
Das Protokoll seines ersten Arbeitstages: Der neue Nati-Trainer Murat Yakin ist ergriffen von Stolz – doch zuerst waren Zweifel
Es ist genau 15 Uhr an diesem Montagnachmittag im Haus des Schweizer Fussballs in Bern. Der Konferenzraum im obersten Stock ist eingerichtet für den grossen Moment. Im Hintergrund läuft leise Musik, «Dawning» von Jon Sine, frei übersetzt «Morgenrot» also, oder auch: «Dämmerung».
Und dann betritt er strahlend die Bühne – Murat Yakin. Um 09:30 am Vormittag hat er den Vertrag als Nationaltrainer unterschrieben. Nun steht er erstmals im Scheinwerferlicht der. 29 Kandidaten standen am Anfang auf der Trainerliste des Verbands, er, Yakin, ist am Ende übrig geblieben und auserkoren worden als Nachfolger von Vladimir Petkovic. Alleine seine Mimik schon verrät, wie viel ihm das bedeutet.
Yakin ist flankiert von Nati-Direktor Pierluigi Tami und Verbandspräsident Dominique Blanc. Dieser ist es, der das Wort als erster ergreift. «Habemus Coach!», ruft er in die Runde, die Euphorie in seiner Stimme ist gewiss nicht zu gering bei seiner Rede, die folgt. Und eines ist auch schnell klar: Blanc hat es gefallen, zu sehen, wie sehr die Wahl des Nationaltrainers fast zwei Wochen ständiges Thema war. Es ist für ihn, nach der EM, die in kollektiver Euphorie endete, ein weiteres Zeichen dafür, dass dieses Nationalteam sehr wohl populär ist.

Yakin unterschreibt den Vertrag als Nachfolger von Vladimir Petkovic.
Yakin fragt sich: «Kann ich überhaupt Kandidat sein?»
Tami ist der nächste Redner. Er erläutert noch einmal, wie die Tage seit dem fluchtartigen Abgang von Petkovic ausgesehen haben. Welche Qualitäten ihm und seinen Kollegen im Wahlgremium wichtig waren. Vier Kernkompetenzen sind es: Fussballerisches Know-how, internationale Erfahrung, Kenntnisse über die Entwicklung des Fussballs in der Schweiz und – das betont Tami auffällig – die Identifikation mit Land und Team. Und dann sagt Tami: «Wir sind überzeugt, dass Murat Yakin all dies mitbringt und unser Nationalteam weiterentwickeln kann.»
«Ich war überrascht und glücklich zugleich. Wenn du mal Schweizer Meister warst, in der Champions League und Europa League Erfolge hattest, jetzt aber bei Schaffhausen in der Challenge League arbeitest, kommt schon die Frage auf: Das Gespräch war dann offen, frei, unbekümmert. Und ich habe gemerkt, dass ich die Kriterien durchaus erfülle.»

Ein kleines Antrittsgeschenk: Verbandspräsident Dominique Blanc überreicht Murat Yakin ein Nati-Shirt, «früher war da seine Nummer 5 drauf, jetzt ist viel Platz für neue Geschichten», sagt Blanc.
49-mal hat Yakin selbst das Trikot der Nati getragen. Meist mit der Nummer 5 auf dem Rücken. Der ehemalige Nati-Trainer Roy Hodgson hat den Behörden einst einen Brief geschrieben, sie mögen doch bitte die Einbürgerung von Yakin etwas beschleunigen.
Es half nicht viel. Dass es nicht mehr als 49 Einsätze wurden, lag aber auch an Yakins Verletzungen. Im Oktober 2004, nur 30-jährig, absolvierte er in Israel sein letztes Nati-Spiel. Die Hüftprobleme waren so gravierend, dass die Spielerkarriere alsbald ganz vorbei war.
Sein Vertrag verlängert sich, wenn er die Nati an die WM 2022 führt
Und nun also Nationaltrainer. Es ist ein guter erster Auftritt, den Yakin hinlegt. Er zeigt sich selbstbewusst, aber nicht überheblich. Humorvoll, charmant und mit der ihm eigenen Gelassenheit. Es ist jedenfalls deutlich zu spüren: Da freut sich jemand mächtig auf die grossen Herausforderungen, die kommen.
Ziemlich bald schon. Am 1. September steht das erste Testspiel gegen Griechenland an. Es ist Yakins einzige Gelegenheit, einige Dinge zu testen. Danach folgt am 5. September bereits der erste Ernstfall, das WM-Qualifikationsspiel gegen Italien. Drei Tage später jenes in Nordirland. Es sind bereits wegweisende Tage in dieser WM-Qualifikation, welche die Schweizer nur dann erfolgreich überstehen, wenn sie entweder Gruppensieger werden – oder aber in der komplizierten Barrage gleich zwei Finalspiele gewinnen.

Ernüchterung nach dem 0:3 an der EM: Der Schweizer Captain Granti Xhaka wird von Ciro Immobile getröstet.
Yakins Vertrag läuft vorerst einmal bis im September 2022, er betreut die Schweiz damit in der WM-Qualifikation und in der folgenden Nations League. Führt er die Nati an die WM nach Katar, so verlängert sich der Kontrakt automatisch bis zum Ende der Qualifikation für die EM 2024.
Fast 45 Minuten sind vergangen. Die letzten Fragen sind gestellt. Im Hintergrund erklingt wieder Musik, erneut «Dawning». Man darf das durchaus als Zeichen verstehen, Yakin und die Schweiz, es soll der Anfang eines wunderbaren Sonnentags sein.