«Scharlachrot» am Blausee: Patent Ochsner spielen wieder

Es ist nicht der Gurten, nicht das Sittertobel und nicht einmal der Heitere. Es ist der Blausee. Diese forellengefüllte Touristenattraktion im Berner Kandertal. Und dort findet in diesem merkwürdigen Coronasommer 2020 das grösste Open Air der Schweiz statt. Mit 1000 Personen pro Abend hätte man vor nicht allzu langer Zeit von einem «Grossen unter den Kleinen» gesprochen, aber mittlerweile ist es das grösste des derzeit Möglichen. Patent Ochsner haben zu diesen Konzerten geladen. Sechsmal sind die Sektoren Rot, Orange, Violett und Blau komplett gefüllt. Preis pro Person: ab 95 Franken aufwärts.

Büne Huber ist gut gelaunt. Er tanzt auf die Bühne vor dieser malerischen Kulisse. «Komisch, es macht nidmau richtig Lärme, we das Luftschloss zämegheit», singt er im ersten Lied «Villajoyosa». Die etwas aufgeblasene Schweizer Festivallandschaft ist durch das Coronavirus komplett implodiert. Und ob man sie im nächsten Sommer wieder aufpumpen kann, ist derzeit mehr als fraglich. Ein Blick auf das für die Bewilligung notwendige Schutzkonzept am Blausee lässt eher Ungutes vermuten. Getrennte Wege, getrennte Sektoren, getrennte Foodstände, getrennte Toiletten. Der Aufwand ist enorm, die Kontrolle schwierig.

Man hat sich gegenseitig vermisst

In der Abendkühle am Blausee spürt man die Freude. Die Freude der Band und die Freude des Publikums. Man hat sich gegenseitig vermisst. Man braucht sich gegenseitig. Trotzdem mutet es etwas merkwürdig an, wenn Büne Huber auf der grossen Bühne über die Wohnzimmerkonzerte anderer Musiker und Bands während des Lockdown spottet. «Wir haben ein anderes Verständnis von Musik und von Nähe», sagt Huber. Das ist einfach gesagt, wenn man es sich leisten kann, auch mal ein paar Monate in Coronapause zu sein, und sich wenig Sorgen machen muss, dass der Kühlschrank stets gefüllt ist. Aber grundsätzlich ist es doch ganz erfreulich, dass man nicht mehr verwackelten Videoaufnahmen von Musikern in Küchen zuschauen muss, sondern selber verwackelte Aufnahmen von Musikern auf Bühnen machen kann.

Alles bleibt im Sektor

Es wird viel gefilmt und fotografiert am Blausee. Was Sujet ist und was Kulisse, wechselt. Mindestens so spektakulär wie das Geschehen auf der Bühne wirkt die grosse Ansammlung von Menschen. Spätestens mit dem kompletten Eindunkeln verschwinden auch die kleineren Lücken, die wegen der Sektorentrennungen nötig sind, und man sieht im Bühnenlicht viele glückliche Gesichter. Es wird gegen die BAG-Empfehlungen auch mitgesungen und getanzt. Da und dort nutzt manch einer und manch eine das romantische Setting für kleine Schmusereien, es bleibt aber alles im Rahmen. Oder zumindest im Sektor.

Von der Bühne kommt viel Wärme. Die Band hat Druck. Und in einer Zeit, in der vieles anders geworden ist, ist es vielleicht tröstlich, dass Patent Ochsner Patent Ochsner geblieben ist. Büne Huber lebt seine Songs, erzählt Geschichten −und noch immer hat es dazwischen wahnsinnig viele Soli. Hätte man allenfalls einen Viertel davon im Lockdown zurückgelassen, wäre dies der Qualität kaum abträglich gewesen. Vielleicht ist die Flut aber auch einfach Ausdruck einer ungemeinen Spielfreude. Und diese sollte man keineswegs unterbinden. Weil Freude ja ansteckend ist. Und weil «ansteckend» hier ausnahmsweise wieder mal etwas Gutes ist.

Rückenwind statt Gegenwind

Bei «Ausklaar» wird das Konzert tatsächlich zu einem Fest. «Dr Wind wäit usnahmswys mau vo hinger». Schön. Das weht den allgegenwärtigen Gegenwind kräftig weg. Und wenn Huber dann in der ersten Zugabe zum fast schon zur Lockdown-Hymne avancierten «Für immer uf di» ansetzt, dann singt alles mit. «Es Glas uf d’Liebi und eis uf z’voue Läbe u Eis uf au das wo mir nid chöi häbe». Da lacht es sogar durch die vereinzelt getragenen Masken. Da wird der Blausee zum Gurten, zum Sittertobel, zum Heitere.