Eine Million Schweizer haben Pestizide in ihrem Trinkwasser: Was wir wissen – und was nicht

1. Das Grundwasser im Einzugsgebiet von einer Million Menschen in der Schweiz ist betroffen. Wo leben diese?

Das Grundwasser ist in den vielen landwirtschaftlich genutzten Gebieten des Mittellandes grossflächig beeinträchtigt. Zu hohe Werte von über 0.1 Mikrogramm pro Liter treten in den Kantonen Aargau, Bern, Baselland, Freiburg, Genf, Jura, Luzern, Schaffhausen, Solothurn, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Zug und Zürich auf.

Die Belastung des Chlorothalonil-Abbauprodukts R471811 im Mittelland.

Die Belastung des Chlorothalonil-Abbauprodukts R471811 im Mittelland.

© Zvg / Solothurner Zeitung

2. Wo wurde das Fungizid Chlorothalonil eingesetzt?

Das Fungizid wurde auf landwirtschaftlichen Flächen also auf Getreide, Kartoffel- und Gemüseäckern sowie im Rebbau zur Bekämpfung gegen Pilzkrankheiten eingesetzt. Aber auch auf nicht-landwirtschaftlichen Flächen zum Beispiel auf Golfplätzen. Zwischen 2008 und 2018 lagen die Verkaufsmengen in der Schweiz zwischen 32 und 66 Tonnen pro Jahr. Damit zählte Chlorothalonil in den meisten Jahren zu den zehn meist verkauften chemisch-synthetischen Pestiziden in der Schweiz – nach Glyphosat, Folpet und Mancozeb. In der Schweiz wird das Pestizid seit den 1970er Jahren, also seit 50 Jahren eingesetzt. Produkte mit dem Wirkstoff Chlorothalonil heissen Balear, Bravo, Cargo, Daconil, Rover und Tossa.

3. Darf der Wirkstoff Chlorothalonil noch angewendet werden?

Nein, seit dem 1. Januar 2020 gilt ein Anwendungsverbot. Der Verkauf des Pestizids ist kurz zuvor am 10. Dezember verboten worden.

4. Warum bleibt der Wirkstoff möglicherweise gefährlich?

Gemäss dem Wasserforschungsinstituts Eawag wird der Wirkstoff selbst kaum ins Trinkwasser gespült. Das Problem sind aber die vielen Abbauprodukte (Metaboliten) von Chlorothalonil. Diese können über Jahre im Boden bleiben und ins Trinkwasser ausgewaschen werden. Das Anwendungsverbot wurde erlassen, weil der Wirkstoff möglicherweise krebserregend ist. Die vorsichtige Formulierung des Bundes lautet zur Zeit, dass «eine gefährliche Wirkung für die Abbauprodukte von Chlorothalonil aktuell nicht ausgeschlossen werden kann». Der Pestizid-Produzent Syngenta hat nun erwirkt, dass das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) das Krebsrisiko auf seiner Homepage nicht mehr erwähnen darf. Mindestens so lange wie das Urteil gegen Syngentas Klage gegen das Chlorothalonil-Verbot noch aussteht.

5. Wann wurden in der Schweiz Abbauprodukte des Pestizids im Trinkwasser entdeckt?

2017 wurden im Rahmen einer Pilotstudie der Nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA erstmals Metaboliten des Pflanzenschutzmittels Chlorothalonil im Grundwasser nachgewiesen. Das Wasserforschungsinstitut Eawag fand dabei Hunderte von Abbaustoffen in Proben von 31 ausgewählten Messstellen. 2019 machte der Verband der Kantonschemiker auf die Belastung einzelner Trinkwasserproben mit einem Abbauprodukt von Chlorothalonil aufmerksam. In elf von 296 untersuchten Trinkwasserproben lag die Konzentration über dem Grenzwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter. Im Mai dieses Jahres hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) die landesweite Erhebung veröffentlicht. Dies zeigt, dass in mehr als der Hälfte der Kantone die Chlorothalonil-Abbauprodukte die Grundwasserqualität erheblich beschädigen.

6. In welchen Wasservorkommen und Oberflächengewässern gibt es Spuren von Chlorothalonil?

Gemäss der Eawag sind Überschreitungen des Trinkwasser-Höchstwerts vor allem in Grundwasservorkommen zu erwarten, in den Einzugsgebiet Ackerbau betrieben wird. Dies weil Chlorothalonil hauptsächlich auf Ackerkulturen angewendet wurde und nur in geringeren Mengen auf Rasenflächen und Zierpflanzen. Deshalb ist das Grundwasser mit höher gelegenem Einzugsgebiet gemäss der Eawag nicht oder nur geringfügig belastet. In grösseren Oberflächengewässern wie zum Beispiel dem Rhein oder dem Zürichsee liegen die Konzentrationen an Chlorothalonil-Abbauprodukten in der Regel unter dem Grenzwert von 0.1 Mikrogramm pro Liter.

7. Wie lange wirken diese Abbauprodukte?

Da sich Grundwasser relativ langsam erneuert und die Metaboliten von Chlorothalonil ausgesprochen langlebig sind, ist davon auszugehen, dass diese Verunreinigungen die Grundwasser-Qualität noch während Jahren in grösserem Ausmass beeinträchtigen werden.

8. Welches der vielen Abbauprodukte des Pestizids wurde am meisten entdeckt?

Die Abbauprodukte teilen sich chemisch in zwei Gruppen auf, in Sulfonsäuren und Phenole. Phenole werden kaum nachgewiesen. Am meisten entdeckt wurde «Chlorothalonil-Sulfonsäure» (als R417888 bezeichnet). Dieser Metabolit weist jeweils die höchsten Konzentrationen pro Messstelle auf.