
Die Raumplanungsverordnung von 2013 will es so: Ohne Rhabarbern keine Pferde

Lange schwarze Bahnen ziehen sich in geraden Linien durch das Feld beim Vitenhof hinter dem Stadtbach in Zofingen und heben sich dezent vom dunklen Braun des Bodens dazwischen ab. In einem regelmässigen Zickzack können innerhalb der schwarzen Bahnen kleine, wellig gekrauste, grüne Blätter ausgemacht werden. Einem scharfen Auge fällt hie und da ein roter Stängel auf.
Neben dem Feld an der Hottigergasse stehen Pferdestallungen, auf dem Boden sind die Umrisse ehemaliger Gebäude sichtbar. «Hier mussten wir einiges zurückbauen», sagt René Schindler. In den 90er Jahren musste der klassische landwirtschaftliche Betrieb umstrukturiert werden – seit 1998 beherbergte die Familie Schindler an der Hottigergasse immer zwischen 10 und 15 Pensionspferde.
Gar seit 1975 hielt die Familie von Ursula Hunziker, René Schindlers Ehefrau, Pferde auf ihrem Hof – dem Lochhof im Mühlethal – und bot seit jeher auch Reitunterricht an. «Seit der Raumplanungsverordnung von 2013 sind reine Pferdebetriebe in der Landwirtschaftszone in unserer Grösse nicht mehr erlaubt», erklärt Ursula Hunziker. Gemeinsam mit der Beratungsstelle «agriexpert» des Bauernverbandes wurde nach Lösungen gesucht und die beiden Betriebe Vitenhof und Lochhof zusammengeführt. Denn in ihrer bestehenden Form wurden sie als illegal , respektive «nicht zonenkonform», erklärt.
Für 1 SAK sind rund 53 erwachsene Pferde nötig
Als Berechnungsgrundlage dient in der Landwirtschaft die Standardarbeitskraft (SAK). Damit wird die Grösse eines Betriebes anhand standardisierter Faktoren, die auf Arbeitsaufwand basieren, ermittelt. Reine Pferdebetriebe müssen mindestens 1 SAK aufweisen, damit sie als landwirtschaftliches Gewerbe und nicht nur als landwirtschaftlicher Betrieb gelten – eine Voraussetzung, um beispielsweise einen Reitplatz bauen zu dürfen. An der Hottigergasse gab es bereits einen Reitplatz, den Schindler zusammen mit anderen Bauten zurückbauen musste, als er den Betrieb übernahm, da dieser nicht die Betriebsgrösse von 1 SAK erreichte. «Vorher schien das niemanden zu interessieren», sagt Schindler. Auch nach der Zusammenführung der beiden Betriebe reichte es nicht aus, um auf 1 SAK zu gelangen. Um die Grösse eines landwirtschaftlichen Gewerbes zu erreichen, wären als reiner Pferdebetrieb rund 53 Pferde nötig.
Unmöglich für den Zofinger und die Mühlethalerin. «Nach einigem Hin und Her – und für uns klar willkürlichen Entscheiden des Kantons – war für uns klar, dass wir eine Spezialkultur ansetzen, um so die nötige Grösse zu erreichen», erklärt René Schindler. Hätten sie ihren Betrieb eingestellt, wäre etwa der Rückbau einer Reithalle im Mühlethal nötig gewesen, weil eine Umnutzung in der aktuellen Zone unmöglich ist. Als Spezialkultur tat sich schliesslich Rhabarber hervor. «Erdbeeren sind arbeitsintensiv und wir haben bereits sehr gute Produzenten in der Region», so Schindler.
Rhabarbern brauchen von Anfang April bis Ende Juni intensive Pflege und werden in diesem Zeitraum auch geerntet. Dazwischen können sie in Ruhe gelassen werden. Durch die Anbauweise mit Gras – das dort wachsen wird, wo jetzt noch braune Erde liegt – wird zudem eine Unkrautbekämpfung kaum nötig sein. Auch rhabarbereigene Krankheiten gebe es keine, höchstens Mehltau. Die perfekte Pflanze für die beiden: «Es kann ja nicht sein, dass wir jemanden anstellen müssen, um nach den Pferden zu sehen, damit wir uns um die Pflanzen kümmern, die wir nur haben, um überhaupt Pferde halten zu können», sagt Ursula Hunziker. Sie fügt an: «Letztendlich ist unser Ziel, den seit Jahrzehnten laufenden Betrieb weiterzuführen.»
Erste Teilernte wird nächstes Jahr erwartet
Die 5000 Rhabarber-Jungpflanzen aus Schweizer Produktion setzten sie zusammen mit 35 freiwilligen Helfern am Ostermontag. «Ohne die freiwillige Unterstützung von Freunden und Familie wäre weder die Pflanzaktion noch der Rückbau an der Hottigergasse oder der Stallumbau im Mühlethal möglich gewesen», so Hunziker.
Die erste kleine Teilernte soll bereits nächstes Jahr erfolgen. Somit sind die beiden auf einen Schlag die grössten Rhabarberproduzenten der Region. Sind die Pflanzen erst einmal ausgewachsen, fällt ein Ertrag zwischen 15 und 20 Tonnen pro Jahr an. «Rund ein Viertel soll als Selfpicking zur Verfügung stehen, der grösste Teil geht an regionale Hofläden und den umliegenden Detailhandel, ein kleiner Rest an die Industrie», erklärt René Schindler. «Wir scheinen damit einen Nerv getroffen zu haben: Überall, wo wir für Partnerschaften anfragen, ist das Interesse enorm.»
Nachdem Ursula Hunziker in den Skiferien im letzten Jahr die Idee mit den Rhabarbern hatte, haben die beiden gemerkt, wo es überall Rhabarberprodukte gibt. «Ein Trend sind scheinbar Cocktails mit Rhabarbersirup», so Hunziker. Sollten sich die ersten positiven Erfahrungen bestätigen, besteht auch die Möglichkeit, auszubauen. Zwischen zwei aktuellen Bahnen könnte noch jeweils eine weitere geschaffen werden. Da eine Rhabarberpflanze in der Regel 10 Jahre Ertrag abwirft, könnte die Bepflanzung im Rotationsprinzip erneuert werden. «Nun freuen wir uns aber erst einmal auf die erste Ernte», so Schindler. Seit die erforderliche Grösse von 1 SAK des Betriebs erreicht ist, ziehen die beiden den Wiederaufbau der an der Hottigergasse eben erst zurückgebauten Gebäude in Erwägung. «Sollten wir mit den Rhabarbern immerhin etwas Erfolg haben, würde es uns für die ganzen Umtriebe und die Ärgernisse entschädigen», sagt Ursula Hunziker.