
Verkehrsplaner zur Zofinger Begegnungszone: «Autofahrer sind mit Dreifach-Schildern überfordert»
Rolf Steiner (1955) ist Geograph und Verkehrsplaner. Bevor er vor 20 Jahren die verkehrsteiner AG in Bern gründete, war er für die Gemeinde Köniz tätig. Die verkehrsteiner AG unterstützt Private und Behörden bei der Bearbeitung von verkehrsplanerischen Fragen und von Mobilitätslösungen. «Wir erheben und analysieren das Verkehrsgeschehen mit unterschiedlichster Methoden und liefern Grundlagen für die weitere Planung», sagt Rolf Steiner. «Eine unserer Kernkompetenz ist die videobasierten Verkehrsanalyse.» Die verkehrssteiner AG hat bereits diverse Begegnungszonen in der Schweiz mit Gutachten und Analysen begleitet, unter anderem den Bundesplatz in Bern.
Herr Steiner, was sind die Herausforderungen bei der Einführung einer Begegnungszone, besonders in einer historischen Altstadt wie Zofingen?
Rolf Steiner: Primär sollte die Situation für sich sprechen. Ich muss als Autofahrer merken, dass ich durch das Wohnzimmer der Stadt fahre. Es ist richtig, dass man die Strassen nicht mit riesigen Interventionen verunstaltet, wenn man schon so eine schöne historische Altstadt hat. Ich verstehe also einerseits, wenn man hier bei der Gestaltung einer Begegnungszone zurückhaltend ist und nicht die ganze Stadt in einen Verkehrsgarten verwandelt. Nun sind sich die Leute anderseits an das bisherige Regime gewohnt. Es ist sicher so, dass der eine oder andere die Signalisationen übersieht. Wenn wir im Verkehr unterwegs sind, achten wir nicht unbedingt immer auf sämtliche Tafeln, wir schauen auf den Verkehr und was auf der Strasse passiert.
Offenbar passiert das auch in Zofingen.
Wenn ich die Situationen anschaue, kann ich mir durchaus vorstellen, dass der eine oder andere die Schilder übersieht. Dass Leute, die eher selten in die Stadt kommen, längere Zeit brauchen, bis sie merken, dass ein neues Regime gilt. Deshalb ist vorgesehen, dass man die Geschwindigkeitsbegrenzung, die ja besonders wichtig ist, auf den Boden malen darf. Das macht man in Altstädten mit Bsetzisteinen nicht so gerne. Es ist trotzdem wertvoll, wenn man das genug häufig wiederholt, damit der Autofahrer die Botschaft wirklich mitnimmt. Es empfiehlt sich zudem, weitergehende Kampagnen zu machen.
Zum Beispiel?
Man kann beispielsweise vor den Signalen zusätzlich am Anfang Plakattafeln aufstellen, die auf das neue Geschwindigkeitsregime hinweisen. Oder man macht Flyer, die man in den Läden und Geschäften auflegt. Diese machen unserer Erfahrung nach gerne mit, weil die Betreiber ein Interesse haben, dass ihre Kunden keine Bussen kassieren, wenn sie in die Begegnungszone fahren. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, bei einer wesentlichen Änderung des Verkehrsregimes dieses kommunikativ intensiv zu begleiten. Hier ist man oft zurückhaltend – das ist schade.
Die Einführung einer Begegnungszone ist eine wesentliche Änderung.
Ja. Begegnungszone heisst: Die ganze Altstadt ist ein einziger Fussgängerstreifen. Manchem Velo- und Autofahrer ist nicht bewusst, was das heisst. Das haben wir bei unseren Videoanalysen, bei denen wir Konflikt- und Unfallstellen untersuchen, immer wieder gesehen. An Orten, wo sich der Fahrverkehr die Durchfahrt gewohnt ist, funktioniert das Vortrittsrecht für Fussgänger nicht auf Anhieb. Deshalb macht es Sinn, dass man das neue Regime den Fahrzeuglenkern immer wieder ins Bewusstsein ruft. Da können auch die Medien eine Rolle spielen. Dass man immer wieder sagt: Die ganze Stadt ist ein Fussgängerstreifen, Fussgänger haben immer und überall Vortritt, als Fahrzeuglenker ist dieser Vortritt zu gewähren. In Zofingen könnten mehr Bodenmarkierungen und Informationskampagnen diesbezüglich sicher hilfreich sein.
In Zofingen gibt es Tafeln mit drei Signalen drauf: Eines signalisiert die Begegnungszone, eines das Parkregime, das dritte das nächtliche Fahrverbot für Töffs. Ist das nicht verwirrend?
Es ist heikel, wenn man drei Botschaften auf eine Tafel packt. Rechtlich ist es in Ordnung; man darf drei Signale auf einer Tafel vereinen. Aber es nicht unbedingt opportun, weil man damit die Autofahrer überfordert. Besser wäre, die Botschaften hintereinander zu haben. Das Fahrverbot für Töffs gleich am Anfang, damit diese gar nicht erst hineinfahren. Das Parkregime dort, wo die Parkplätze sind, das Zone-20-Signal prominent dort, wo die Begegnungszone beginnt. Ich verstehe den Entscheid, drei Signale auf eine Tafel zu packen: Man will die Stadt nicht verunstalten. Als Autofahrer hat man aber Mühe, alles miteinander wahrzunehmen.
Sind Altstädte für Begegnungszonen geeignet?
Ja, sie sind prädestiniert dafür, gerade so eine schöne Altstadt wie Zofingen. Es ist fast ein Muss, dass jede Altstadt als Begegnungszone oder als Fussgängerzone deklariert wird; der Verkehr soll ganz klar nicht dominant sein. Im Gegensatz zur Fussgängerzone hat die Begegnungszone den Vorteil, dass sie den motorisierten Verkehr zulässt. In kleineren Städten macht es durchaus Sinn, dass man noch hineinfahren kann – trotzdem ist es richtig, dass man Fussgängern den Vortritt gibt. Wer mit dem Auto in die Altstadt zum Einkaufen fährt, ist ja nach dem Aussteigen auch Fussgänger. Eine Begegnungszone ist im Interesse aller. Man kann nach wie vor einkaufen, hat aber als Fussgänger viel Komfort, das steigert die Attraktivität der Altstadt. Wenn Sie draussen sitzen, sind Sie froh, wenn Ihnen die Autos nicht mit 30 km/h oder noch schneller um die Ohren fahren, sondern gemächlich an Ihnen vorbeirollen.
Wäre es zu empfehlen, die Eingänge künstlich zu verengen oder mit Rampen zu versehen? So, dass eine Torwirkung entsteht?
Grundsätzlich ist eine Torwirkung wichtig, damit einem bei der Einfahrt in die Begegnungszone klar wird, was gilt. In neuen Überbauungen kann man die Strassen relativ hemmungslos markieren, in Altstädten ist man hier zurückhaltender, was ich verstehe. Man kann aber beispielsweise dort, wo es möglich ist, das Signal Begegnungszone in die Fahrbahn stellen – damit es von den Autofahrern nicht mehr übersehen werden kann.
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Fakten zur Begegnungszone
Die Altstadt Zofingen ist seit dem 17. April eine Begegnungszone. Fahrzeuglenker dürfen nicht schneller als 20 km/h fahren. Fussgänger haben immer und überall Vortritt. Am 5. August führte die Regionalpolizei in der Hinteren Hauptgasse eine Geschwindigkeitskontrolle durch. 104 Autos waren zu schnell unterwegs – offenbar hatten viele das neue Regime noch nicht zur Kenntnis genommen. Es kam zu einer «geringen Anzahl» Anzeigen, wie die Repol mitteilt – wie viele genau, will sie aus Datenschutzgründen nicht kommunizieren. Im September wurden zusätzliche Bodenmarkierungen angebracht, um die Autolenkerinnen und -lenker auf die neu geltende Höchstgeschwindigkeit aufmerksam zu machen. Stadtrat Andreas Rüegger hat diese Woche gegenüber dem ZT angekündigt, dass eine Plakatkampagne sowie eine Flyeraktion geplant sind, um auf die neuen Regeln aufmerksam zu machen. (pp)