
«Das Heitere 2021 muss stattfinden können – und zwar möglichst normal»
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Am Mittwoch würde die Heitere-Woche mit der Magic Night starten. Doch wegen Corona gibt es kein Bühnen auf dem Zofinger Hausberg, keine Zeltler, keine Künstler, keine feiernden Zuschauer. Was machen die Menschen, die sonst immer am Heitere Open Air sind in dieser Zeit? Eines ist klar: Zu Hause sitzen und Trübsal blasen tun sie nicht.
Wir sitzen auf dem Heiternplatz auf einer Bank im Schatten. Das Lindengeviert ist leer. Vereinzelt gehen Spaziergänger vorbei. In einem normalen Jahr würde Christoph Bill, Gesamtleiter des Heitere Open Airs, jetzt unter Strom stehen: Noch zwei Tage, bis die ersten Künstler auf der Bühne stehen.
Heute würde die Heitere-Woche starten. Ein komisches Gefühl, jetzt nicht hier oben auf dem Heiternplatz im Einsatz zu stehen?
Christoph Bill: Seit 30 Jahren findet mein Sommer auf dem Heitern statt. Mein ganzes Leben ist geprägt vom Heitern. Und jetzt ist plötzlich nichts mehr. Ich kann mich seit Monaten damit abfinden. In meinem Umfeld hat es aber Leute, die es erst jetzt so richtig realisieren. Und da fliesst die eine oder andere Träne. Das ist so.
Wir sehen hier einen leeren Heiternplatz. Wie würde es hier aussehen um diese Zeit?
Zwei Tage, bevor das Open Air losgeht, muss alles Wesentliche stehen: Böden, Zäune, Bühne, Zelte. Wir wären jetzt wirklich nur noch am intensiven Finish. Das Gastro-Team würde die Waren auf die Bars verteilen; Food- stände würden sich einrichten, Elektriker und Sanitärinstallateure Anschlüsse erstellen.
Was würden Sie jetzt gerade machen?
Versuchen, dem Team den Rücken zu stärken und zu schauen, dass wir ein einwandfreies Eventerlebnis bieten können. Es wären rund 150 Leute gleichzeitig beschäftigt. Die Bühne wird bestückt mit der Technik, der Sound wird getestet, das Licht ausgerichtet. Es gibt noch Detailfragen, gleichzeitig hat man noch Sponsoren und Medien am Telefon, macht die Geländeabnahme mit den Behörden, löst Helfer-Vakanzen oder kämpft mit Absagen von Künstlern.
Dieses Jahr wäre das 30. Heitere Open Air gewesen. Sind Sie traurig, dass es gerade das Jubiläums-Heitere erwischt hat?
Wir zelebrieren Jubiläen nie stark. Für uns ist jede Ausgabe gleich. Es ist wichtiger, dass wir nochmal 30 Jahre dranhängen können als zurückzuschauen, was in den 30 Jahren gewesen ist. Und trotzdem ist es ein spezieller Zwischenhalt. Darum verschieben wir die 30. Ausgabe einfach auf nächstes Jahr.
Wann war für Sie klar, dass das Heitere Open Air nicht stattfinden kann?
Ich weiss noch, dass ich kurz vorher zu meiner Frau gesagt habe: «Das kommt nicht gut.» Wir haben bis zuletzt gehofft. Zwischen Anfang März und dem 29. April, als das Veranstaltungsverbot verlängert wurde, wechselten sich Phasen von Zuversicht und Verzweiflung ab. Das Verbot war auch eine Art Erlösung, weil Klarheit geschaffen wurde. Veranstaltungen brauchen Vorlaufszeit. Die letzte Meile geht über drei Monate. Da werden die Verträge unterschrieben, da entstehen die grossen Kosten. Wir hatten das Glück, dass das Heitere erst im August stattfindet. Andere hatten Ende April Klarheit für Ende Mai.
Wie wirkt sich die Verschiebung auf Ihr Unternehmen aus?
Wir müssen uns auf alles vorbereiten, umso länger das geht. Das Problem ist, dass all unsere Standbeine mit Events zu tun haben. Wir müssen schauen, dass wir den Schnauf halten können mit den Fixkosten: 1200 m2 Lager- und Bürofläche, laufende Kosten für beispielsweise Sozialleistungen, Unterhalt und Verwaltung. Dem gegenüber steht ein Umsatzausfall von über 90 Prozent. Wir haben den Vorteil, dass wir personell schlank aufgestellt sind und nur drei Personen fix auf der Payroll haben. Das andere sind Freelancer und Auftragnehmer. Trotzdem müssen wir uns schon auch überlegen, wie wir uns zukünftig aufstellen. Und wir müssen auch mithelfen, dass unsere externen Mitstreiter und Partner überleben, damit wir noch ein Heitere organisieren können.
Finden Sie die Corona-Massnahmen gerechtfertigt, die im Moment gelten?
Ich habe früh öffentlich gesagt, es wäre falsch, in dieser Situation Anlässe mit 10 000, 20 000 Leuten zu machen. Aber viel anderes müsste möglich sein. Ich glaube, viele Massnahmen waren beziehungsweise sind nicht verhältnismässig, nicht für unsere Branche, nicht für das ganze Land. In meinem Bereich etwa müsste man nicht nur auf die Anzahl Personen abstellen, sondern schon lange unterscheiden, ob eine Veranstaltung drinnen oder draussen ist, wie lang der Anlass dauert, welche Zielgruppe angesprochen wird und so weiter. Leider wurden und werden die Leute komplett verunsichert durch die auf Effekthascherei ausgerichtete Kommunikation, deren Inhalte selten in die richtigen Relationen gestellt werden.
Sie sind Präsident der SMPA, des Branchenverbandes der grossen Schweizer Veranstalter. Gab es zum Beispiel vom BAG Anfragen an den Verband?
Leider nein. Dabei haben wir zusammen mit anderen Veranstaltungsverbänden den Dialog gesucht. Wir haben sogar Exit-Pläne vorgelegt und Massnahmen für unterschiedliche Veranstaltungen erarbeitet. Es geht nicht darum, unsere Interessen durchzusetzen, sondern darum, machbare, sinnvolle und wirtschaftlich vernünftige Massnahmen zu definieren. Es arbeiten in der Schweiz immerhin gleich viele Leute in der Kultur- und Kreativwirtschaft wie im Tourismus. Das sind meist Mikrounternehmen, Leute, die viel Herzblut geben und eine grosse Risikobereitschaft haben und alles andere möchten, als dem Staat auf der Tasche zu sitzen.
Man spricht nun schon von Veranstaltungsverboten bis Ende Jahr, vielleicht bis nächsten Frühling. Kann es ein Heitere 2021 geben?
Ja, es muss es geben. Wenn es uns nicht demnächst gelingt, den Hebel auf irgendeine Art umzustellen, dann geht die kulturelle Vielfalt der Schweiz verloren, dann gehen Existenzen und Strukturen langfristig kaputt. Ich glaube nicht, dass ein Leben ohne Kultur lebenswert ist. Ich bin der Meinung, auch das Heitere muss stattfinden können, und zwar möglichst normal. Was ich ganz schlecht finde, ist, wenn nun präventiv auf sieben Monate hinaus Veranstaltungen verboten würden, statt rollend zu planen. Es ist für die Live-Entertainment-Branche doch unsäglich, dass wir heute nicht einmal wissen, wie es ab 1. September weitergeht. Es ist unklar, ob angesagte Veranstaltungen stattfinden können oder nicht, während die Kosten dafür laufen. Gleichzeitig stehen die Verkäufe still. Mit einer solch unsicheren Perspektive plant auf Monate hinaus niemand mehr neue Events.
Sie denken an 2021, fast alle Künstler sind engagiert. Überlegen Sie sich auch, welche Sicherheitsmassnahmen im Zusammenhang mit Corona umgesetzt werden? Könnten Sie sich ein Open Air mit Masken vorstellen?
Wenn Sie mich vor zwei, drei Monaten gefragt hätten, hätte ich gesagt: «Nein, das kann nicht sein.» Heute muss ich sagen, kann man sich viel vorstellen, muss man sich viel vorstellen. Wir denken in Szenarien, auch wenn es gegenwärtig noch schwierig ist. Masken sind das eine, man muss sich aber auch generell überlegen, wie weit man überhaupt bereit ist, vom bisherigen Festivalerlebnis abzurücken.
Und jetzt können Sie drei Wochen in die Sommerferien statt das Heitere zu organisieren?
Ich habe mir ein paar Tage Auszeit gegönnt, eine gute Woche insgesamt. Das war ein neues Gefühl, im Sommer Ferien zu machen.
Das geht sonst nicht?
Nein, ich habe sonst nicht einmal am Wochenende frei. Das Heitere zu organisieren ist für das ganze Team ein unglaublicher Aufwand mit ganz viel Herzblut und Idealismus – auch wenn am Ende Geld gedreht wird. Es geht nur mit dem Engagement von allen Beteiligten. Da geht man viele Kompromisse ein, auch privat. Im Moment habe ich genug zu tun. Sei es für den Verband, sei es mit der Verschiebung auf 2021. Am Donnerstag startet in Zofingen zudem unser Open Air Kino. Mir ist nicht langweilig und ich habe das dumpfe Gefühl, dass es mir auch im September oder Oktober nicht langweilig sein wird.
Was machen Sie am Samstag, wenn der Headliner loslegen sollte?
Eigentlich wollten wir mit dem OK einen mehrtägigen Ausflug mit einem Nightliner machen, wie ihn jeweils die ausländischen Bands nutzen. Aufgrund von Corona haben wir dann aber gesagt, dass das nicht das Richtige ist. Wir werden nun zwei Tage in Richtung Ostschweiz gehen. Das Detailprogramm wird eine Überraschung für die teilnehmenden OK-Mitglieder sein.
In zwei Konzertnächten, von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag, zeigt SRF 2 die Live-Highlights der Heitere Open Airs der vergangenen Jahre. Am Samstag von 23.30 bis 00.25 sendet SRF 2 ausserdem ein Magazin mit unter anderem einem Interview mit Christoph Bill.