
Neue Musik: Kostproben aus unbekannten Klangwelten
Das Programm bestand aus fünf Uraufführungen und einer Erstaufführung, alle Kompositionsaufträge erteilte das «Ensemble für neue Musik» (Zürich). Die Werke sind nicht nur neu oder besser gesagt zeitgemäss im Stil und Charakter, sondern auch aktuell von der Entstehung her. Den Anstoss dazu gab die Einladung des Ensembles an das «International New Music Festival 2019» in St. Petersburg. Dies war der Grund zur Vergabe der Kompositionsaufträge, die passgenau auf das Ensemble unter der Leitung von Sebastian Gottschick zugeschnitten sind: Hans-Peter Frehner (Flöte), Nicola Katz (Klarinette), Philipp Meier (Klavier), Lorenz Haas (Schlagzeug), Annina Wöhrle (Violine) und Nicola Romanò (Violoncello).
Klimawandel – auch in der Musik?
Seit jeher hat die klassische Musik die Veränderungen in der menschlichen Kultur und Gesellschaft vorweg wahrgenommen. So überrascht es nicht, dass verfallende Werte wie Harmonie und seelischer Ausgleich in der zeitgenössischen Musik nicht zu finden sind und Spannung, «Misstönen» und extremen Zuspitzungen weichen mussten. Die täglichen Nachrichten geben durch die heutigen Kommunikationsmittel ein Bild davon, und das Wetter macht die herrschende Unruhe für jedermann ersichtlich. So ist auch die Musik zu einer sogenannten «Performance» geworden: Situationsbezogen, handlungsbetont und vergänglich. Wer also die Botschaft dieses Konzertes aufnehmen wollte, musste alles, was bislang unter «Musik» verstanden wurde, vergessen. Man müsse offen sein für die Ausdrucksweise der neuen Musik und sich bewusst sein, welche Anforderungen deren Interpretation an die Ausübenden stelle, viel höhere jedenfalls als die herkömmliche, vertraute Musikliteratur, erklärte Dieter Ammann am Schluss. Dies muss dem Publikum rasch bewusst geworden sein, der spontane Beifall galt wohl weniger dem Gefallen an den Tönen der neuem Musik, sondern dem Einfallsreichtum an neuartigen Klangarten, die das Ensemble für neue Musik aus seinen Instrumenten hervorholte.
Der wichtigste Schritt im Sinn der Neuorientierung der musikalischen Sprache geschah im Bereich der Harmonik, nämlich die Tonalität schrittweise aufzugeben. Dies zeigte deutlich das Programm. Alexander Radvilovich schrieb seinen Beitrag speziell für das Ensemble und stützte sich dabei auf französische Dichtungen, die sich mit den Veränderungen in Farbe, Licht und Schatten befassen. Diese spiegeln sich in den erweiterten Klangfarben der beteiligten Instrumente, zum Beispiel, wenn im Klavier nicht auf die Tasten, sondern direkt in die Saiten gegriffen wird. Von Hanspeter Frehner war «Clutter» (Wirrwarr) zu hören. Die darin verwendeten Motive sind in sieben Einschübe aufgeteilt und übereinandergelegt, woraus sich das im Titel erwähnte Durcheinander ergibt. Svetlana Lavbrova hängt sich in «Jitter» an das Zittern des digitalen Datensignals, woraus sich ein chaotisches musikalisches Flittern ergibt.
Viele neue Eindrücke
Von Cécile Matti stammt «Dancing Spectra». Wie beim Tanzen geht es darin um das Vorbeiziehen, Trennen und Verbinden der Figuren, hier jedoch auf die musikalische Ebene verlegt, wo die verschiedenen Instrumente den Kontakt miteinander suchen und sich manchmal in die Quere kommen, bis sie sich im Ensemble integrieren.
Am anschaulichsten war «Blur» von Katherina Rosenberger. Darin beschreibt sie eine nächtliche Taxifahrt mit allen darin vorkommenden Geräuschen sowie das «Stop and Go», ein Musterbeispiel für die vielfältige Abwandlung der Klangmittel in der neuen Musik. Mit «Enga» war ein Auftragswerk von Martin Jaggi extra für das Ensemble vorgesehen, woran sich Bassflöte, Klarinette/Bassklarinette, Violine, Violoncello und Klavier beteiligten. Mit vielen neuen Eindrücken versehen und auf weitere Veränderungen gefasst, trennte sich das Publikum vom Ensemble.