Bau- und Nutzungsordnung: Wer nicht aktiv mitgestaltet, wird gestaltet

Immer mehr Menschen leben in der Region auf knappem Raum. Damit auch weiterhin die Wohnqualität stimmt, setzte der Einwohnerrat Zofingen 2019 in seiner Revision der Bau- und Nutzungsordnung (BNO) auf Verdichtung. Nein, nicht durch Näherrü­cken, sondern durch Häuser, die höher sind als die heute üblichen – dies in einem neuen Wohnviertel auf dem Areal der Swissprinters AG.

Die geplanten Neubauten, in welchen rund 240 Wohnungen realisiert werden sollen, variieren in ihren Firsthöhen zwischen 17 und 38 Metern. Genau das löste bei einem Teil der Bürgerinnen und Bürger zusätzliche Ängste aus. Entsteht hier ein Manhattan im Bonsai-Stil? Ein Referendum wurde ergriffen und scheiterte im Oktober 2019 an der Urne. Klar war damit die Sache nicht: Die Abstimmungsbeschwerde einer Einzelperson stoppte im Dezember 2019 das Inkraftsetzen der Zofinger Bau- und Nutzungsordnung.

Die Argumente waren so dünn wie jene von Donald Trump

Um was es dem Beschwerdeführer wirklich ging, blieb genauso unbekannt wie seine Identität. Er begründete seinen Schachzug mit «Unregelmässigkeiten im Vorfeld der Abstimmung», was arg an die aktuellen juristischen Winkelzüge eines Donald Trump erinnert.

Eng verknüpft mit der BNO ist ein Vorfall, der bei den Anwohnerinnen und Anwohner der ehemaligen Ringier-Villa an der Oberen Rebbergstrasse im Februar 2020 Entsetzen auslöste: Der heutige Eigentümer des 7025 Quadratmeter (das ist die Dimension eines Fussballfelds) grossen Grundstücks hatte im Hinblick auf den Bau von 30 Eigentumswohnungen eine Baumfällaktion durchführen lassen – völlig legal. Weder der Park noch einzelne Bäume standen unter Schutz.

Peter Siegrist, im Stadtrat für den Bereich Natur zuständig, bedauerte im Februar, dass die neue BNO wegen einer Abstimmungsbeschwerde noch nicht in Kraft ist. «Mit ihr hätte der Erhalt der Bäume im Gestaltungsplanverfahren umfassend geprüft und damit auch die vorzeitige Fällaktion verhindert werden können».

«Was hier geschah, verdient den Namen Frevel»

Bei Michael Wacker, Präsident der SP Sektion Zofingen, Einwohnerrat und von Beruf Gartenbautechniker – sowie neu Stadtratskandidat seiner Partei – löste der fehlende Schutz Wut aus. «Was hier geschah, ist ein Frevel», sagte er im Februar. Im September nahm er sich in einer «Volksmotion» des Themas an und verlangte in seinem Vorstoss eine Überarbeitung der BNO. Mit dieser sollen schutzwürdige Objekte definiert und deren kommunaler Schutz geregelt werden – eigentlich eine Aufgabe, die jede Gemeinde in ihrer Bau- und Nutzungsordnung lösen müsste.

Bauvorschriften sind in der Stadt Zofingen ein heikles Thema

«Volksmotion»? Wie heikel in Zofingen Fragen rund um Bauvorschriften sind, hat die BNO-Revision 2019 überdeutlich gezeigt. Entsprechend demokratisch breit hat Wacker seine Motion abgestützt. Zum einen haben mehrere Einwohnerratskolleginnen und -kollegen über die Parteigrenzen hinweg den Vorstoss mitunterzeichnet. Zum anderen hat sich Wacker an Paragraph 8 der Gemeindeordnung erinnert. Dieser legitimiert Bürgerinnen und Bürger, dem Einwohnerrat eine Motion zu unterbreiten. Darauf gestützt hat Wacker sein Anliegen zur «Volksmotion» mit mehr als 100 Unterschriften gemacht.

Um was geht es konkret? Um den Umstand, dass eine Aufnahme schützenswerter Gebäude, Brunnen, Gärten und Anlagen, Alleen oder auch markanter Einzelbäume in ein rechtsverbindliches kommunales BNO-Inventar noch immer nicht erfolgt ist.

Diese Aufgabe wurde bei den Revisionen 2012 und 2019 ausgeklammert. Weshalb? Im Oktober schrieb der Stadtrat zu den Forderungen der Motion: Er sei sich seiner Pendenz bewusst. Das entsprechende BNO-Revisionspaket habe er aus Ressourcengründen zurückstellen müssen – und erklärt dies unter anderem mit den Erfahrungen, die man bei der BNO-Revision 2009 beim Thema Schutzobjekte gemacht hatte. Damals hätten sich die betroffenen Grundeigentümer mit «breitem Widerstand» gegen die vorgeschlagenen Regelungen zur Wehr gesetzt. Der gesamten BNO-Revision drohte eine massive Verzögerung oder gar ein Scheitern. Die aktuelle Revision sei deshalb in vier Pakete unterteilt worden. Das erste mit dem Titel Qualitätssicherung ist inzwischen unter Dach und Fach – der Beschwerdeführer ist auch vor Bundesgericht gescheitert. In Paket 2 gehe es um die «Harmonisierung der Baubegriffe» und für das dritte Dossier sind Bestimmungen rund um Gewässerräume geplant. Nicht vor 2022 die Etappe mit der Unterschutzstellung von Kulturobjekten.

Und bis dahin? Da gebe es eine alternative Schutzkonzeption, so der Stadtrat. Bei dieser werde über den Umfang des Schutzes von inventarisierten Objekten nicht mehr im Voraus und losgelöst von konkreten Bauvorhaben entschieden, sondern erst auf Ersuchen der Grundeigentümer – oder von Amtes wegen. Man kläre, was konkret schützenswert ist und wo umgebaut oder abgerissen werden kann. So entstehe für ein bestimmtes Objekt eine massgeschneiderte Schutzverfügung. So weit, so gut.

Die Angst der Menschen vor Veränderungen

Was auch dieses Konzept nicht löst, ist die Furcht vieler Menschen vor Veränderung. Mit Bezug auf die Revision der Zofinger BNO ging es um Widersprüche und Ängste. Vernunft war angesagt, als die Stimmberechtigten Ja zum neuen Raumplanungsgesetz des Bundes gesagt haben. Dessen zentrales Ziel ist es, angesichts eines in den nächsten Jahrzehnten ungebremsten Bevölkerungswachstums dafür zu sorgen, dass unsere Landschaften – unter ihnen das Wiggertal – nicht mit einem Siedlungsbrei überzogen und zu Siedlungsbändern werden. Oder anders ausgedrückt: Wer politisch nicht konstruktiv mitgestalten will, dessen Umwelt wird (gegen seinen Willen) gestaltet. Dazu gehört, sich aktiv in den Meinungsbildungsprozess einzubringen und demokratisch unbestritten auch Referenden zu ergreifen.

Problematisch sind anonym ergriffene Abstimmungsbeschwerden, denen Hand und Fuss fehlt. Hier gibt es jedoch einen Lichtblick: Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen und – noch wichtiger – festgehalten, dass die Namen von Beschwerdeführerinnen und -führern in Stimmrechtsangelegenheiten keine «geheime Staatssache» sind, sondern die Öffentlichkeit ein Anrecht hat, diese zu kennen.