«Delta» lässt auch die Dauer des Impfschutzes schrumpfen – sieben Fragen und Antworten

1. Was ist anders an der Lage als vor einem Jahr?

Bezüglich der Anzahl Hospitalisationen befinden wir uns auf demselben Niveau wie am 13. Oktober 2020. Damals ging es noch vier Wochen zum Höhepunkt mit 244 Spitaleinweisungen pro Tag und vielen verschobenen Operationen. Die aktuellen Massnahmen sind ähnlich locker wie bis Mitte Oktober 2020 – wobei aktuell zum Beispiel an Arbeitsplätzen noch häufiger Masken getragen werden und mehr Leute Homeoffice machen.

Der grosse Unterschied: Heute sind 51 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft und rund 25 Prozent haben eine Infektion durchgemacht (wobei sich die beiden Gruppen überlappen). Ein weiterer Faktor, der das Infektionsgeschehen bremst: Die Temperaturen sind noch etwas höher; die Leute noch mehr draussen.

Allerdings haben wir es mit einer doppelt so ansteckenden Virusvariante zu tun, die zudem für schwerere Verläufe sorgt. Das schwächt auch den Impfschutz: Es sind nun fünfmal mehr Antikörper nötig für einen ausreichenden Schutz vor einer Infektion.

Und während die Corona-Ursprungsvariante einen Reproduktionswert von 2–4 hatte (ein Infizierter steckt ohne Massnahmen durchschnittlich so viele weitere an), liegt er nun bei 6–7. Das ist noch nicht ganz so ansteckend wie die Windpocken (10–12), aber der Schutz in geschlossenen Räumen fällt viel schwerer – auch mit Maske.

2. Schützen normale Masken gegen Delta?

Wegen der höheren Infektiosität von Delta reicht eine geringere Menge eingeatmeter, infektiöser Aerosole, um sich anzustecken. Hygiene-Masken schützen je nach Dauer und Virenlast in einem Raum ungenügend. Der amerikanische Epidemiologe Michael T. Osterholm sagt, der Schutz einer gewöhnlichen Maske sei nicht null, «aber nicht die Art von Schutz, die man mit einer FFP2-Maske hat». Das Problem der FFP2-Masken bleibt, dass sie oft nicht anliegend getragen werden. Richtig getragen, sind sie aber nicht für mehrere Stunden geeignet, da der Atemwiderstand höher ist.

3. Schützt eine Impfung besser oder eine Infektion?

Erwiesen ist, dass Geimpfte nach der zweiten Impfung zwei- bis viermal mehr Antikörper im Blut haben als Genesene. Und die Corona-Taskforce schreibt, der Schutz nach einer Impfung sei länger. Doch eine neue, noch ungeprüfte Studie aus Israel um Ariel Israel zeigt, dass die Zahl der Antikörper bei Biontech/Pfizer-Geimpften schneller sinkt: Mit jedem Monat um jeweils bis zu 40 Prozent gegenüber dem Vormonat.

Bei den Genesenen sank sie um weniger als 5 Prozent pro Monat. So hatten einige Geimpfte (16%) nach sechs Monaten nicht mehr ausreichend Antikörper – bei den Genesenen dauerte es mindestens neun Monate, bis eine etwas kleinere Gruppe nicht mehr genug geschützt war.

4. Wie lange hält der Schutz je nach Alter?

«Mit der Delta-Variante halte ich in Hochbetagten eine Reinfektion nach sechs Monaten und in Jüngeren nach neun Monaten für möglich», sagte Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie in Zürich, gegenüber dem «Beobachter». Somit sind jene Risikopersonen in der Schweiz, die bereits im Februar geimpft worden sind, bereits wieder gefährdet. Ruhig in den Winter gehen können laut Münz jene, die ihre erste Dosis ab Mai bekommen haben.

Die Frage ist aber nicht nur, wie hoch das Risiko einer Infektion ist, sondern vor allem jenes für einen schweren Verlauf. Die Taskforce ging im Juni noch davon aus, dass jüngere Erwachsene drei Jahre lang vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt sind, Senioren bis zwei Jahre – doch Delta hat auch diese Zeitspanne erheblich reduziert.

5. Ist die Booster-Impfung nötig?

Die Hoffnung, dass die Immunität mit Antikörpern der Impfung ein Jahr anhält, hat sich zerschlagen. Und die zweite Immun-Abwehr des Körpers, die T-Zellen, schützen Risikopersonen offenbar nicht immer genügend vor schweren Verläufen. Der Bund stellt sich aber auf den Standpunkt, für den Nutzen der 3. Dosis gäbe es noch zu wenig Gewissheiten.

6. Ist es gut, wenn Geimpfte nun mit «Delta» Kontakt haben?

Ja, für frisch Geimpfte kann das besser sein, als wenn sie sich erst nach Monaten mit der Delta-Variante infizieren. «Solange die Immunisierung noch nicht zu lange her ist, ist die Reinfektion gut», sagt Christian Münz von der Corona-Taskforce. Sie verläuft meist mild und frischt die Immunabwehr auf – die Antikörper steigen wieder.

Da aber viele ungeimpft sind und auch für jene, die als erste geimpft wurden, eine Infektion mit «Delta» schon gefährlich sein kann, sollte trotzdem niemand den Kontakt zu Infizierten suchen. Geimpfte hätten nach einer Infektion zwar einen länger anhaltenden Schutz als je zuvor – aber sie gefährden damit indirekt die Überlastung der Spitäler. Und mit einem geringen Risiko auch sich selbst.

7. Schützt AstraZeneca besser als Biontech/Pfizer?

Der anfängliche Impfschutz der mRNA-Impfungen ist rund 15 Prozent höher als jener von AstraZeneca. Doch aktuell steht England, das AstraZeneca verimpft, trotz ähnlicher Impfquote in der Delta-Welle besser da als Israel, wo mit Biontech/Pfizer geimpft wird.

Möglicherweise schützt AstraZeneca länger: In der «Financial Times» spekulierte Thomas Hanke, Immunologieprofessor in Oxford, dass dies der Fall sein könnte, weil das Antigen (das Spike-Protein) länger im Körper sei und so eine länger anhaltende Immunität generieren könnte. Dies, weil diese Impfung ein Stück DNA in die Zelle bringt, das dort während einer gewissen Zeit die Antigenproduktion laufen lässt. Bei der mRNA-Impfung hingegen wird eine endliche Zahl Moleküle in der Zelle freigesetzt, derer sich der Körper mit der Zeit wieder entledigt.

Eine andere Erklärung dafür, dass Israel mehr Hospitalisationen hat als England, wäre, dass das Impfen einen Monat später startete und der Schutz deshalb früher schwindet.