
Der Wunsch nach einem Kind machte sie zur Betrügerin
Am Anfang war der Kinderwunsch. Den Mann fürs Leben hatte die junge Frau bereits gefunden, nur die idealen Voraussetzungen für ein Kind fehlten noch. Für beide ein gesichertes Einkommen, ein Haus, Geld auf dem Sparkonto. Ohne ein finanzielles Polster habe der Partner noch keine Kinder gewollt, sagte Ingrid (Name geändert), eine Frau Mitte dreissig, als sie im Bezirksgericht Zofingen auf der Anklagebank sass.
Auf diese Bank kam sie, weil der Plan, dem künftigen Kind eine Wiege aus den perfekten Voraussetzungen zu bauen, zur Besessenheit geworden war. Wie tief sie sich dadurch in den Abwärtsstrudel stürzte, liest sich aus der Anklageschrift: Gewerbsmässiger Betrug, Steuerbetrug und Urkundenfälschung. Sie hatte ihrer Versicherung und danach der Steuerbehörde über 1000 gefälschte Rechnungen von Therapeuten geschickt und so über die Jahre 220 000 Franken ertrogen. Bis der Fiskus Verdacht schöpfte.
Massagerechnung unzählige Male gefälscht
Ist die Beklagte eine raffinierte Betrügerin, die die Tat wiederholen wird, oder wollte sie nur ihrer Familie ein finanzielles Polster schaffen? Für die Richter die relevante Frage, um zwischen Gefängnis und Probezeit zu entscheiden.
Für die Betrügerin mit Gewinnsucht sprach, dass sie mehrere Krankenkassen-Zusatzversicherungen abgeschlossen hatte, von welchen sie mit gefälschten Massagen- und Fitnessrechnungen Geld kassierte. Mehr noch, sie schloss für ihren Partner ebenfalls Zusatzversicherungen ab, indem sie seine Unterschrift fälschte. Auch für ihn reichte sie gefälschte Rechnungen ein. Die Beklagte habe dafür Wissen aus ihren Weiterbildungen genutzt und somit «sehr durchtrieben» gehandelt, sagte der Staatsanwalt. Er forderte eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren, sechs Monate davon bedingt.
Für Taten aus Verzweiflung sprachen die Schilderungen von Ingrid und ihrer Verteidigerin. Als sie im Teenageralter schwer erkrankt sei, seien ihre Eltern in finanzielle Not geraten. Das habe sie ihrer eigenen Familie ersparen wollen. Tatsächlich erkrankte sie vor ein paar Jahren wieder. Was sie in ihrem Handeln bestätigte: «Ich stelle mir vor, ich würde sterben, und mein Partner kommt mit den Kindern in Geldnot.» Und dann habe sie nach einer Massagetherapie diese Rechnung in der Hand gehalten. Damals hatte sie Schulden wegen eines Kredits, da sie zusätzlich das Studium ihres Partners finanzierte. «Reich das ein», habe sie sich gesagt, «dann kommst du auf einen grünen Zweig». Per Computer fügte sie neue Ausstelldaten ein – und verschickte regelmässig falsche Rechnungen.
Trotz dem Eifer, Geld anzusparen, gab das Paar auch grosse Summen aus. «Mein Freund wollte reisen, bevor wir Kinder haben, also haben wir ein Wohnmobil gekauft.» Später kam der Versuch dazu, ein Haus zu kaufen. «Mit Kindern kam für mich nur ein Haus infrage», sagte Ingrid. Doch das Vorhaben endete im finanziellen Desaster – und dem Fazit des Partners, dass Kinder mit solchen horrenden Schulden nicht drinlägen. Mit jedem Schritt, der sie näher zum Mutterglück führen sollte, entfernte sie sich weiter davon weg. Und spürte noch stärkeren Druck, Geld zu beschaffen.
Die Richter stimmten darüber äusserst knapp ab, wie Gerichtspräsident Thomas Meier sagte. Drei von fünf stimmten dafür, dass die zweijährige Gefängnisstrafe mit zwei Jahren Probezeit bedingt ausgesprochen wird. Hinzu kommt eine Geldstrafe von über 20 000 Franken. Die Schadenskosten hat Ingrid bereits abbezahlt. Die schwerwiegendste Konsequenz aber sprach nicht das Gericht aus, sondern Ingrid selber: «Ich kann so einem Kind kein Vorbild sein und habe beschlossen, keine Kinder zu bekommen.»