Easyjet-Europachef übt Kritik an Bundesratsentscheid: Wurden Swiss und Edelweiss vom Bund bevorzugt behandelt?

Easyjet Switzerland ist nach Swiss die zweitgrösste Fluggesellschaft der Schweiz sowie Marktführerin an den Flughäfen Basel und Genf. Sie zählt rund 1000 Angestellte. Derzeit plant die Airline den Neustart der seit März gegroundeten Flotte.

Herr Haagensen, wann sind Sie das letzte Mal geflogen?

Thomas Haagensen: Das war Anfang März, glaube ich. Es ist auf jeden Fall viel zu lange her.

Die gesamte Easyjet-Flotte ist gegroundet. Ab Mitte Juni möchten Sie wieder starten, in der Schweiz aber nur ab Genf. Weshalb nicht ab Basel und Zürich?

Wir möchten mit einem sehr kleinen Flugprogramm starten. Über die gesamte Gruppe hinweg werden wir nur zehn Flugzeuge wieder in Betrieb nehmen, davon zwei ab Genf. In Zürich haben wir hingegen keine Flugzeuge stationiert. In Frankreich, Grossbritannien und Italien starten wir zuerst nur mit Inlandflügen. Das ist in Genf anders, dort fliegen wir nach Bordeaux, Nizza und Nantes in Frankreich, sowie nach Brindisi in Italien, und Porto und Lissabon in Portugal.

Wieso gerade diese Destinationen?

Dort haben viele Schweizer Verwandte und Freunde, und umgekehrt. Für diese Ziele sehen wir eine genügend grosse Nachfrage im Juni.

Für Strandferien also noch zu wenig?

Vorerst werden wohl vor allem jene Leute fliegen wollen, die ihre Familien besuchen möchten.

Und wann startet Easyjet ab Zürich und Basel wieder?

Wir schauen uns momentan die Pläne für den Juli an, und ich hoffe, dass wir dann auch ab Zürich und Basel wieder abheben können. Für einen definitiven Entscheid ist es aber noch zu früh, da sich in allen Märkten die Situation rasch wieder ändern kann.

Thomas Haagensen ist Chef des Easyjet-Europageschäfts. Die Tochtergesellschaft Easyjet Switzerland ist die zweitgrösste Fluggesellschaft der Schweiz sowie Marktführerin an den Flughäfen Basel und Genf.

Thomas Haagensen ist Chef des Easyjet-Europageschäfts. Die Tochtergesellschaft Easyjet Switzerland ist die zweitgrösste Fluggesellschaft der Schweiz sowie Marktführerin an den Flughäfen Basel und Genf.

© Georgios Kefalas / KEYSTONE

Wie gross ist das Buchungsminus gegenüber dem Vorjahr für 2020?

Wie gesagt: Für die Ziele, die wir ab Mitte Juni in Angriff nehmen, besteht eine Nachfrage. Aber wir sind natürlich weit weg vom Niveau des letzten Jahres. Und selbst auf den genannten Zielen fliegen im Juni wir deutlich weniger als normal. Genf-Nizza werden wir vier Mal pro Woche anbieten. Normalerweise sind es vier Flüge pro Tag. Es ist ein vorsichtiger Start, aber es ist immerhin ein Start.

Für das Vertrauen bei den Kunden hilft der kürzlich bekannte Hackerangriff auf die Airline bestimmt nicht. 480‘000 Schweizer Kunden sind ebenfalls betroffen. Wie reagieren Sie darauf?

Ich glaube nicht, dass dies einen Einfluss auf die Buchungen haben wird. Alle grossen Firmen sind regelmässig mit solchen Cyber-Attacken konfrontiert. Wir haben offen kommuniziert und viel in die Sicherheit unserer Computersysteme investiert. Zudem wurden keine Kreditkarten-Daten von Kunden geklaut.

Die Swiss rechnet mit einem Flugvolumen im Vergleich zu vor Corona von 50 Prozent bis Ende Jahr. Und Sie?

Da wage ich noch keine Prognose, da sich die die Lage in Europa wie gesagt rasch und wesentlich ändern kann. Die Situation ist je nach Land unterschiedlich. In unserem Simulator-Center in Mailand herrscht inzwischen fast schon wieder Normalbetrieb. Davon ist man in Grossbritannien noch weit entfernt. Deshalb gehen wir die Planung Schritt für Schritt an, Monat für Monat.

Dennoch: Erachten Sie 50 Prozent als realistisch oder optimistisch?

Es ist wirklich noch zu früh für so eine Einschätzung. Die nächsten Wochen werden uns aber sicherlich Aufschluss geben für das wichtige Sommergeschäft im Juli und August.

Ihr Personal ist in Kurzarbeit. Wie lange noch?

Auch das hat mit der Entwicklung der Nachfrage zu tun.

Dann anders gefragt: Können Sie dieses Jahr Entlassungen ausschliessen?

Das ist ein Thema, mit dem wir uns auf Gruppenebene befassen müssen, klar. Aber wir werden auch alles unternehmen, um solche Massnahmen bestmöglich zu verhindern. Ein Entscheid ist noch nicht gefällt.

Wo sparen Sie momentan?

Das Personal befindet sich wie gesagt in Kurzarbeit, in all unseren Märkten. Das Management hat sich zu Lohnkürzungen verpflichtet. Zudem haben wir unsere Investitionen und Projekte überprüft und drastisch reduziert. Denn die Krise ist riesengross.

Die Swiss steht in der Kritik, noch immer nicht alle Kundengelder für annullierte Flüge zurückbezahlt zu haben. Sind Ihre Rückzahlungen à jour?

Auch wir müssen unsere Kunden um Geduld bitten, da der Ansturm sehr gross war. Diese Anfragen abzuarbeiten, braucht Zeit. Wir haben aber die Umbuchungsmöglichkeiten deutlich erweitert und bieten auch Gutscheine als Option aus.

Wie sieht die finanzielle Situation bei Easyjet Switzerland aus?

Wir haben schnell reagiert, um die Liquidität sicherzustellen. Deshalb haben wir die Kosten gesenkt, unter anderem mit Hilfe der Kurzarbeit. Und dann haben wir Kredite von der Bank of England und anderen Finanzinstituten besorgt. So sind wir nun in einer stabilen Verfassung und können ein längerfristiges Grounding aushalten.

Bis zu einem Jahr?

Wir schauen uns mehrere Szenarien an, für verschiedene Längen, auch für pessimistische Szenarien, ja, denn wir dürfen nichts ausschliessen, wenn es zum Beispiel zu einer zweiten Welle kommt. Aber wir stehen gut da und in vielen Ländern verbessert sich die Lage.

Easyjet ist beim Rettungspaket der Schweizer Regierung für Airlines leer ausgegangen, im Gegensatz zu den Lufthansa-Töchtern Swiss und Edelweiss. Haben Sie für den Entscheid Verständnis?

Ich begrüsse es, dass die Schweiz die Aviatik als systemrelevant einstuft und sie unterstützen will. Dass die Unterstützung dann aber nur an einzelne Firmen geht, ist schwer nachvollziehbar. Ich erwarte, dass alle Firmen, die hier basiert sind und hier Leute anstellen, berücksichtigt werden. Die Hilfsmassnahmen sollten für jeden gelten. Wir befinden uns deshalb noch immer im Dialog mit der Regierung und hoffen auf eine Lösung in den nächsten Wochen oder Monaten.

Easyjet könnte einen regulären Covid-Unterstützungskredit bis zu 20 Millionen Franken beantragen. Sie hoffen also auf einen höheren Betrag?

Ja, aber es gibt auch noch andere mögliche Massnahmen. Das besprechen wir aber mit der Regierung.

Der Bundesrat kam bekanntlich zum Schluss, dass die Liquidität Ihrer Muttergesellschaft ausreicht. Auch Analysten von Bernstein Research meinten im März, dass Ihrer Firma das Geld ein Jahr lang ausreichen würde, der Lufthansa-Gruppe hingegen nur vier Monate.

Zu diesen Angaben möchte ich keine Stellung nehmen. Nur so viel: Es sollte doch kein Nachteil für uns sein, dass wir so rasch wie möglich reagiert haben und für eine gesunde Liquidität gesorgt haben.

Easyjet hat angekündigt, die Flottenerneuerung nach hinten zu verschieben. Das heisst, dass die älteren, weniger ökologischen Flugzeuge länger fliegen. Beenden Sie dann die Opposition gegen die Kerosinsteuer, die in der Schweiz geplant ist?

Mit der neuen Flottenplanung sichern wir unsere Liquidität. An unserem Engagement für nachhaltiges Fliegen ändert sich aber nichts. Wir kompensieren weiterhin die CO2-Emmissionen für den Treibstoffverbrauch aller Flüge. Langfristig setzen wir auf Innovationen, wie die Zukunft des Fliegens elektrisch zu gestalten ist.

Und was ist mit der Kerosinsteuer?

Um nach einer solchen Krise die Aviatik-Industrie wieder zu stabilisieren, sind zusätzliche Steuern nicht hilfreich.

Sind Sie mit Zürich, Genf und Basel in Gesprächen für tiefere Flughafengebühren?

Ja, so wie wir mit allen Partnern Gesprächen führen. Wir müssen schauen, dass alle das Risiko gemeinsam tragen können.

Welche zusätzlichen Hygienemassnahmen führen Sie an Bord ein?

Alle Passagiere und alle das Kabinenpersonal müssen während des Fluges eine Maske tragen. Über Nacht reinigen wir die Flugzeuge noch intensiver mit Desinfektionsmitteln, um alle Bakterien und Viren zu töten. Und beim Boarding werden die Passagiere ihre Boardingkarte in der Hand behalten und selber scannen. Und für die nächsten Wochen haben wir den Verkauf von Essen und Getränken eingestellt, genauso wie von Duty-Free-Artikeln.

Was ist mit neuartigen Massnahmen wie Plexiglas-Trennwände für die Sitze oder Desinfektionsroboter mit UV-Licht?

Das ist momentan kein Thema. Es ist auch wichtig, dass es für die ganze Industrie Standards geben wird, an denen sich alle Airlines orientieren können.

Was würde es bedeuten, wenn Sie den Mittelsitz jeweils frei lassen müssten?

Internationale Flugbehörden haben diese Massnahme analysiert und sind klar zum Schluss gekommen, dass dies keine Verbesserung bringt, wenn alle an Bord bereits eine Maske tragen.

Mit welchen längerfristigen Folgen rechnen Sie für die Luftfahrt nach Corona?

Diese Krise wird ihre Spuren hinterlassen. Sei es an Bord, aber auch in der Buchhaltung der Airlines. Denn all die Liquiditätsmassnahmen kommen nicht gratis. Wir werden alle Kredite zurückzahlen müssen. Bestimmte Projekte werden länger warten müssen.

Viele Experten und auch der Swiss-Chef glauben, dass die Preise künftig steigen werden. Hat die Billigfliegerei eine Zukunft?

An der Preisdynamik wird sich nichts ändern. Die Nachfrage bestimmt die Preise. Unser Ziel ist es, auch in Zukunft wettbewerbsfähige Preise anzubieten, sowie die besten Verbindungen in Europa. Und unsere Kosteneffizienz bleibt auch bestehen.

Dann wird es auch künftig Europa-Flüge für 19 Euro geben?

Wir richten unsere Preise wie gesagt nach der Nachfrage und diese entscheidet am Schluss. Je frühzeitiger die Kunden buchen, desto attraktivere Preise stehen ihnen zur Verfügung.

Und wohin fliegen Sie als erstes?

Das weiss ich noch nicht. Aber ich werde sicher auf einem unserer ersten Flüge Mitte Juni sein. Das wird aber ein Geschäftsflug. Denn Ferien sind für mich derzeit kein Thema.