
Wynau: Der letzte professionelle Brunnenkresse-Produzent in Mitteleuropa
Kein Verkauf in der Brunnmatt
Brunnenkresse wird in der Brunnmatt nicht direkt verkauft. Sie ist in der Schweiz in vielen Bioläden und Reformhäusern sowie in Hofläden (z. B. im Kreuzplatzhof Boningen) erhältlich. Brunnenkresse-Produkte werden von drei Mitarbeiterinnen der BrunnBachKresse GmbH in Eigenregie hergestellt. Die Angebote sind auf der Website www.wagelade.ch einsehbar.
Gegensätze, die nicht grösser sein könnten. Auf der östlichen Seite der Bahnlinie Olten–Bern liegt das Gugelmann-Areal, das der Discounter Lidl als neues Verteilzentrum umnutzen wollte. Teer so weit das Auge reicht. Auf der westlichen Seite hingegen sieht das ganz anders aus. «Ein ökologisch ungemein wertvolles Gebiet», betont der Agronom und Umweltingenieur Werner Stirnimann. Und mittendrin liegen die Produktionsbecken für die Brunnenkresse, die zusammengerechnet einen Kilometer lang sind und rund 0,3 Hektaren des fast 12 Hektaren grossen Areals in der Brunnmatt im Grenzgebiet von Wynau und Roggwil belegen. Seit Anfang August letzten Jahres ist Werner Stirnimann für die Brunnenkresse-Kulturen verantwortlicher Betriebsleiter der BrunnBachKresse GmbH. Nicht nur wegen Corona hatte Stirnimann mit seinem siebenköpfigen Team grosse Herausforderungen zu meistern.
Der Lockdown und der Meerrettich-Blattkäfer
Rund 60 Prozent der Brunnenkresse aus der Brunnmatte werden als Salat in den Gastronomiebereich abgesetzt. «Mit dem Lockdown fiel dieser ganze Bereich von einem Tag auf den anderen als Abnehmer weg», blickt Werner Stirnimann zurück. Die Kresse konnte zwar – allerdings zu preislich deutlich weniger interessanten Konditionen – abgesetzt werden. Und zwar nach Colmar, wo die A. Vogel AG mit Sitz im thurgauischen Roggwil ihr unter dem Namen «Herbamare» bekanntes «Meersalz mit Gemüse und Kräutern» abfüllt.
Zudem hatte sich der Meerrettich-Blattkäfer in den Brunnenkresse-Kulturen in der Brunnmatte bis 2019 sehr stark vermehrt. Der Käfer dürfte einer der Profiteure der Klimaerwärmung sein, vermutet Werner Stirnimann. Er habe sich früher zweimal pro Jahr fortgepflanzt, dank den wärmeren Temperaturen könne er sich vielleicht vier- bis fünfmal jährlich fortpflanzen.
Bekämpfung der Käfer ist sehr aufwendig
Die konsequente Bekämpfung des Käfers sei äusserst arbeitsintensiv gewesen, gibt Stirni- mann zu verstehen. «Becken fluten, Käfer abwischen und abfischen – und das Hunderte von Stunden lang.» Zudem habe man rund um die Becken kleine Wassergräben ausgehoben, damit sich die Käferlarven nicht mehr in der unmittelbaren Umgebung der Brunnenkresse-Kulturen verpuppen konnten. Der Aufwand hat sich gelohnt, die Population des Meerrettich-Blattkäfers ist auf einen winzigen Anteil des einstigen Bestands geschrumpft. «Es macht wieder Freude», betont Werner Stirnimann.
Grosse Freude mache nun – nach vielen Wechseln in der Startphase – auch die Arbeit im Team. «Wir sind ingesamt acht Leute, die sich abwechseln und gut ergänzen und dabei erst noch sehr flexibel sind», bemerkt der Betriebsleiter sichtlich zufrieden.
Brunnenkresse kann ganzjährig geerntet werden
Da in der Zwischenzeit alles gut eingespielt ist, reichen meist zwei bis fünf Personen für die Bewältigung des Tagespensums. In Fischerstiefeln stehen die stellvertrende Betriebsleiterin Silvia Merz, Elisabeth Affentranger und Matthias Berchtold im Wasser und sind konzentriert daran, Brunnenkresse zu ernten. Mittels Rasenscheren wird der Superfood knapp über der Wasseroberfläche geschnitten und in Körben zwischengelagert.
«Jetzt wächst die Kresse schon deutlich langsamer, weil die Sonneneinstrahlung zurückgeht», erklärt Werner Stirnimann. Brunnenkresse kann aber – mit Ausnahme der Blütezeit im Juli und August – ganzjährig geerntet werden, im tiefen Winter allerdings nur in Kleinmengen.
Quellwasser-Aufstoss ist zurückgegangen
Dann sind wir im Quellgebiet angelangt. «Es ist wichtig, dass die Brunnenkresse-Kulturen ständig mit Frischwasser versorgt werden», betont Stirnimann. Ein Absperrgitter rund um das Einflussrohr hindert den Biber daran, dieses zu verstopfen. Auch der Biber beschäftigt den Betriebsleiter bei seinen regelmässigen Kontrollgängen. «Ich muss jeweils schauen, dass uns der Biber mit seiner Arbeit die Wasserzufuhr nicht unterbindet – das könnte einen gewaltigen Schaden verursachen.»
Heute seien noch 26 Wasserbecken in Betrieb, zu Gründerzeiten seien es in der Brunnmatt 66 gewesen. Das hänge einerseits damit zusammen, dass der Quellwasser-Aufstoss zurückgegangen sei, andererseits sei auch die Nachfrage gesunken. «Die Brunnenkresse spürt die Konkurrenz von importierten Wintersalaten», sagt Stirnimann. Eigentlich schade, denn der Brunnenkresse werden viele gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben. So wurde die Brunnenkresse in einer an der William Paterson University im US-amerikanischen Bundesstaat New Jersey erarbeiteten Studie zum Superfood Nummer 1 ernannt.
Sediment-Spezialist und Wassermann
Als wir auf dem Rückweg an einem abgeernteten Becken vorbeikommen, begibt sich Stirni- mann ins Wasser. «Hier müssen die Sedimente wieder ausgleichend verteilt werden, damit die Pflanze gleichmässig wachsen kann», gibt er zu verstehen und demonstriert gleich, wie das geht. Etwas später stoppt Stirni- mann seinen Gang schon wieder. «Hier läuft zu wenig Wasser ins Becken, das kann man hören», sagt er und tatsächlich fischt «der Wassermann» einige Blätter vom Einflussrohr weg. Und schon rauscht es wieder stärker.
«Es handelt sich bei den Brunnenkresse-Kulturen eigentlich um ein System von künstlich angelegten Bächen, deren Wasserzufuhr auf einfachste Art manuell geregelt werden muss», erklärt Werner Stirnimann. Es brauche viel «Gspüri» für Pflanze, Wasserregulierung, Sedimente. Und der Anbau erfordere eine ständige Wetterbeobachtung.
In der Brunnmatt wird seit über 100 Jahren angebaut
Angebaut wird die Brunnenkresse in der Brunnmatt seit mehr als 100 Jahren. Mit der Pensionierung des Besitzer-Ehepaars Mathias und Ingrid Motzet ging 2018 in der Brunnmatt eine Ära zu Ende, die drei Generationen überdauert hatte und von Mathias Motzets Grossvater 1905 begründet worden war. Dank dem Engagement der Stiftung Wasserland Oberaargau und von Pro Natura konnte eine Nachfolgeregelung erarbeitet und in der Brunnmatt weiterhin Brunnenkresse produziert werden. «Wir sind sehr froh darüber, dass wir die Stiftung im Rücken hatten», gibt Werner Stirnimann abschliessend zu verstehen, «denn nur dank ihr besteht die BrunnBachKresse im Krisenjahr 2020 weiter.»
