
Gefährdet die SVP den Bilateralismus oder doch nicht? Die Ständeräte Knecht und Burkart im Interview
Thierry Burkart
Turkart (44/FDP) ist Rechtsanwalt in Baden. Er war Grossrat und Grossratspräsident, wurde 2015 in den Nationalrat gewählt. Er präsidierte davor mehrere Jahre die aargauische FDP. 2019 verteidigte er den «traditionellen» Ständeratssitz seiner Partei, den Philipp Müller gehalten hatte. Seine politischen Schwerpunkte sind die Verkehrspolitik sowie die Wirtschafts- und Sicherheitspolitik.» Er ist Vizepräsident der ständerätlichen Geschäftsprüfungskommission, Mitglied der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen sowie Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission. (mku)
Hansjörg Knecht
Knecht (60/SVP) ist verheiratet und Müllereibesitzer in Leibstadt. Er war Gemeinderat, Grossrat, seit 2011 Nationalrat der SVP. 2019 wurde er in den Ständerat gewählt, womit die SVP den Sitz zurückeroberte, den sie acht Jahre zuvor an Pascale Bruderer (SP) verloren hatte. Im Ständerat vertrete er nicht Parteiinteressen, sondern in erster Priorität die Anliegen der Aargauer Bevölkerung, so sein Selbstverständnis. Er ist Mitglied der Finanzkommission, der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen sowie der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek). (mku)
Das Parlament hat gerade die Sommersession beendet. Was bleibt davon, was waren für die beiden Aargauer Ständeräte Hansjörg Knecht (SVP) und Thierry Burkart (FDP) die Höhe-, was die Tiefpunkte? Wir trafen sie in Baden.
Herr Knecht, was war Ihr Highlight an der Session?
Hansjörg Knecht: Ich hatte diese Woche ein Gespräch mit Peter Füglistaler, Chef des Bundesamtes für Verkehr. Es ging um mein Postulat für die Wiederinbetriebnahme der Rheintalbahnstrecke für den Personenverkehr. Die Antwort des Bundesrates steht zwar noch aus, und wir dürfen uns keine Illusionen machen. Doch es war ein interessantes Gespräch zu Überlegungen im Bundesamt, wie man die überlastete Hauptstrecke zwischen Zürich und Olten entlasten könnte.
Thierry Burkart: Ich habe mich sehr gefreut, dass wieder eine reguläre Session stattfand. Ebenso, dass jetzt diverse Geschäfte, die wegen der Coronapandemie liegen blieben, abgeschlossen werden konnten. Das Parlament lebt damit wieder eine gewisse Normalität. Eine besondere Freude war mir die Verabschiedung der Armeebotschaft durch den Ständerat. Sie erfolgte einstimmig, obwohl sie mit der Erhöhung des Zahlungsrahmens die Finanzierung von neuen Kampfflugzeugen enthält.
Und was erlebten Sie als Tiefpunkt?
Knecht: Ein betrübliches Kapitel ist für mich, dass der Beschluss, wonach sich Vermieter für die Coronazeit 60 Prozent der Mieten ans Bein streichen müssen, mit 20:19 Stimmen auch im Ständerat eine Mehrheit fand. Ich habe immer zum Gespräch und zu einvernehmlichen Lösungen aufgerufen. Dieser Entscheid ist jetzt aber ein krasser Eingriff in die Eigentumsrechte, den ich ganz entschieden ablehne.
Burkart: Tiefpunkte gibt es in der Politik immer wieder. Die hake ich jeweils ab und schaue vorwärts.
Spielt das Parteibuch im Ständerat wirklich eine kleinere Rolle?
Burkart: Im Ständerat ist es verpönt, die Parteien zu nennen. Ständeräte sprechen für ihren Stand oder sich selber. Sachpolitik steht vor Parteipolitik. Die Diskussionskultur wird hochgehalten. Wer eine Showbühne sucht, ist im Ständerat am falschen Ort. Das macht den Ständerat zur chambre de réflexion.
Knecht: Da schliesse ich mich an. Man arbeitet zudem im Ständerat weniger hektisch, aber sehr effizient. Als Unternehmer gefällt mir das ganz besonders.
Eins der gewichtigsten Themen in Bern ist das neue CO2-Gesetz. Die SVP bekämpft es. Ist Ihnen das Klima kein Anliegen?
Knecht: Doch, selbstverständlich! Wir tun auch schon viel dafür. Doch so wie das Gesetz jetzt in den Ständerat kommt, führt dies zu einer massiven Belastung, insbesondere des Mittelstandes.
Wegen eines befürchteten Ölheizungsverbots?
Knecht: Das ist ein Hauptpunkt. Die Hauseigentümer investieren enorm in Wärmedämmung, Erdwärmenutzung, Photovoltaik usw. Sie erfüllen ihre Vorgaben. Und jetzt sollen ausgerechnet sie mit einem faktischen Ölheizungsverbot ab 2023 bestraft werden! Das bringt enorme finanzielle Belastungen. Dazu wird die CO2-Abgabe weiter erhöht, ebenso wird das Benzin deutlich teurer. Das werden Menschen in ländlichen Gebieten besonders zu spüren bekommen.
Sie lehnen also das Gesetz ab?
Knecht: Wenn es so bleibt, was ich befürchte, lehne ich es ab und unterstütze das Referendum. Das Volk muss hier das letzte Wort haben, gerade auch wegen der Auswirkungen der Coronapandemie, wo viele Arbeitslose zu befürchten sind. Die Leute in diesen schwierigen wirtschaftlichen Zeiten noch mehr zu belasten, ist doppelt falsch.
Der letzte Anlauf scheiterte im Parlament auch am Nein der Linken, weil die FDP dem Gesetz die Zähne gezogen habe. Und diesmal?
Burkart: Ich habe das Gesetz 2018 als Nationalrat mitgetragen. Es hat positive Aspekte, wie beispielsweise die Verlängerung des Gebäudeprogramms, das ich bereits unterstützte, als die FDP noch dagegen war. Die damals vorgesehene Erhöhung des Benzin- und Dieselpreises von bis acht Rappen habe ich im Rahmen eines Gesamtkompromisses akzeptiert.
© Alex Spichale
Aber?
Burkart: So wie jetzt die Gesetzesrevision vorgesehen ist, werden nochmals zusätzliche Abgaben eingeführt oder bestehende massiv erhöht. Angesichts der sich abzeichnenden sehr schwierigen Wirtschaftslage müssen wir uns aber besonders fragen, mit welchen Massnahmen tatsächlich eine Wirkung für das Klima erzielt werden kann und welche nur der Symbolik dienen und der Wirtschaft schaden.
Wieso soll das nur Symbolpolitik sein? Das müssen Sie erklären.
Burkart: Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die Senkung des CO2-Grenzwerts für Neufahrzeuge von 130 auf 95 Gramm pro Kilometer wird Wirkung zeigen. Die Erhöhung des Benzin- und Dieselpreises um 12 bzw. mit den anderen Massnahmen um bis 20 Rappen hingegen hat keinen lenkenden Effekt auf die Mobilität. Sie verteuert aber sämtliche Gütertransporte massiv. Das wiederum führt zu einer zusätzlichen Verteuerung der Schweizer Produkte und hat damit Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes sowie unsere Arbeitsplätze.
Dann sind Sie jetzt nicht mehr für eine Erhöhung?
Burkart: Die acht Rappen habe ich mitgetragen. Jetzt sind wir an der Schmerzgrenze. Ich werde nach der ständerätlichen Beratung eine Gesamtbeurteilung vornehmen. Meine Zustimmung wird auch davon abhängen, ob gewisse Massnahmen zeitlich etwas später in Kraft gesetzt werden, um die Wirtschaft in der coronabedingten Rezession nicht über Gebühr zu belasten.
Knecht: Als Müllereibetreiber erlebe ich sehr nah, wie Lastwagen aufgrund der immer schärferen Euronormen in immer kürzeren Abständen ersetzt werden müssen, ohne dass diese vollständig abgeschrieben werden können.
Hoch emotional ist auch die diskutierte Flugticketabgabe. Wie stehen Sie dazu?
Burkart: Wegen 30 Franken Flugticketabgabe fliegen die Menschen nicht weniger. Für den Flughafen Basel-Mulhouse können wir sie nicht einmal erheben, weil es sich um französisches Hoheitsgebiet handelt. Eigentlich läge die Lösung vor: CO2 ist global, Fliegen ist global. Daher gibt es mit Corsia ein internationales Abkommen, das die Fluggesellschaften zur CO2 -Kompensation verpflichtet. Jetzt kommt noch eine Absurdität dazu. Der Bund unterstützt die Luftfahrtgesellschaften mit 1,3 Milliarden Franken, damit sie wieder mehr fliegen können. Der gleiche Bund erhebt eine Abgabe mit dem Ziel, dass weniger geflogen wird. Das ist widersprüchlich.
Was würden Sie also tun?
Burkart: Ich habe angeregt, dass die Flugticketabgabe erst eingeführt wird, wenn die Luftfahrtindustrie einen Teil ihrer Flugleistung und damit ihres CO2-Ausstosses wiedererlangt hat. Leider geniesst in der Klimapolitik zurzeit parteipolitisches Kalkül blinden Vorrang vor sachlichen Überlegungen.
Knecht: Ich lehne einen Alleingang ab. Wenn die Flugticketabgabe zudem so tief ist wie vorgesehen, hat sie keine Lenkungswirkung.
Dann würden Sie dafür eine hohe Abgabe unterstützen?
Knecht: Nein, wenn sie so hoch ausfällt, dass sie etwas nützt, könnten nur noch die Reichen fliegen. Das wäre höchst unsozial, dafür bin ich nicht zu haben. Auch ich setze auf das Corsia-Abkommen.
Verabschiedet wurde in der Session die Überbrückungsrente für über 60-jährige Ausgesteuerte. Wollen Sie damit die SVP-Begrenzungsinitiative bodigen, Herr Burkart?
Burkart: Nein, für mich ist die Überbrückungsleistung eine sozialpolitische Notwendigkeit. Es ist unwürdig, wenn ältere, arbeitswillige Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet und in die Sozialwerke eingezahlt haben, kurz vor ihrer Pensionierung in der Sozialhilfe landen. Die Hürde ist aber hoch, denn eine Voraussetzung für den Erhalt der Überbrückungsleistung ist, dass man nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit ausgesteuert wird. Wir dürfen zudem nicht vergessen, dass der Bund finanziell zwar zusätzlich belastet, die Gemeinden aber aufgrund der zurückgehenden Sozialhilfen entlastet werden.
Knecht: Wir haben ja schon Mühe, die bestehenden Sozialwerke AHV und Arbeitslosenversicherung ausreichend zu finanzieren. Stattdessen gibt das Parlament auch in der jetzigen schwierigen Zeit ständig noch mehr Geld aus. Das kommt nicht gut. Denn die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Jetzt versucht das Parlament, mit dieser Überbrückungsrente unsere Begrenzungsinitiative auszubremsen.
Dann sollen diese Menschen also weiterhin in der Sozialhilfe landen?
Knecht: Nein, aber wir müssen das Problem an der Wurzel packen. Wegen der Personenfreizügigkeit werden immer mehr ältere Arbeitskräfte durch jüngere, ausländische ersetzt. Ich befürchte zudem, dass gerade wegen dieses neuen Sozialwerks viele Arbeitgeber die Hemmung verlieren könnten, ältere Angestellte in dieses Sozialwerk abzuschieben. Für mich als Unternehmer kommt dies zwar nicht in Frage. Aber für viele dürfte es verlockend sein, diese Stellen mit günstigeren und jüngeren Arbeitskräften aus dem Ausland zu besetzen. Deshalb müssen wir die Personenfreizügigkeit mit der EU neu verhandeln, um die Zuwanderung wieder eigenständig zu steuern.
Mit dem Risiko, dass die ganzen Verträge der Bilateralen I fallen?
Knecht: Die EU wird diese nicht kündigen. Sie ist genauso an einem intensiven Handel und Güteraustausch mit der Schweiz interessiert wie wir mit ihnen.
Burkart: Ich bedaure, dass Sie den Schweizer Arbeitgebern die sozialpolitische Verantwortung absprechen. Andernorts kämpfen wir gemeinsam für freiheitliche Lösungen und dafür, dass der Staat den Unternehmen nicht alles vorschreibt mit der Begründung, dass auf die Verantwortung der Unternehmerinnen und Unternehmer gesetzt werden könne. Die Arbeitgeber können die älteren Arbeitnehmenden nicht direkt in die Überbrückungsleistung «abschieben». Sie würden sie zuerst in mindestens zwei Jahre Arbeitslosigkeit schicken. Und das machen die Unternehmen mit Ausnahme von ein paar schwarzen Schafen nicht einfach so.
Knecht: Ich spreche den Arbeitgebern diese Kompetenz keinesfalls ab. Vor allem KMU`s nehmen ihre Verantwortung sehr wohl wahr. Aber wir schlittern in eine riesige Wirtschaftskrise und da geht es für viele Unternehmen ums nackte Überleben. Zudem gab es so eine Rente schon in Österreich und Deutschland. Beide Länder haben damit wieder aufgehört, weil sich meine Befürchtungen dort bewahrheitet haben. Es ist offensichtlich: Dem Parlament geht es nur darum, unsere Initiative zu verhindern. Deshalb auch die grosse Eile im Parlament.
Burkart: Nein, die Überbrückungsleistung ist unabhängig von der Begrenzungsinitiative notwendig. Die SVP-Initiative lehne ich aus anderen Gründen ab. Wenn wir die Personenfreizügigkeit kündigen, fallen automatisch alle Abkommen der Bilateralen I aufgrund der sogenannten «Guillotine-Klausel» dahin.
Warum das?
Burkart: Es handelt sich um einen vertraglich vorgesehenen Automatismus. Die Abkehr vom bewährten Bilateralismus hätte für unser Land und unsere Arbeitsplätze fatale Folgen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sollten wir uns diesem unnötigen Experiment nicht unterziehen.
Knecht: Das stimmt nicht, wir unterstützen den Bilateralismus, wollen aber die Einwanderung, die massiv höher ist, als uns seinerzeit weis gemacht wurde, wieder selbst steuern. Ausländische Fachkräfte werden wir auch so bekommen. Die EU wird die Abkommen nicht kündigen, weil sie diese genauso braucht, etwa das Landverkehrsabkommen oder dasjenige zum öffentlichen Beschaffungswesen.
Burkart: Ich kann nur wiederholen, dass die EU keine Verträge kündigen muss. Wenn die Schweiz ein Abkommen der sogenannten Bilateralen I kündigt, fallen die anderen Verträge automatisch dahin. Wenn das bilaterale Verhältnis mit der EU dahinfällt, kommt ein weiterer negativer Punkt hinzu. Wir würden uns in Bezug auf das unbefriedigende EU-Rahmenabkommen verhandlungstaktisch enorm schwächen und müssten es dann alternativlos schlucken. Mit der SVP-Initiative würde sich somit gerade die SVP in den eigenen Fuss schiessen.
206 eidgenössische Parlamentarier haben einen Aufruf unterzeichnet, Ferien in der Schweiz zu machen. Sie auch?
Burkart und Knecht: Ja, wir beide.
Treten Sie auch den Tatbeweis an?
Burkart: Ich reise grundsätzlich gerne in der Schweiz und im Ausland. Dieses Jahr bliebe ich aber sowieso hier, weil es mir in unseren Bergen im Sommer besonders gut gefällt. Ich freue mich auf eine Woche Wanderferien im Wallis. Dazu kommen mehrere je zwei- bis dreitägige Wanderungen.
Knecht: Im Hochsommer habe ich nie Ferien. Das ist die Zeit, in der die Getreideernte in unserer Mühle eingeliefert und verarbeitet wird. Nie im Jahr läuft mehr als dann. Ich freue mich jetzt schon drauf. Danach machen meine Frau und ich aber auf Ferien im Tessin, unserer wunderbaren Sonnenstube. Wir werden ebenfalls viel beim Wandern anzutreffen sein.