Vor 40 Jahren lag die Zofinger Stadtkirche in Trümmern 

Von einem «Traurigen Unterbruch der Zofinger Stadtkirchenrestaurierung» sprach denn auch Josef Mäder in seinem ganzseitigen Artikel im «Zofinger Tagblatt» von 10. April 1981. Denn in Zofingen stand man damals mitten in einem aufwendigen Restaurationsprozess der Stadtkirche. Erste Vorbereitungen für die Renovation waren von der Kirchenpflege der Reformierten Kirchgemeinde bereits 1969 getroffen worden, im Januar 1970 trat die verantwortliche Baukommission mit dem beauftragten Architekten Alfred Schwab (Zofingen) erstmals zusammen.

Nach langer Planungszeit waren schliesslich zehn Jahre Bauzeit – 1976 bis 1986 – nötig, um das Werk in drei Bauetappen mit Gesamtkosten von knapp neuneinhalb Millionen Franken zu einem guten Ende zu führen. Unterbrochen von der Nacht des 8. April 1981, die «vielen Zofingern, insbesondere jedoch dem Architekten, in ewiger, beklemmender Erinnerung» bleiben dürfte, wie Architekt Alfred Schwab in seinem im Zofinger Neujahrsblatt 1988 veröffentlichten Restaurierungsbericht festhielt.

Glaubte zuerst an einen Scherz

Lebhaft präsent sind die Erinnerungen an die Unglücksnacht vor vierzig Jahren auch dem späteren Kirchensigristen Hans Wildi, damals noch Mitarbeiter des Zofinger Stadtbauamts. Etwa um 23.30 Uhr sei er vom Alarm der Stadtpolizei Zofingen aus dem Bett geholt worden, erinnert sich der 75-jährige Wildi. Am Telefon Peter Straumann, der ihm den Auftrag erteilt habe, im Werkhof sofort das gesamte verfügbare Absperrmaterial auf den VW Pick-up zu laden und dann in die Stadt zu fahren – die Stadtkirche sei eingestürzt. Er habe zuerst an einen Scherz geglaubt und Straumann geantwortet: «Peter, verzell doch nid so en Seich. Du spinnsch jo.» Schnell sei ihm aber klar geworden, dass von einem Scherz keine Rede sein könne. Zusammen mit Martin Keller, dem damaligen Chef des Zofinger Stadtbauamts, habe er den Pick-up beladen und sei Richtung Stadt gefahren. Er erinnere sich noch, dass die in der Bahnhofstrasse parkierten Autos mit einer dicken, sicher vier Zentimeter hohen Staubschicht überzogen gewesen seien. Dann seien sie Richtung Kirchplatz gefahren, wo Polizei und Feuerwehr bereits präsent waren. «Der Anblick der Kirche mit der klaffenden Lücke im Dach war ein gewaltiger Schock», führt Hans Wildi aus, dem die Stadtkirche in seiner 20-jährigen Sigristentätigkeit richtiggehend ans Herz gewachsen ist, «auf dem Kirchplatz hat es ausgesehen wie nach einem Grossbrand».

Der Raum um die Stadtkirche wurde sofort abgesperrt, die Polizei platzierte die in der Nähe parkierten Autos um und schliesslich mussten in der gleichen Nacht auch noch die auf dem Kirchplatz gestellten Marktstände für den Monatsmarkt auf den Thutplatz gezügelt werden. Es dürfte etwa vier Uhr morgens gewesen sein, bis diese Arbeiten erledigt waren, erinnert sich Hans Wildi.

Ein surrealer Anblick

Bereits am nächsten Tag, dem Donnerstag, 9. April 1981, wurde zu einer Pressekonferenz eingeladen. Dutzende Journalisten aus der ganzen Schweiz strömten nach Zofingen. Als Journalist des Badener Tagblatts – damals gab es im Aargau noch fünf unabhängige Tageszeitungen – nahm auch der heutige ZT-Redaktor Beat Kirchhofer den Pressetermin wahr. «Das Bild, das sich den Zeitungsleuten bot, war surreal. Den Weg zur Kirche säumten die Verkaufsstände des Monatsmarkts, als sei nichts geschehen – im Hintergrund ein Kirchenschiff in Trümmern. Ein unter Schock stehender Architekt versicherte, er habe die Dachkonstruktion durch einen Fachmann überprüfen lassen. Der habe festgestellt, dass sich das im 16. Jahrhundert errichtete Gebälk eines ausgezeichneten Zustands erfreue. Auch ein ‹Initialimpuls› – starker Wind oder Erdstösse – könne ausgeschlossen werden. Pfarrer und Baukommissionspräsident Rudolf Weber dankte an der Presseorientierung Gott: Wäre das Dach am Nachmittag eingestürzt, hätte es zwölf Bauarbeiter unter sich begraben.»

Rekonstruktion in minutiöser Kleinarbeit

Von Staatsanwaltschaft und Bezirksamt Zofingen wurde in der Folge eine Untersuchung eingeleitet, die die Ursachen des Dacheinsturzes klären sollte. Es ging dabei insbesondere um die Frage, ob bei den Restaurierungsarbeiten anerkannte Regeln der Baukunde verletzt worden waren oder der Einsturz allenfalls auf einen Sabotageakt zurückzuführen sei. Zur Klärung dieser Fragen wurden der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei sowie der Erkennungsdienst der Kantonspolizei Aargau hinzugezogen – die technischen Aufklärungen wurden Hans Altdorfer, dipl. Bauingenieur ETH/SIA/ASIC (Zürich) übertragen.

Die Trümmer wurden sorgfältig schichtweise abgetragen und erkenntnisträchtige Holztragwerkpartien auf dem Kirchplatz wieder zusammengestellt, Tragsysteme aufgrund aller verfügbaren Unterlagen rekonstruiert und der Kräfteverlauf in den Hauptkonstruktionen mittels Computermodellen nachgebildet.

Reparaturarbeiten von 1935 ausschlaggebend für Einsturz

In seinem Bericht kam der beauftragte Experte zur Erkenntnis, dass vor allem die bereits im Jahr 1935 ausgeführten Reparaturarbeiten ausschlaggebend für den Einsturz waren. Damals waren – anscheinend im Bestreben die Stuckdecken zu erhalten – angefaulte Dachträger der Dachstühle über dem Mittelschiff nicht ausgewechselt, sondern mit sehr gewagten Zusatzkonstruktionen abgefangen, beziehungsweise überbrückt worden. Kam hinzu, dass diese Reparaturmassnahmen von 1935 weder einsehbar noch in irgendeinem Bericht dokumentiert worden waren.

Aufgrund der Schadensbilder kam der Experte deshalb zum Schluss, dass einer oder mehrere Horizontalträger dieser jahrzehntelangen Mehrbelastung nicht standzuhalten vermochte und in der Unglücksnacht durchbrach.

Latente Einsturzgefahr bestand über Jahrzehnte

Das Expertengutachten kam zum Schluss, dass es sich beim Einsturz mit Sicherheit um ein Naturereignis gehandelt habe. Die laufenden Restaurierungsarbeiten seien mit grosser Sorgfalt und viel Fachwissen durch den Architekten Alfred Schwab durchgeführt worden und es könne mit Sicherheit menschliches Versagen oder ein Verstoss gegen die Regeln der Baukunst ausgeschlossen werden. Unverständlich seien die 1935 erfolgten Änderungen an der Tragkonstruktion gewesen, deren Problematik anscheinend nicht erkannt worden war. Am 9. Februar 1983, also beinahe zwei Jahre nach der Unglücksnacht, wurde das Verfahren gegen den Architekten eingestellt und die Untersuchungskosten dem Staat überbunden.

Mit aller Deutlichkeit wies der Expertenbericht abschliessend darauf hin, dass schon lange vor Beginn der neusten Restaurierungsarbeiten 1976 eine dauernde, latente Einsturzgefahr bestanden hatte. «Ja, Zofingen hat damals riesiges Glück im Unglück gehabt», betont Hans Wildi. «Stellen Sie sich vor, wenn das Dach während eines Kinderfest-Gottesdienstes eingestürzt wäre.»