
Wie diese Aargauerin mit ihrer Glutenunverträglichkeit leben gelernt hat
Claudia Gabathuler ist eine offene, herzliche Frau, die kein Problem hat, auf Menschen zuzugehen. Das hilft ihr immer wieder, heikle Situationen etwa in einem Restaurant zu umschiffen. Sie leidet nämlich an Zöliakie (vgl. Box unten). Sie muss höllisch aufpassen, ob sie etwas isst, das normales Mehl enthält. Denn im Restaurant muss sie manchmal fast detektivische Fähigkeiten entwickeln, um sicher zu stellen, dass ein bestimmtes Menu wirklich glutenfrei ist und nicht irgendwoher Spuren von normalem Mehl enthält.
Jeder und jede hundertste ist betroffen
In der Schweiz sind ungefähr ein Prozent der Bevölkerung, also etwas über 80’000 Personen, von Zöliakie betroffen. Inzwischen gibt es auch Schätzungen, es könnte gar jeder dritte sein, viele wissen es aber (noch) nicht. Bei ihnen führt Gluten, das Klebereiweiss in verschiedenen Getreidesorten (Hafer, Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel) zu einer Schädigung der Dünndarmschleimhaut. Nährstoffe wie Kohlenhydrate, Fette, Eiweisse, Vitamine und Mineralstoffe können dadurch schlechter aufgenommen werden und stehen dem Körper nicht mehr ausreichend zur Verfügung. Diese Defizite können Mangelerscheinungen (etwa Eisenmangel) und entsprechende Folgen (etwa Blutarmut) auslösen. Mit glutenfreier Ernährung ist in der Regel ein beschwerdefreies Leben möglich. (mku)
Wenn sie so etwas unwissentlich isst, hat sie spätestens drei Stunden danach heftigste Bauchschmerzen, muss sich übergeben, zur Toilette rennen. Am liebsten geht sie deshalb in Restaurants, wo sie schon gute Erfahrungen gemacht hat: «Dort habe ich nie Probleme mit dem Essen, denn sie wissen genau, worauf sie achten müssen.»
Vor der Diagnose im Jahr 1989 litt sie unter grossen Problemen. Kurz nach der Geburt ihres Sohnes machten sie einen Italienaufenthalt mit viel Pizza, Pasta und Weissbrot. Danach ging es ihr besonders schlecht. Ihr Arzt tippte erst auf eine Lebensmittelvergiftung. Über eine Darmspiegelung fand man dann den wahren «Übeltäter».
«Uns fiel auf, dass unsere Tochter nicht mehr wuchs»
Ihre 1990 geborene Tochter leidet seit dem fünften Lebensjahr ebenfalls unter Zöliakie: «Uns fiel auf, dass sie nicht mehr wuchs und nicht mehr an Gewicht zulegte. Als wir die Diagnose hatten, mussten wir sehr aufpassen, dass unsere Tochter im Kindergarten nicht mit Gspänli den Znüni tauschte. Wir gaben ihr natürlich nur glutenfreies Essen mit.»

Claudia Gabathuler zerschneidet ein selbstgebackenes Brot. Das Mehl dafür kostet sechsmal soviel wie das günstigste im Laden.
Das A und O in so einer Situation ist Kommunikation, weiss Claudia Gabathuler. Sie erklärte es der Kindergärtnerin (sie selbst ist auch – frisch pensionierte – Kindergärtnerin). Diese wiederum erklärte den Kindern, warum ihr Gspänli beim Essen so aufpassen muss. An Elternabenden in der Schule bekam Claudia Gabathuler jeweils auch ein Zeitfenster dafür. Sie hat so gute Erfahrungen gemacht, sagt sie, «aber wir müssen uns outen und sagen, welche Krankheit wir haben. Das ist nicht jederfraus Sache.» Auch in ihrem Verwandten- und Freundeskreis weiss man um ihre Zöliakie.
Beim Kochen für die Familie brauchte sie immer doppelt so viele Töpfe
Doch Gabathuler ist bewusst, dass bei einer Einladung nicht immer alle daran denken. Um unangenehme Situationen zu vermeiden, telefoniert sie jeweils vorher und bietet an, etwas für sich mitzubringen, damit es ihretwegen nicht noch extra viel Arbeit gibt. Denn extra Arbeit ist das: «Wenn ich für unsere vierköpfige Familie kochte, brauchte ich immer doppelt so viele Töpfe: ein Menu für Ehemann und Sohn, eins für ihre Tochter und für sich selbst.»
Flieger hatte Verspätung, weil Crew noch schnell glutenfreies Essen organisierte
Bei einer langen Flugreise spricht Claudia Gabathuler schon beim Einsteigen die Flugbegleiter an, ob sie glutenfreies Essen haben. Als es mal nach Kuba ging, verneinte die Flugbegleiterin erschrocken. Dieses Essen wurde dann in Windeseile organisiert. Das Flugzeug hob dafür verspätet ab. Claudia Gabathuler ist der Crew heute noch sehr dankbar. 12 Stunden ohne etwas im Magen, während rundherum alle essen können, das wäre hart gewesen.

Claudia Gabathuler zeigt, wie sie sich mit ihrer Krankheit arrangiert hat. Hier selbst gebackene glutenfreie Amaretti.
Beim Einkauf in Reformhäusern bekommt man mittlerweile viele glutenfreie Produkte auch in Bio-Qualität. Bei den Grossverteilern legt man jeweils einen Marathon zurück, um glutenfreie Produkte zu finden. Ein grosser Wunsch von Claudia Gabathuler wäre, dass die Grossverteiler ein separates Gestell mit diesen Produkten einrichten würden. Da sähe sie auch, was es mittlerweile alles gibt, sonst entdeckt sie es oft eher zufällig.
Klagen mag sie aber nicht. Der Vegan- und glutenfrei-Boom helfe den Zöliakiebetroffenen sehr, sagt sie. Das habe viele Menschen sensibilisiert, heute gibt es viel mehr glutenfreie Produkte. Doch dieser Trend hat auch seine Kehrseite, sagt Gabathuler, «denn oft werden wir dadurch mit unserer Krankheit Zöliakie nicht mehr ganz ernst genommen»!
Nur grösste Disziplin verhindert grosse Gesundheitsprobleme
Die Auswahl ist gleichwohl viel kleiner als für die ganz grosse Mehrheit, etwa beim Brot, das zudem vakuumverpackt ist, damit es nicht kontaminiert wird. Dafür braucht es nämlich sehr wenig. Claudia Gabathuler: «Wenn ich im Restaurant eine Glace bestelle, und ein Biscuit steckt drin, darf ich sie nicht mehr essen, auch wenn ich das Biscuit rausnehme. Die Glace ist dann schon kontaminiert. Esse ich sie trotzdem, bereue ich das drei Stunden später aufs bitterste.» Was sie vor der Diagnose jahrelang durchgemacht hat, will sie nicht mehr erleben, und auferlegt sich deshalb grösste Disziplin.
«Wenn ich mich strikt an die glutenfreie Diät halte (kein Hafer, Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel) geht es mir gut. Etwas anderes kann ich nicht tun, denn ein Medikament gibt es nicht.» Sie bedauert sehr, dass über ihre Krankheit so wenig geforscht wird, «wohl weil die Pharmakonzerne damit nichts verdienen können, und wir immer noch eine zu kleine Gruppe Menschen mit dieser Krankheit sind».
Nun haben allerdings laut einem Bericht von watson.ch Forscher der Universitätsmedizin Mainz in diesen Tagen als erste einen Wirkstoff entwickelt, der Menschen mit Glutenunverträglichkeit helfen könnte: der sogenannte Transglutaminase-Hemmer ZED1227.
«Veganer können verzichten, ich muss verzichten»
Wenn Veganer Claudia Gabathuler vorhalten, sie nähmen ja auch glutenfreies Essen, das sei doch nicht so schlimm, gibt sie zu bedenken, dass eine Veganerin jederzeit umstellen kann, sie kann das nicht – nie. Sie begrüsst deshalb den Vorstoss von Nationalrätin Yvonne Feri (SP, vergleiche Box unten) sehr. Solange ihre Tochter minderjährig war, bekam die Familie einen bescheidenen Beitrag von der IV, um krankheitsbedingte Mehrkosten auszugleichen.
Feri: IV-Entschädigung über 20. Altersjahr hinaus?
Neben Mangelerscheinungen als Folge von Zöliakie können auch diverse andere medizinische Probleme wie zum Beispiel Unfruchtbarkeit, Osteoporose, Haarausfall und Müdigkeit auftreten. Dies schreibt SP-Nationalrätin Yvonne Feri in einer vom Bundesrat noch nicht beantworteten Interpellation. Momentan sei die glutenfreie Diät (wie sie Claudia Gabathuler macht) die einzige Therapieform. Die Mehrkosten für die Diät betragen bis zu 200 Franken pro Monat. Momentan leistet die Invalidenversicherung (IV) bis zum 20. Lebensjahr einen Pauschalbetrag für die Mehrkosten. Sie fragt den Bundesrat, ob er bereit ist, die Fortsetzung des Anspruchs auf IV-Entschädigung der krankheitsbedingten Mehrkosten über das 20. Altersjahrs hinaus zu prüfen und damit die Benachteiligung der an Zöliakie erkrankten Menschen gegenüber Menschen mit anderen chronischen Krankheiten zu beseitigen. (mku)
Doch, so Gabathuler: «Das war ein Tropfen auf den heissen Stein. Unsere Lebensmittel sind durchwegs viel teurer. Unser Spezialmehl kostet sogar sechsmal so viel wie das günstigste Weissmehl im Laden.» Doch sie weiss sich zu helfen. Sie kocht und backt gern, verwöhnt auch die Fotografin und den Journalisten beim Gespräch in Untersiggenthal mit selbstgebackenen, fein schmeckenden glutenfreien Amaretti und ebenso selbstgemachtem Brot.
Lange leitete Claudia Gabathuler eine regionalen Selbsthilfegruppe und tauschte sich mit Betroffenen aus: «Nur so kamen wir an Informationen. Im Internetzeitalter ist das einfacher. Im Moment haben wir nur eine Chatgruppe. Da vermisse ich den persönlichen Kontakt.» Sie ist Mitglied der IG Zöliakie der deutschen Schweiz. In Riehen hat sie unlängst einen auf frische Leckereien für Zöliakiekranke spezialisierten Laden entdeckt. Ihre Begeisterung klingt heute noch nach. Gäbe es so etwas auch im Aargau, sie wäre dem Laden als Kundin sicher.