
Gerechte Wahlen sind kompliziert
WAHLSERIE
Vor hundert Jahren wechselte die Schweiz für ihre Nationalratswahlen vom Majorz- zum Proporzsystem. Eine Wahlserie wirft einen Blick zurück ins Jahr 1919, zeigt aber auch die Unterschiede zwischen dem Proporz bei Gross- und Einwohnerratswahlen sowie demjenigen bei den Nationalratswahlen auf. In dieser Folge die Wahlsysteme unserer Nachbarländer.
Demokratie hat viel mit Mathematik zu tun. Insbesondere, wenn es um Wahlen geht. Wie handhaben unsere Nachbarländer ihre Parlamentswahlen? Wie bestimmen sie, wer gewählt ist und wer nicht?
Beginnen wir mit der Bundesrepublik Deutschland. Diese vermischt für ihre Wahlen in den Bundestag die an sich grundverschiedenen Systeme Majorz und Proporz. In jedem der 299 Wahlkreise wird eine Person im Mehrheitswahlrecht direkt gewählt. Daneben geben die Stimmberechtigten eine zweite Stimme für eine Parteiliste (Proporz) ab.
631 Sitze 2013 – vier Jahre später sind es 709
Was geschieht, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt, als ihr durch die Zweitstimme und damit durch den Proporz zustehen? Direktmandate können nicht einfach gestrichen werden – da sie ja genauso demokratisch zustande gekommen sind. Man teilt deshalb alle Sitze zu – was zu sogenannten Überhang- oder Zusatzmandaten führt. Um dem Proporz dennoch nachzuleben, gibt es für die zu kurz gekommenen Parteien Ausgleichsmandate. Die Folge: Der Bundestag zählt Legislatur für Legislatur unterschiedlich viele Mitglieder – nach den Wahlen 2013 waren es 631 und vier Jahre später 709.
Ebenfalls eine Mischung aus Proporz und Majorz ist das aktuelle italienische Wahlsystem. Zwei Drittel der Sitze werden proportional über Parteilisten vergeben und ein Drittel nach Majorz in Einerwahlkreisen. Im Gegensatz zu Deutschland haben die Wählenden keine Zweitstimme. Der Wähler kann entweder sein Votum für einen Kandidaten in seinem Wahlkreis abgeben oder für eine Parteiliste. Nach diesem System werden sowohl die 630 Mitglieder der Abgeordneten- Kammer wie auch die 315 Senatorinnen und Senatoren bestimmt. Frankreich wählt die 577 Mitglieder der Nationalversammlung in einem reinen Mehrheitsverfahren mit zwei Wahlgängen. Im ersten Durchgang ist ein Abgeordneter eines Wahlkreises gewählt, wenn er mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erzielt hat. Wurde niemand gewählt, darf für einen zweiten Wahlgang antreten, wer mindestens 12,5 Prozent der Stimmen erhalten hat. Wer die meisten Stimmen bekommt, ist Sieger.
Österreich lässt 16-Jährige das Parlament mitwählen
Und Österreich? Hier ist speziell, dass bereits 16-Jährige wählen dürfen – aber erst mit 18 in ein Amt gewählt werden können. Die Vergabe der 183 Sitze im österreichischen Nationalrat erfolgt in 39 Regionalkreisen nach dem Proporzwahlrecht. Dieses ist recht kompliziert ausgestaltet, in dem es – wie der «Pukelsheim» im Aargau – für einen proportionalen Ausgleich über die Wahlkreisgrenzen hinaus sorgt.