Transfers: Wird der Mensch zur Ware? MIT AUDIO

Pascal Kamber: Stell Dir vor, Du sitzt in Samnaun vor dem Computer und steckst mitten in der Arbeit. Aus dem Nichts bittet Dich der Chef in sein Büro und teilt Dir mit, dass Du ab sofort nicht mehr für diesen Standort des Unternehmens tätig sein darfst, sondern vom nächsten Tag an in Genf arbeiten musst. Ohne Möglichkeit auf Einsprache oder dergleichen. In etwa so dürfte es dem Schweizer Basketballer Clint Capela letzte Woche ergangen sein, als ihm mitgeteilt wurde, dass er innerhalb der National Basketball Association (NBA) von den Houston Rockets zu den Atlanta Hawks abgeschoben wurde – im Wechsel, einem «Trade», für einen anderen Spieler. An Capelas Stelle käme ich mir ziemlich veralbert vor, deshalb die Frage: Macht ein solches Transfersystem, wie es im US-Sport gehandhabt wird, wirklich Sinn?

Michael Wyss: Es kommt mir manchmal auch vor wie moderner Menschenhandel. Allerdings gibt es entscheidende Unterschiede: Die Protagonisten in einer der vier grossen US-Profiligen haben den Weg freiwillig gewählt und sie erhalten für ihren Einsatz grösstenteils einen satten Lohn, von dem wir «Normalos» nur träumen können. Wer zahlt, befiehlt, so einfach ist das.

PKA: Das mag so sein, nur erhalten die Spieler den fetten Gehaltscheck am Ende sowieso. In Europa funktioniert der Transfermarkt bekanntlich anders, und sie werden trotzdem mehr als genug entlöhnt. Ausserdem weiss ich nicht, ob es das viele Geld wert ist, in der ständigen Angst zu leben, am nächsten Tag mit Frau und Kindern das gewohnte Umfeld verlassen zu müssen. Respekt vor den Leuten, die mit diesem Druck umgehen können.

MWY: Dafür sind die Möglichkeiten, das System auszunutzen, in den USA von Anfang an beschränkt. In Europa hat es in den letzten Jahren immer mehr Fälle gegeben, in denen sich ein Spieler seinen Wechsel erstreikt oder erstritten hat. Was nützt ein Kontrakt, wenn die Vereine sowieso am deutlich kürzeren Hebel sitzen? Diese Verträge sind oft nicht einmal das Papier wert, auf dem die Abmachungen stehen. Was mich ausserdem am System in den USA fasziniert, ist, dass es stets Bestrebungen gibt, die Ligen möglichst spannend zu gestalten.

PKA: Was ist verkehrt daran, seine Arbeitsstelle zu wechseln, wenn es einem am alten Ort nicht mehr passt? Über die Art und Weise kann man sich streiten, aber im Grundsatz will der Spieler nur seinen Wunsch in die Tat umsetzen. Wie heisst es so schön: Reisende soll man nicht aufhalten. Ausserdem erhält der bisherige Klub im Idealfall eine Ablösesumme und kann die Bussenkasse aufpolieren. Und das Beispiel der Edmonton Oilers zeigt, dass der erhoffte Effekt des geringeren Levelunterschieds nicht immer eintrifft. Seit der Saison 2009/10 haben die Kanadier in der National Hockey League (NHL) nur einmal die Playoffs erreicht, ansonsten gehörten sie mehrheitlich zu den drei schlechtesten Teams der Liga – trotz mehreren Trades und Nummer-1-Picks beim Draft.

MWY: Das ist ein Negativbeispiel, es gibt aber auch die positiven. Etwa die San Francisco 49ers, die im diesjährigen Super Bowl nur knapp unterlagen. In der Regular Season haben die 49ers 13 von 16 Partien für sich entschieden. Das ist mehr als in den drei Jahren zuvor zusammen! Mir gefällt, dass man alle Vereine mit möglichst gleich langen Spiessen ausstattet und stets darum besorgt ist, die Ausgeglichenheit zu fördern – auch wenn es trotzdem immer wieder Dominatoren über ein paar Jahre hinweg gibt. So kann der Erfolg nicht wie in vielen anderen Sportarten, Ligen und Ländern gekauft werden.