Zu Besuch bei Rivella in Rothrist – wo nicht einmal der CEO das Rezept des Getränkes kennt

Jedes Kind in der Schweiz kennt Rivella, doch die Rezeptur, nach der das Nationalgetränk seit 1952 gefertigt wird, bleibt eines der bestgehüteten Geheimnisse des Landes. Selbst CEO Erland Brügger gehört nicht zu den Auserwählten.

 
Rivella-CEO Erland Brügger.

Rivella-CEO Erland Brügger.

Britta Gut
«Ich bin Geschäftsleiter und nicht der, der neue Getränke kreiert oder sie abmischt. Dafür habe ich idealerweise Leute um mich, die das besser können als ich»,

sagt Brügger gelassen. Er hat auch schon für andere Unternehmen in der Lebensmittelindustrie gearbeitet, unter anderem für Wander (Ovomaltine) oder Unilever (Magnum, Ben & Jerry’s, Knorr etc.). Da habe er zum Teil Rezepte gekannt, einen Unterschied habe es nicht gemacht.

Rivella gehört zu den bekanntesten Marken der Schweiz. Je nach Umfrage geben zwischen 90 und 95 Prozent der Befragten an, sie zu kennen. Viele wissen auch, dass Milch irgendwie Bestandteil ist. Aber schon da endet das Wissen meist. Nun, Basis von Rivella ist Molke, die Restflüssigkeit, die bei der Käseproduktion anfällt. Entzieht man ihr Eiweisse und Fette, bleibt eine klare Flüssigkeit, das sogenannte Milchserum zurück. Es enthält Milchzucker, Mineralstoffe und Vitamine und macht je nach Rivella-Sorte zwischen 25 und 35 Prozent des Getränkes aus.

In diesen Tanks lagert der Grundstoff von Rivella. Die Rezeptur dafür kennt nur eine Handvoll Leute. CEO Erland Brügger kennt sie nicht.

In diesen Tanks lagert der Grundstoff von Rivella. Die Rezeptur dafür kennt nur eine Handvoll Leute. CEO Erland Brügger kennt sie nicht.

Britta Gut

Die Idee, Molke als Basis eines Softdrinks zu verwenden, entstand aus der Not, das heisst sie wurde durch die Zuckerknappheit nach dem zweiten Weltkrieg begünstigt. Der Grundstoff mit der geheimen Mischung aus Kräuter- sowie Fruchtextrakten ist es, der dem Getränk sein typisch bernsteinfarbenes Kolorit gibt. Vermischt mit Wasser, Zuckersirup und Kohlensäure entsteht daraus Rivella Rot.

Rivella Rot ist auch heute noch der Verkaufsschlager, wie man an den riesigen Harassenbergen mit Leergut sieht.

Rivella Rot ist auch heute noch der Verkaufsschlager, wie man an den riesigen Harassenbergen mit Leergut sieht.

Britta Gut

Nach Monaten der coronabedingten Verschlossenheit können wir einen Rundgang durch die Produktion in Rothrist machen. Schon zwei Jahre nach der Gründung in Stäfa ZH durch Robert Barth im Jahr 1952 zog Rivella hierher, an die Grenze der Kantone Aargau, Solothurn und Bern, in unmittelbarer Nähe der A1.

Die Autobahn ist nicht der Hauptgrund, dass Rivella in Rothrist produziert

Doch die Autobahn war kein Argument für den Umzug, erst 1956 reichte der Automobilclub der Schweiz eine Volksinitiative zur Verbesserung des Strassennetzes ein und schlug den Bau einer West-Ost-Verbindung vor. Erst 1967 wurde mit das Teilstück Oensingen-Hunzenschwil fertiggestellt und damit der Anschluss von Rothrist an die Autobahn garantiert.

In einem riesigen Lager werden die Flaschen zwischengelagert, ehe sie via Lastwagen in die ganze Schweiz ausgeliefert werden.

In einem riesigen Lager werden die Flaschen zwischengelagert, ehe sie via Lastwagen in die ganze Schweiz ausgeliefert werden.

Britta Gut

Die verkehrstechnisch zentrale Lage half trotzdem beim Standortentscheid, auch wenn der Autobahnanschluss erst Ende der 60er-Jahre realisiert wurde. Mindestens genauso wichtig war jedoch die Trinkwasserqualität. Zwei unterirdische Grundwasserströme queren die Gegend – und so geheim die Rezeptur auch ist, Wasser ist ohne Zweifel der Hauptbestandteil von Rivella. Bei einem Absatz von rund 100 Millionen Litern (Getränke aller Marken, die zu Rivella gehören und das im In- und Ausland) selbst im Corona-Jahr wird schnell klar, welche Mengen an Wasser das Familienunternehmen hier Tag für Tag aus dem Boden pumpt.

Trotz Corona hat Rivella 2020 rund 100 Millionen Liter Softdrinks verkauft.

Trotz Corona hat Rivella 2020 rund 100 Millionen Liter Softdrinks verkauft.

Britta Gut

Das Virus hat das vergangene Jahr geprägt, der Umsatz ist von 140 auf 125 Millionen Franken gefallen (-10,8%). «Wir sind normalerweise dort, wo sich viele Menschen treffen, an Events und Grossveranstaltungen, vor allem auch dort, wo Sport getrieben wird. Das war während Corona alles nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich», sagt Brügger. Hinzu kamen geschlossene Restaurants und Home Office.

«Die Menschen waren weniger unterwegs, das hat den Konsum verändert»,

so Brügger. Wie, das hat er falsch eingeschätzt, wie er unumwunden zugibt. Er habe damit gerechnet, dass mehr Halbliter-Flaschen konsumiert würden. Aus Hygienegründen, damit jeder seine eigene Flasche hat. «Letztlich waren es aber die Anderthalb-Liter-Flaschen, die besser liefen, weil die Leute daheim blieben und arbeiteten», erklärt Brügger.

Die Rivella-Essenz wird unter strengster Geheimhaltung produziert

Schon beim Betreten des Produktionsgebäudes wird klar: Es gibt Bereiche, die der Öffentlichkeit konsequent vorenthalten bleiben. Da, wo täglich das Milchserum aufbereitet und mit Kräuter- und Fruchtextrakten zur Rivella-Basis verarbeitet wird, kommt niemand rein. Das wird in einem separaten Gebäude durch eine Schwestergesellschaft der Rivella AG gemacht. Durch Leitungen wird die Rivella-Essenz in grosse Tanks gepumpt, wo die geheimnisumwobene Flüssigkeit gelagert wird. Der Raum mit den Tanks ist gekühlt, das Neonlicht spiegelt sich auf den silbernen Aussenhüllen. Es riecht nach… Ja, wonach? «Rivella», sagt Medienchefin Monika Christener, die uns durch den Betrieb führt.

Auch Michel-Fruchtsäfte werden in Rothrist gemischt, abgefüllt, etikettiert und verpackt.

Auch Michel-Fruchtsäfte werden in Rothrist gemischt, abgefüllt, etikettiert und verpackt.

Britta Gut

Flasche um Flasche rast an uns vorbei. Viele Maschinen, wenige Menschen, alles hoch automatisiert. Bis zu 30’000 Liter Rivella werden in Rothrist pro Stunde abgefüllt. Aber eines wird auch schnell klar bei diesem Besuch: Rivella ist mehr als Rivella. Zur Gruppe gehören neben Tochtergesellschaften auch Marken wie Michel (Fruchtsäfte), Passaia (Softdrink aus Passionsfruchtsaft), Urs (Apéro-Getränk aus fermentierter Limette und Wermut) oder seit Neuestem auch die Trend-Marke Focuswater.

Ein Dschungel von Förderbändern, Flaschen und Fachleuten: Die Produktion in Rothrist ist organisch gewachsen.

Ein Dschungel von Förderbändern, Flaschen und Fachleuten: Die Produktion in Rothrist ist organisch gewachsen.

Britta Gut

Rivella ist organisch gewachsen, genauso die Produktionsanlage. Im Erdgeschoss befinden sich neben der Getränkeaufbereitung mit den Tanks auch die Lager für Verpackungsmaterial und die auslieferbereiten Paletten mit frisch produzierter Ware. Auch gebrauchte Harassen und Flaschen aus der Gastronomie werden hier sortiert (oft kommen in den Harassen auch Glasflaschen anderer Produzenten zu Rivella und umgekehrt), gewaschen und wieder aufbereitet. Zudem ist die Anlage eines Flaschen-Lieferanten (PET) direkt in die Räumlichkeiten von Rivella integriert.

Die Flaschenrohlinge werden in die jeweiligen Flaschenformen geblasen, hier demonstriert anhand einer 1,5-Liter-Flasche Rivella.

Die Flaschenrohlinge werden in die jeweiligen Flaschenformen geblasen, hier demonstriert anhand einer 1,5-Liter-Flasche Rivella.

Britta Gut

Abgefüllt und etikettiert werden die Flaschen im 2. Stock. Hier kommt man nur mit Haube, Maske und Überziehmantel rein. Die Hände werden erst gewaschen, dann desinfiziert. Sauberkeit ist oberste Pflicht. Abgefüllt werden die unterschiedlichen Produkte unter Reinraum-Bedingungen, da setzt kein Mensch seinen Fuss rein. Auf drei Linien wird abgefüllt, einmal Glasflaschen, zwei Mal PET-Flaschen.

An solchen Bildschirmen wird die Produktion von Rivella gesteuert.

An solchen Bildschirmen wird die Produktion von Rivella gesteuert.

Britta Gut
So sehen die Flaschen-Rohlinge aus.

So sehen die Flaschen-Rohlinge aus.

Britta Gut

Vor dem Bildschirm treffen wir Samuel Flückiger, Leiter Supply Chain (innerbetriebliche Lieferkette) mit einem seiner Kollegen. Er lacht, als wir ihn auf das Alter der Anlage ansprechen, weil alles so modern wirkt. Diese sei fast zwanzig Jahre alt. «Darum ist sie auch viel grösser als unsere neue PET-Abfüllanlage», sagt er. Die steht knapp 50 Meter entfernt und ist seit 2016 in Betrieb. Die PET-Flaschenproduktion ist da gleich integriert und wird nicht mehr von einer externen Firma gemacht. Es rattert, zischt und rumort. Das Auge kommt kaum mit, so schnell werden hier Rohlinge zu Flaschen geblasen, gekühlt, gefüllt und etikettiert.

 

Noch etwas fällt auf beim Gespräch mit Flückiger, später auch mit CEO Brügger. Bei Rivella sind sie alle per Du, vom Chef bis zum Gabelstapelfahrer. Es ist ein kleines Puzzle-Teil, das dazu beigetragen hat, dass Rivella im Frühling 2021 von der Handelszeitung zum besten Arbeitgeber 2021 der Schweiz ausgezeichnet wurde. Die Gründe für die Auszeichnung sind mannigfaltig. Wichtig sei sicher die Unternehmenskultur bei Rivella, das familiäre Verhältnis, sagt Brügger. Der Rivella-CEO betont:

«Wer hier arbeitet kommt nicht wegen dem Geld allein, bei einer Bank verdient man sicherlich mehr. Aber ich glaube, wir haben sinnstiftende Arbeit und man wird hier als Mensch wahr- und ernstgenommen.
Lesen Sie auch das Interview mit Rivella-CEO Erland Brügger