
Hypotheken sind so günstig wie nie – doch wer hat etwas davon?
Das Allzeittief wurde bereits im Februar dieses Jahres erreicht. Damals verlangten die Banken durchschnitt- lich nur noch eine Zinszahlung von 1,33 Prozent pro Jahr, wenn ein Kunde für zehn Jahre einen Hypothekarkredit aufnehmen wollte. Damit wurde der bisherige Rekord vom September 2016 nochmals unterboten. Bei 1,34 Prozent lag damals der durchschnittliche Richtzins von über vierzig Banken, den der Vergleichsdienst Comparis erhebt. Zuletzt war dieser Durchschnittswert zwar leicht höher geklettert, auf 1,36 Prozent. Aber damit sind Hypotheken noch immer günstig wie nie.
Diese Rekordtiefen sind zurückzuführen auf eine Trendwende, die an sich unerfreulich ist. Im Herbst 2018 rechneten die globalen Finanzmärkte lange mit einem kräftigen Aufschwung in den USA und später in Europa. Die Löhne würden sich erhöhen, die Inflation anziehen – die Zentralbanken würden bremsen müssen, indem sie die Leitzinsen erhöhen und so das Aufnehmen von Schulden verteuern. In der Schweiz kletterten deshalb die Renditen von Staatsobligationen nach oben. Schulden aufnehmen wurde für den Bund wieder teuer. Doch dann verlangsamte sich der Wirtschaftsgang.
Gläubiger zahlen wieder Zins
Mitte Oktober 2018 kamen die ersten Warnungen. Der Internationale Währungsfonds senkte seine Prognose für die globale Konjunktur deutlich. In der Schweiz brach die Wirtschaft ein. Im zweiten Quartal legte sie noch 0,7 Prozent zu, im dritten Quartal schrumpfte sie. 2019 wächst die Wirtschaft ge- mäss Prognosen deutlich schwächer als im Vorjahr. Die Zinsen auf Schweizer Staatsobligationen fingen Mitte Oktober an zu fallen, sechs Wochen später waren sie negativ. Heute zahlen Schuldner wieder einen Zins, um dem Staat ihr Geld leihen zu dürfen. Mehr oder weniger parallel zu dieser Entwicklung fielen die Zinsen auf Hypotheken. Ein Zinsanstieg ist nirgends mehr zu sehen.
Das hat Folgen für Mieter, Wohneigentümer und Gemeinde. Einige der Auswirkungen lassen sich dem Immobilienbericht 2019 entnehmen, den die Grossbank Credit Suisse (CS) neu veröffentlicht hat.
In Wohneigentum wird sich noch auf absehbare Zeit günstiger leben lassen als zur Miete. Zu den aktuellen Zinsen sind die Kosten im schweizerischen Mittel rund 18 Prozent geringer. Dabei ist alles miteingerechnet, etwa auch der Unterhalt. Wären die Zinsen hingegen gestiegen, zum Beispiel auf 2 Prozent, wäre Wohneigentum nur noch 3 Prozent günstiger als Miete.
Wohneigentum bleibt günstig – und viele junge Familie haben davon nichts. Für viele ist ein Eigenheim unerschwinglich zu den heutigen Regeln, die die Banken bei der Vergabe von Hypotheken einhalten müssen. So kann sich eine junge Durchschnitts-Familie in knapp zwei Dritteln aller Regionen kein Eigenheim leisten. Gerade in Zentren oder in deren Nähe reicht das Einkommen nicht aus.
Noch häufiger Vergünstigungen
Die Finanzierungsregeln verlangen etwa: eine Familie darf nicht über einen Drittel ihres Einkommens ausgeben für die Hypothekarzinsen, auch dann nicht, wenn ein fiktiver Zins von 5 Prozent angenommen wird. CS-Ökonom Fredy Hasenmaile sagt: «Die jungen Familien zahlen einen Preis für die Regulierung. Die Politik sollte diskutieren, ob sie das wirklich will.»
Auch für die Mieter haben die rekordtiefen Zinsen direkte Folgen. Wenn Staatsanleihen nichts abwerfen, lassen die Investoren weiterhin fleissig Wohnungen bauen. Auch 2018 wurden viele Baubewilligungen eingeholt: rund 40 Prozent mehr als im langfristigen Mittel. Damit kommt, so die CS-Ökonomen, schlicht zu viel auf den Markt: «Das Angebot ist strukturell zu hoch.» Die Zahl der leerstehenden Wohnungen werde weiter ansteigen. Womit die Mieter oftmals nicht schlecht leben, denn sie werden umworben. Bereits werden ihnen in rund 1 Prozent aller Inserate schon Vergünstigungen versprochen, meistens sind es Mieterlasse. «Vermieter greifen heute immer häufiger zu solchen Zusatzanreizen», schreiben die CS-Ökonomen.
Je nach Region ist das Bild für die Mieter jedoch fundamental anders. In den grossen Zentren, wie Zürich oder auch Basel, ist das Angebot an Wohnungen sehr knapp. Dort gelingt es noch immer nicht, deutlich mehr Wohnungen zu bauen, obschon viele Menschen in den grossen Zentren leben wollen. In ländlichen Regionen halten sich die Investoren mittlerweile selber zurück. Anscheinend fürchten sie, dass leerstehende Wohnungen ihnen doch die Rendite empfindlich schmälern könnten. Hingegen wird richtig viel gebaut in den Agglomerationen nahe von grossen und mittelgrossen Städten. Steigen wird der Anteil an leerstehenden Wohnungen vor allem hier: im Kanton Solothurn, in eher am Rande gelegenen Aargauer Regionen oder im Basler Laufental.
