
Polizeivertreter nach Bundesgerichtsurteil zum Hanf: «Wir haben langsam genug»
Jugendliche, die mit weniger als zehn Gramm Hanf in der Tasche erwischt werden, gehen künftig wie Erwachsene straffrei aus. Dies hat das Bundesgericht entscheiden. Die SVP und die vor Gericht unterlegene Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich haben bereits Kritik am Urteil geübt, nun schaltet sich der Generalsekretär der Polizeibeamten, Max Hofmann, in die Debatte ein.
Was halten Sie vom jüngsten Urteil des Bundesgerichts?
Der Entscheid mag dem Gesetz entsprechen, die Konsequenzen sind allerdings höchst widersprüchlich. Geht es um Drogen, sprechen alle immer von Jugendschutz. Da steht dieses Urteil reichlich schräg in der Landschaft.
Weshalb? Der Konsum wird ja weiterhin strafrechtlich verfolgt.
Ja, aber das Zeichen ist fatal. Halten wir einen Jugendlichen mit 9,5 Gramm Cannabis im Rucksack auf, müssen wir ihn künftig ziehen lassen. Dabei reicht diese Menge für etwa 20 Joints. Es wäre wichtig, dass sich ein solcher Jugendlicher mit den gesundheitlichen Gefahren auseinandersetzen würde. Doch zu einem Präventionskurs verpflichten, können ihn die Behörden nach dem Urteil leider nicht mehr.
Die Entkriminalisierung ist doch politisch gewollt.
Wir wollen die Jugendlichen ebenfalls nicht kriminalisieren. Aber wir müssen sie vor den Gefahren schützen. Studien zeigen, dass sich die Gehirne von jungen Menschen deutlich verändern, wenn sie Cannabis konsumieren. Deshalb ist Vorsicht geboten.
Müssten Sie nicht froh sein über das Urteil aus Lausanne? Schliesslich werden die Polizeibeamten künftig weniger eingreifen müssen.
Daran habe ich Zweifel, schliesslich ist die Substanz weiterhin verboten und wird deshalb eingezogen. Vor allem aber sind wir Polizeibeamten auch Menschen. Es geht um den Jugendschutz, der ist uns wichtig. Es ist doch völlig absurd: Bei Alkohol und Tabak ist allen klar, dass es für Minderjährige strengere Regeln braucht. Doch ausgerechnet beim Besitz vom Cannabis – einer verbotenen Substanz – sind Jugendliche und Erwachsene gleichgestellt!
Ist das ein Appell an die Politik?
Die Cannabis-Politik muss von Grund auf hinterfragt werden. Die geltenden Gesetze sind schwammig und widersprüchlich. Es kann nicht sein, dass wir Polizisten weiterhin diese Misere ausbaden müssen. Die Polizei braucht ein klares Gesetz mit einem starken Jugendschutz, das umsetzbar ist. Das ist mein Appell an die Politik.
Und wie soll dieses Gesetz konkret aussehen?
Das ist Sache der Politik.
Die hat ja bereits reagiert. Seit Oktober 2013 kann die Polizei kiffende Erwachsene mit einer Ordnungsbusse von 100 Franken belegen – eine deutliche Entlastung für die Strafverfolgung.
Für die Justiz, ja. Nicht aber für die Polizei, das hat eine Studie klar gezeigt. Uns bringt das System der Ordnungsbussen vor allem mehr Arbeit. Viele Kiffer können oder wollen die Busse nicht gleich vor Ort begleichen. Wir müssen dann im Büro eine Rechnung stellen und teilweise ein Verfahren zur Einziehung des Geldes eröffnen. Von Entlastung kann keine Rede sein!
Die Politik arbeitet auch an Pilotprojekten zur versuchsweisen Abgabe von Cannabis in den Städten.
Und auch hier wird die Polizei die Sache ausbaden müssen. Wer wird kontrollieren, dass der THC-Gehalt nicht über der Norm liegt? Wer wird sicherstellen, dass der Hanf nicht weiterverkauft wird? Wer kontrolliert die Abgabebetriebe? Das wird ein Chaos bei der Umsetzung geben. Dabei haben wir schon genug zu tun.
Wen sehen Sie in der Verpflichtung?
Der Bund macht es sich viel zu einfach. Er will die Pilotprojekte zulassen, stellt aber keinen Franken zur Verfügung. Und die Städte sind sich ebenfalls nicht bewusst, auf was sie sich da einlassen. Wir haben langsam genug. Es wird immer mehr von uns verlangt, ohne dass wir das nötige Personal dafür erhalten.
Ist es nicht sinnvoll, dass die Politik im kleinen Rahmen ausprobiert, welche Folgen eine Legalisierung haben würde?
Es braucht keine weiteren Tests. Es gibt genügend Erfahrungen aus anderen Ländern. Wir müssen endlich die Diskussion führen, wie wir mit dieser Substanz umgehen wollen: Braucht es eine kontrollierte Legalisierung? Oder im Gegenteil strengere, aber praxistaugliche Regeln? Mit den Pilotprojekten verlieren wir weitere zehn Jahre. Für die Polizisten geht damit die unbefriedigende Lage weiter.
Ihr Verband hat kürzlich das Cannabis als «politisches Sorgenkind» bezeichnet. Was meinen Sie damit?
Die unbefriedigende Strafverfolgung von Cannabis ist alt und allen bekannt. Doch die Politik ist unter einer Cannabis-Rauchwolke verschwunden. Die Sicht ist getrübt und eine Lösung nicht absehbar. Ich frage mich ernsthaft, ob nach elf Jahren eine erneute Volksabstimmung nicht Klarheit schaffen könnte. Es braucht einen Befreiungsschlag des Volkes. Dann hätten wir Klarheit, in welche Richtung es gehen soll. Das könnte die Arbeit der Polizei stark erleichtern.
Es ist eine Volksinitiative in Vorbereitung. Unterstützen Sie diese?
Das werden wir zu gegebener Zeit entscheiden. Begrüssenswert ist auf alle Fälle die grundsätzliche Debatte. Wir sind derzeit in Detaildiskussionen gefangen. Anstatt die Bedingungen einer Legalisierung für Erwachsene zu diskutieren, hebeln wir den Jugendschutz aus. Das ist irrsinnig.
Kiffer werden geschont – können sie den Hanf bald behalten?
Es passiert schleichend, doch die Veränderungen sind unübersehbar: Wer zum Joint greift, muss sich heute deutlich weniger Sorgen vor der Polizei machen als noch früher.
Seit rund sechs Jahren gilt ein neues Gesetz. Demnach werden Erwachsene, die beim Kiffen erwischt werden, nur noch mit 100 Franken gebüsst. Ein eigentliches Strafverfahren entfällt. Gar straffrei ist der blosse Besitz von Cannabis bis zu 10 Gramm; dieses wird einzig eingezogen. Die neuen Regeln griffen nicht sofort. Vor allem in der Westschweiz aber auch in Kantonen wie St.Gallen büsste die Polizei weiterhin Besitzer von Kleinmengen Cannabis. Im Jahr 2017 bestätigte dann das Bundesgericht die neue Linie, worauf viele Kantone einlenkten. Wurden früher jährlich rund 18’000 Personen gebüsst, waren es im vergangenen Jahr nur noch 7153. Diese Zahl dürfte weiter sinken, denn selbst die St.Galler Kantonspolizei, die im vergangenen Jahr landesweit jede sechste Busse ausgestellt hatte, sanktioniert seit März keine Kleinmengen mehr.
Der starke Rückgang der Bussen dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Polizei beim Konsum ebenfalls nicht mehr so entschlossen durchgreift. Hinter vorgehaltener Hand räumen Polizisten ein, dass man lieber auf die andere Strassenseite sehe, anstatt sich mit der undankbaren Aufgabe aufzuhalten.
Erschwert hat die Polizeiarbeit das Aufkommen von legalem Hanf. Der nach dem entspannenden Wirkstoff Cannabidiol benannte CBD-Hanf sieht gleich aus wie Drogenhanf und riecht auch so. Für Kiffer ist es so ein Leichtes zu behaupten, sie konsumierten legales CBD-Gras. Ein Test der Substanz ist zwar möglich, muss aber im Labor durchgeführt werden und kostet zwischen 150 und 500 Franken. Die ersten Polizeikorps haben jüngst begonnen mit Schnelltests auf der Strasse zu arbeiten. Weit verbreitet ist das Instrument allerdings noch nicht. Viele Polizisten überlegen es sich darum zweimal, eine kiffende Person zur Rede zu stellen.
Nicht nur bei den Erwachsenen hat die Repression nachgelassen. Nach dem jüngsten Urteil des Bundesgerichts gibt es beim Besitz von Cannabis keinen Unterschied mehr zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Damit kommen auch Minderjährige bis zu einer Menge von zehn Gramm straffrei davon.
Jus-Student Till Eigenheer will noch weitergehen. Er ist überzeugt, dass auch der polizeiliche Einzug des Cannabis widerrechtlich ist. «Wenn der Besitz straffrei ist, darf das Hanf auch nicht eingezogen werden», sagt Eigenheer, der regelmässig Kiffer vor Gericht vertritt. Er will möglichst bald ein Urteil des Bundesgerichts erwirken. Chancenlos sei dies nicht, sagt Anwalt und Betäubungsmittelexperte Stephan Schlegel. Er anerkennt Eigenheers Argument. Andererseits könne man argumentieren, dass der Hanf aus einem Straftatbestand stamme (dem Anbau) oder für einen Straftatbestand bestimmt ist (dem Konsum). «Hier wird schlussendlich wohl das Bundesgericht entscheiden müssen», sagt Schlegel.