auf Eurem Erfolg aus!

Was ich Euch heute mitgeben will ist, dass Fehler und Niederlagen zum Leben dazugehören. Wichtig ist nur, dass man daraus lernt und immer weiter macht. Seht das Gute im Leben, aber verschliesst nicht die Augen vor dem Schlechten, sondern lernt damit umzugehen!

Schaut gut zu Euren Freunden und zu Eurer Familie und begegnet all Euren Mitmenschen mit dem nötigen Respekt; egal woher sie kommen, wie sie aussehen, woran sie glauben oder welche Sprache sie sprechen.

Zum Schluss möchte ich Euch noch ein grosses Kompliment für die schönen Lieder machen. Bravo!

Ich wünsche Euch allen ein schönes Kinderfest; geniesst es!

(Sandro Burki)