
Entdeckt sie eine Rehgeiss mit Kitz, hüpft ihr Herz
Die Fahrt von Vordemwald nach Brittnau führt durch eine liebliche Landschaft entlang dem Wilibach. Weite Felder wechseln sich ab mit Waldpartien, einzelne Höfe und kleine Weiler prägen das idyllische Landschaftsbild. Hier scheint es keine Hektik zu geben – auch der Graureiher lässt sich bei der Nahrungssuche nicht vom vorbeifahrenden Auto stören. Dann ist das Ziel erreicht: Die Rossweid, Teil der «äusseren Gemeinde» von Brittnau. Hier, wo sie mit drei Geschwistern und zwei Halbbrüdern aufgewachsen ist, wohnt Katharina Bertschinger. Die 56-Jährige ist nicht nur eine begeisterte Jägerin, sondern auch Jagdaufseherin im Revier des Jagdvereins Brittnau.
Die Begeisterung für das Jagdwesen wurde Katharina Bertschinger schon von klein auf mitgegeben. «Mein Grossvater hat gejagt, mein Vater hat gejagt, ein Bruder jagt, mein Mann jagt – und meinen Vater durfte ich oft bei der Jagd begleiten», führt die gelernte Herrenschneiderin aus, die heute als Atelierleiterin beim Pfaffnauer Atelier Büttiker AG für die Fertigung von Uniformen, Trachten, Folklorebekleidung und Spezialanfertigungen verantwortlich ist.
Obwohl das Jagen also quasi in der Familie lag: Erst mit 38 Jahren hat sich Katharina Bertschinger für den zweijährigen Lehrgang angemeldet. «Eigentlich wollte ich die Jagdprüfung schon viel früher machen, aber damals war man in Jägerkreisen gegenüber Frauen noch zurückhaltender», führt die Jägerin ebenso zurückhaltend aus.
Die Frauen holen auf – wenn auch auf einem tiefen Niveau
Dass die Frauen in der ehemals typischen Männerdomäne Jagd am Aufholen sind, bestätigt ein Blick in die Statistik. Die vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) erhobenen Zahlen zeigen, dass die Zahl der Jagenden in der Schweiz allgemein am Sinken ist. Gab es 2010 noch fast 31 000 Jägerinnen und Jäger, so waren es im vergangenen Jahr noch 28 389, also fast zehn Prozent weniger. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es weniger Jäger gab. Denn die Frauen haben aufgeholt – auf tiefem Niveau allerdings.
Wies die Statistik 2014 – seit dann unterscheidet das BAFU bei den Jagenden nach Geschlechtern – erst 355 Jägerinnen aus (Anteil 1 Prozent), so waren es 2019 bereits 1003 Jägerinnen (4 Prozent aller Jagenden). Dass sich dieser Trend in Zukunft eher verstärken wird, lässt sich am Frauenanteil bei den Jungjägern ablesen. Jede Siebte – in Zahlen 118 von 781 Jungjägern oder 15 Prozent – war im vergangenen Jahr eine Jungjägerin.
«Die Ausbildung zur Jägerin war äusserst aufwendig, aber auch höchst interessant», blickt Katharina Bertschinger zurück. Die Jagdschule habe sich über zwei Jahre erstreckt, eines davon sei ein Jagdlehrjahr in Strengelbach gewesen. Inhaltliche Themen der Ausbildung seien unter anderem Wildbiologie, Jagdpraxis, Brauchtum, Waffenkunde, Wildbret-Hygiene oder Jagdrecht gewesen. Zudem seien auch der sichere Umgang mit der Waffe sowie die Schiessfertigkeit trainiert worden. Angehende Jägerinnen und Jäger müssten in ihrem Jagdlehrjahr auch Waldpflege-Arbeiten erledigen. Rund 140 Stunden habe sie im Rahmen ihrer Ausbildung aufgewendet, um Tannen vor Rehverbiss zu schützen, erinnert sich Katharina Bertschinger.
Das Erleben der Natur fasziniert sie
Einen ansehnlichen Teil ihrer Freizeit verbringt Katharina Bertschinger im Wald. «Allein schon die vier Jahreszeiten im Wald erleben zu dürfen, ist für mich etwas vom Grossartigsten, das es gibt», sagt die Jagdaufseherin. Sie sitze gerne auf dem Hochsitz und beobachte. Da gehe es meist nicht ums Jagen und Schiessen, betont sie. «Wenn ich im Sommer eine Rehgeiss mit ihrem Kitz beobachten darf, hüpft mein Herz schon höher», schwärmt Katharina Bertschinger. Das sei nicht nur interessant, sondern auch sehr erholsam.
Die Natur erleben zu dürfen, darin sehe sie den Hauptgrund dafür, dass sich vermehrt Frauen zu Jägerinnen ausbilden liessen. Ein weiteres Faszinosum sei sicherlich das Zusammenspiel mit dem Hund. Das ist auch bei Katharina Bertschinger so. Sie arbeitet jeden Tag mit dem vierten Hund in ihrer Karriere. Kait heisst «die junge vorwitzige Dame», die die Jägerin fordert. Sie ist eine sieben Monate alte Klein-Münsterländerin, die von Katharina Bertschinger momentan in Sachen Schweissarbeit und Gehorsam ausgebildet wird.
Die eigentliche Jagdtätigkeit umfasse nur einen Bruchteil der aufgewendeten Zeit, gibt sie zu verstehen. Im Sommer, wenn die Einzeljagd auf Böcke freigegeben ist, komme es meist zu wenigen Abschüssen. «Das sind oft Hegeabschüsse von kranken oder verletzten Tieren», betont sie. Die eigentliche Jagd, die Gesellschaftsjagd, sei auf den Herbst beschränkt. «Dort geht es darum, den Rehbestand auf den ökologisch angemessenen Sollbestand zu reduzieren», präzisiert Katharina Bertschinger.
Jäger sorgen für einen gesunden und angepassten Wildbestand
Die Vorstellung, dass Jäger wahllos Tiere im Wald herumhetzen und erledigen würden, sei falsch. «Die Abschussquoten legt der Kanton in Absprache mit dem Forst und den Jagdvereinen fest», stellt die erfahrene Jägerin klar. «Die Jagdvereine sorgen für einen angepassten und gesunden Wildbestand.»
Das Jagdrevier Nummer 173 Brittnau weist eine Fläche von 1367 Hektaren auf, die bejagbare Revierfläche umfasst 962 Hektaren, davon sind 462 Hektaren Wald. Als Jagdaufseherin übt Katharina Bertschinger eine Aufsichtsfunktion mit 24-stündiger Präsenzzeit aus. Durchschnittlich zwischen 10 und 20 Mal im Jahr müssten sie oder ihr Stellvertreter Hannes Baumann zu Wildtierunfällen ausrücken. «Es bereitet mir zunehmend Mühe, wenn Leute kein Verständnis dafür haben, wenn ich ein verletztes Tier erlegen muss», sagt Katharina Bertschinger.
Sie stellt bei vielen Leuten eine gewisse Entfremdung zum Thema Leben und Sterben in der Natur fest. Sie habe diesbezüglich schon viel erlebt, führt sie weiter aus. So habe vor vielen Jahren ein Mann doch tatsächlich ein von ihm angefahrenes Reh in seinen Kofferraum gesperrt und sei mit diesem zum Tierarzt nach Reiden gefahren. «Zum Glück war das Reh tot, als der Mann in Reiden ankam», sagt sie.
Die Pacht spült dem Kanton eine ansehnliche Summe in die Kasse
Häufig unterwegs sind Katharina Bertschinger und ihre neun Mitpächter vom Jagdverein Brittnau auch während der Setzzeit im Mai/Juni. Mähreife Wiesen werden dann verblendet, um Rehgeissen mit ihren Kitzen vor den Mähmaschinen zu schützen und zum lebensrettenden Ortswechsel zu bewegen. Und im Frühling und Herbst werden auch die rund 35 Salzleckstellen für die Rehe kontrolliert und bei Bedarf mit Salzstein ergänzt.
Im Kanton Aargau gibt es Stand heute 210 Jagdreviere, die jeweils für acht Jahre verpachtet werden. Das spült dem Kanton eine ansehnliche Summe in die Kasse. So überweisen allein die zehn Pächter des Brittnauer Jagdreviers 12 156 Franken nach Aarau. «Wir finanzieren die Pacht hauptsächlich aus dem eigenen Portemonnaie und nur zum kleineren Teil aus dem Fleischverkauf», stellt Katharina Bertschinger abschliessend klar.
