
First Responder Marco Heer: «Zofinger Rettungsdienst hielt mich für einen Schaulustigen»
Zur Person
Der 32-jährige Marco Heer arbeitet bei der Berufsfeuerwehr der Stadt Luzern. Er ist seit deren Gründung 2016 dabei und war damals einer der jüngsten Mitarbeiter. «Ich habe mir einen Bubentraum verwirklicht», sagt der gelernte Zimmermann. Heer ist ebenfalls in der Milizfeuerwehr Altishofen-Nebikon und in der Musikgesellschaft Altishofen, wo er Es-Horn spielt. Er und seine Partnerin Melanie Wagner sind seit Ende Juli ehrenamtliche First Responder.
In der Schweiz erleiden jedes Jahr rund 8000 Personen einen Herzkreislaufstillstand. Sofortmassnahmen in den ersten Minuten können Leben retten. Der Altishofer Marco Heer ist seit Ende Juli ein sogenannter First Responder, der in solchen Situationen schnell zu Hilfe eilt (siehe Box). Im Kanton Luzern und der Zentralschweiz wird seit 2019 ein Netzwerk von Freiwilligen aufgebaut. Wir haben Heer zu seinem Engagement befragt.
Herr Heer, warum haben Sie sich als First Responder gemeldet?
Marco Heer: Ich arbeite seit 2016 bei der Berufsfeuerwehr der Stadt Luzern und habe die Ausbildung an der Höheren Fachschule für Rettungsberufe in Zürich absolviert. Der Kanton Zürich kannte damals bereits das System der First Responder, der Kanton Luzern noch nicht. Als Luzern vor einem Jahr startete, war es für mich als Berufsfeuerwehrmann der Stadt Luzern selbstverständlich, dass ich mitmachen würde. Da ich jeweils 24 Stunden am Stück Pikett habe und dann 48 Stunden frei, verfüge ich über die nötige Zeit.
Sie werden über eine App auf Ihrem Handy alarmiert, wenn ein Notfall in Ihrer Nähe passiert.
Genau. Angehörige oder andere Personen alarmieren den Rettungsdienst und dieser dann die First Responder in der Nähe des Patienten. Wenn ein Alarm hereinkommt, sehe ich auf meinem Handy eine Meldung wie zum Beispiel «Neuer Notfall in Altishofen». Dann kann ich den Alarm annehmen und erhalte den Standort, wo sich der Patient befindet. Das Navi leitet mich dann an den richtigen Ort.
Was tun Sie, um das Leben einer betroffenen Person zu retten?
Das oberste Gesetz ist sicher Ruhe zu bewahren. Dann vergewissert man sich, ob das Herz noch schlägt. Manchmal ist jemand bewusstlos, aber der Kreislauf funktioniert noch. Wichtig ist, die Person gut zu lagern und dann sofort mit der Herzmassage zu starten. Wegen Corona fällt die Beatmung momentan weg. Wenn mehrere Personen vor Ort sind, sollte jemand einen Defibrillator holen und mit diesem weitermachen. Auf der App von «First Responder Zentralschweiz» sind die Standorte der Defibrillatoren verzeichnet.
Sind Sie als First Responder bereits zum Einsatz gekommen?
Ja. Ich habe bisher vier Alarme selbst angenommen und bin an sechs Einsätzen dabei gewesen. Ein Einsatz fand in Reiden statt, die anderen in der Stadt Luzern.
Was haben Sie bei Ihren Einsätzen erlebt?
In Reiden ging es einem Familienvater schlecht. Er lag im oberen Stock, seine Familie sass in der Stube. Als ich eintraf in der Wohnung, war der Rettungsdienst aus Zofingen aber bereits da. Das Problem war, dass die Aargauer das First-Responder-System nicht kennen. Sie hielten mich deshalb im ersten Moment für einen Schaulustigen und fragten sich, warum da plötzlich ein Fremder in der Wohnung steht.
Eine spezielle Situation. Weisen Sie sich denn aus am Einsatzort?
Ich habe das gelbe Gilet mit der Aufschrift First Responder an, erkläre den Leuten meine Funktion und dass ich da bin zum Helfen.
Wie verliefen die übrigen Einsätze?
Mehrheitlich waren bei den anderen Einsätzen ältere Menschen betroffen, bei denen das Herz nicht mehr wollte. Bei einer älteren Frau mit einem Herzkreislaufstillstand waren meine Sofortmassnahmen leider erfolglos. Ich habe den Ehemann beruhigt, er war relativ gefasst, als der Rettungsdienst eintraf. Dieser hat abgeklärt, ob die Frau reanimiert werden will. Der Ehemann meinte, dass sie dies nicht wünsche. Es war dann ein Moment der Stille im Raum. Einmal wurden wir auch wegen eines Suizids alarmiert. Diese Bilder werde ich wohl nie vergessen. Das geht einem sehr nahe.
Wie gehen Sie damit um?
Als Feuerwehrmann bin ich mir zwar einiges gewohnt. Aber wir haben alle Gefühle. Das eigene Umfeld ist in diesen Situationen wichtig und dass man mit jemandem darüber reden kann. Meine Freundin ist ebenfalls First Responder, sie arbeitet im Gesundheitsbereich.
Konnten Sie jemand retten an einem dieser Einsätze?
Zwei Personen konnten wir durch First-Responder-Massnahmen wieder zurückholen. Was nachher im Spital passiert, bekommen wir aber nicht mehr mit.
In welchen Ortschaften kommen Sie zum Einsatz?
Ich erhalte Alarmierungen aus Luzern, meinem Wohnort Altishofen und den Nachbardörfern Nebikon, Dagmersellen, Schötz und Reiden.
Können Sie diese Aufgabe jemandem empfehlen?
Ja. Es wäre schön, wenn noch weitere Personen auf dem Land mitmachen würden. In Altishofen sind ich und meine Freundin meines Wissens bisher die einzigen. Ein weiterer First Responder aus Nebikon arbeitet beim Rettungsdienst. In der Stadt Luzern gibt es bereits viel mehr First Responder, oft treffen drei bis vier Leute am Einsatzort ein.
Bereits 1125 First Responder in der Zentralschweiz
Entscheidend für das Überleben bei einem Herzkreislaufstillstand sind die rasche Alarmierung der professionellen Rettungsdienste (Sanität Telefonnummer 144) sowie das unverzügliche Beginnen von Wiederbelebungsmassnahmen. Mit ehrenamtlichen Helfern, den First Respondern (auf Englisch «Ersteintreffender»), wird die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes mit medizinischen Erstmassnahmen überbrückt. Damit steigen die Überlebenschancen der Patienten deutlich. First Responder sind medizinisch ausgebildete Laien, die über eine spezielle Ausbildung in Wiederbelebung und der Anwendung von Defibrillatoren verfügen. Wer First Responder werden will, muss sein 18. Lebensjahr vollendet haben und über ein Smartphone verfügen. Er oder sie ist bereit, sich für Notfalleinsätze zur Verfügung zu stellen. Im Kanton Luzern wurde das First Responder-System vor einem Jahr vom Luzerner Kantonsspital auf Initiative von Regierungsrat Guido Graf und mit massgeblicher ideeller und finanzieller Unterstützung des kantonalen Gesundheits- und Sozialdepartements aufgebaut. Die ersten «First Responder» starteten im Kanton Luzern am 1. Juli 2019, heute sind bereits 1125 im Einsatz. Neben Luzern gibt es erst Freiwillige in den Kantonen Uri, Nidwalden und seit diesem Juni im Bezirk Küssnacht/Schwyz. (ben)
Mehr Infos: Firstresponderzentralschweiz.ch