
«Stay with me» – oder nichts bleibt bestehen


«Das Sensorium für Farbe ist uns gemeinsam. Und – für mich eine Entdeckung, die Faszination für Bäume», kommentiert der Künstler Tom Fellner (*1956) im grossen Saal des Kunsthauses zur Familien-Ausstellung «Stay with me». Seine Werke sind hier oben denjenigen seines Grossvaters Otto Wyler (1887–1965), seiner Mutter Lotti Fellner (1924–2018) und seiner Tochter Anne Fellner (*1986) gegenübergestellt. Jede und jeder einzelne besteht hier vor den anderen. Der mit Stellbildern ausgelegte Parcours über Generationen und Reflexionsstufen, an denen sie sich als Direktbeteiligte an der Kunstgeschichte reiben, funktioniert auf Augenhöhe. Es wird ganz schön intim. So eben, wie wenn man Nahestehende überraschend neu sieht, sobald man sie im Familienverbund erlebt.
In diesem oberen Saal empfängt einen lebensbejahende Vitalität in Sujet, Form und Farbe. Düsternis begegnet einem auf den Gegenseiten beim Hinausspazieren. Das macht kenntlich: Die Künstlerfamilie hat Vor- und Rückseiten. Der zeitlebens erfolgreiche Grossvater Otto Wyler ist der bekannteste der vier. Lichtvolle Bildnisse, Akte, Figurendarstellungen und Landschaftsmalerei en plein air bezeugen ein vielfältiges Schaffen. Die stetige Reflexion über Form und Farbgestaltung führt ihn zunehmend zu lichtvolleren und helleren Arbeiten. Im Erdgeschoss ist ein wunderbarer symbolistischer Frauenakt oder ein Landschaftsbild in Anlehnung an Hodler zu sehen. Ein Vorbild, von dem sich Otto Wyler durch seine eigene Bildsprache löst.
Ebenerdig sind lauter kleinere und grössere Künstlerouvertüren mit Lebensbeschrieb und Selbstporträt zu finden. Lotti Fellner verfügt über die breiteste Ausdruckspalette und durchläuft den dynamischsten Entwicklungsprozess der Künstlerfamilie. Eindrücklich verleiht sie dem Bruch zwischen klassischer Moderne und moderner Abstraktion Bildhaftigkeit. Kuratorin Eva Bigler macht Lotti Fellners psychische Krankheit – Schizophrenie – auf eklatante Weise sichtbar. Zeitlebens ist die Künstlerin davon bestimmt. Ihr Selbstporträt offenbart ein feines Gefühl dafür, Innerlichkeit plastisch greifbar zu machen. Die seelischen Verhärmungen, sie sich in leicht verzogenen Gesichtszügen zweier Porträts von Patientinnen der Psychiatrie abzeichnen, berühren. Ihre eigene innerliche Zerrissenheit drückt Lotti Fellner in einem kubistischen Selbstporträt mit subtil bedrohlichen Untertönen aus. In ihrer Kunst begegnet das Publikum zwei Welten, die nicht zusammengehören können. Oder dürfen und sollen? Nicht weniger souverän sind Lotti Fellners abstrakte Bilder mit Applikationen aus späterer Zeit.
Lustvolle Ironie, entwaffnende Theatralik
Tom Fellner, der Lustvollste des Quartetts, ist mit Ironie bewaffnet. Wer ihm aufgrund seiner Motive Eskapismus unterstellt, um der Gespaltenheit seiner Mutter Lotti zu entfliehen, wird ihm nicht gerecht. Mit Witz konterkariert er veristische Malerei mit Comicfiguren und macht auf diese Weise die Theatralik und den Inszenierungsgestus der Kunst sichtbar. Flächig gemalte Monsterfiguren montiert er in Bilderrahmen und Lünetten aus der Porträtmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Oder er lässt die Farben klassischer Landschaften verlaufen und setzt Comic-Tiere und Blasen in die Idyllen. Im oberen Stock nimmt er sich Skizzen und Zeichnungen seiner Familien vor und bevölkert sie mit eigenen Fantasiegestalten.
Anne Fellner, die Jüngste der Künstlerfamilie, arbeitet unbekümmert und entwickelt ihre Bilder situativ. Statt eines Selbstporträts zeigt sie ein kleinformatiges Bild mit einer verschwommen in die Landschaft hineineilenden Person. Sie scheint primär im Arbeitsprozess Kontur zu finden. Im oberen Stock zeigt sie zwei Bilder mit Schwänen, die entweder nur einen Hintergrund vorgaukeln oder den Blick dazu versperren. Anne Fellner spielt mit Erwartungen, klappt Landschaften auf oder lässt sie auch kippen. Symbole setzt sie als Farbelemente, klatscht auch mal einen fiktiven Schmetterling in die Bildecke. Nicht als Bedeutungsträger, sondern als strukturierte Farbfläche, die das Bild trägt. Textilbilder zu fertigen, fasziniert sie, weil sie wegschneiden kann, was ihr nicht gefällt. Was ihr Urgrossvater Otto Wyler wohl dazu sagen würde? Es wäre eine Spekulation wert.
Die Ausstellung dauert vom 21. August bis 24. Oktober. Samstag, 21. August, anstatt einer Vernissage: Open House 11 bis 17 Uhr. Weitere Infos: www.kunsthauszofingen.ch

