
Cannabis: Der Bund macht Dampf
Der Bund drückt aufs Gaspedal: Gesundheitsminister Alain Berset hat gestern einen Gesetzesartikel vorgestellt, der den Schweizer Städten Cannabis-Pilotversuche ermöglichen soll. Kiffen ist in der Schweiz zwar seit 1951 grundsätzlich verboten. Trotzdem wird nach Herzenslust Cannabis geraucht. 200000 Schweizer greifen regelmässig zum Joint, und diese Zahl ist seit Jahren stabil. Das stellt gerade die Städte vor Probleme, die mit Dealern und einem florierenden Schwarzmarkt zu kämpfen haben.
Seit einiger Zeit spielt man deshalb in verschiedenen Schweizer Zentren mit dem Gedanken, einen geregelten Cannabis-Verkauf zu testen. Das ist etwa in Genf, Zürich, Basel, Luzern oder St. Gallen der Fall. Am weitesten ist Bern. Stadt und Universität wandten sich letztes Jahr an den Bund. Das Ziel: eine Ausnahmebewilligung vom Bundesamt für Gesundheit (BAG), um im Rahmen einer Studie Cannabis in Apotheken an erwachsene Konsumenten verkaufen zu dürfen. Die Ergebnisse sollten als wissenschaftliche Grundlage dienen, um den künftigen Umgang mit Cannabis zu diskutieren. Allerdings liefen die Berner beim BAG auf. Eine Bewilligung der Studie sei nicht möglich, weil die rechtliche Grundlage fehle.
Das will der Bundesrat nun mit einem sogenannten Experimentierartikel ändern. Gesundheitsminister Berset sprach von «wichtigen Fragen», welche die Städte klären wollten. Dies sei aber mit der heutigen Rechtslage nicht möglich. Berset betonte, dass der Experimentierartikel «enge Grenzen» setze. So sollen die Pilotversuche höchstens fünf Jahre dauern. Interessierte Städte und Gemeinden müssen ein Gesuch an das BAG richten. Teilnehmen dürfen nur volljährige Personen, die bereits Cannabis konsumieren. Die gesundheitlichen Auswirkungen müssen im Rahmen des Pilotversuchs überwacht werden. Die Vernehmlassung zum Experimentierartikel läuft bis im Oktober. Alain Berset sagte, der Bundesrat wolle der Schweiz eine «strukturierte Debatte zum Umgang mit Cannabis ermöglichen».
Die bundesrätliche Offensive kommt zu einem brisanten Zeitpunkt. Denn das Parlament hat sich zuletzt ebenfalls mit der Schaffung eines Experimentierartikels befasst. Und während der Ständerat sich hinter das Anliegen stellte, hat der Nationalrat widersprüchliche Signale gesandt. Zwar unterzeichneten dort 102 Vertreter – und damit eine Mehrheit der grossen Kammer – vier gleichlautende Motionen zum Thema. In der Sommersession scheiterte der Experimentierartikel dann aber im Nationalrat knapp, weil einige Befürworter gefehlt und andere ihre Meinung geändert hatten. Durch ist das Thema indes nicht, über weitere Vorstösse wird bald befunden. CVP-Nationalrat Christian Lohr (TG) kritisiert, dass der Bundesrat nun dennoch das Zepter in die Hand nimmt: «Ich finde, er nimmt mit seinem Vorgehen das Parlament nicht ernst.»
Ins gleiche Horn stösst die SVP-Nationalrätin Verena Herzog. Sie warnt zudem vor einer «Salami-Taktik» des Bundesrats, die eine vollständige Legalisierung zum Ziel habe. Diese wäre in ihren Augen völlig unverantwortlich. Die Thurgauerin fordert stattdessen «zielgerichtete Repression und eine Präventionsoffensive». Bundesrat Alain Berset bekräftigte gestern derweil, dass der Experimentierartikel wissenschaftliche Studien ermöglichen soll. Am Cannabis-Verbot ändere sich damit aber nichts.
Hinter die Pläne des Bundesrats stellt sich die FDP-Sozialpolitikerin Regine Sauter. Das heutige Verbot, sagte die Zürcherin, bestehe «den Reality-Check nicht». Deshalb brauche es andere Lösungen. «Es ist ein guter Ansatz, eine regulierte Abgabe an Erwachsene in einem Versuch zu testen», sagt die Nationalrätin. Auch in der Hauptstadt ist man erfreut. Man sei froh, wenn es nun zügig vorwärtsgehe, sagte die Berner Sozialdirektorin Franziska Teuscher.