Lehren aus dem Fall Wicki

Der Fall Daniel Wicki beschäftigte die Schweiz nachhaltig. Sie erinnern sich: Anfang Dezember publizierte der «Blick» vier Facebook-Einträge des Boswiler Gemeindeschreibers, die viele als Hetze taxierten. Er forderte zum Beispiel, kriminelle Asylsuchende «an die Wand zu stellen und ihnen eine saubere 9mm-Impfung zu verpassen». Also zu erschiessen.

Darf man das sagen? Nein, fand der Boswiler SP-Präsident; Wickis Kommentare erfüllten Straftatbestände. Er diskriminiere Menschen, rufe zu Gewalt auf. Wicki wurde angezeigt.

Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt. Der zentrale Satz der Einstellungsverfügung lautet: In einer Demokratie ist es von «zentraler Bedeutung, dass auch Standpunkte vertreten werden können, die einer Mehrheit missfallen oder schockierend wirken». Kurz: Es gilt die Meinungsäusserungsfreiheit.

Man kann, muss aus der Affäre Wicki einiges lernen.

Erstens: Gut, dass die Justiz das zentrale demokratische Prinzip der Meinungsfreiheit konsequent schützt. Es soll viel, sehr viel brauchen, bis der Staat per Gerichtsentscheid Bürgerinnen und Bürger den Mund verbietet.

Zweitens: Die juristische Perspektive ist das eine, die politische Perspektive das andere. Von Mandatsträgern, deren Saläre aus der Steuerkasse kommen, darf man erwarten, dass sie in der Lage sind, beide Perspektiven gleichzeitig einzunehmen. Was sie in die Öffentlichkeit tragen, ist von Bedeutung. Wie sie es in die Öffentlichkeit tragen, ist von Bedeutung. Groben Unfug zu verzapfen und dann erwarten, die Menschen, die einem den Lohn zahlen, schauten einfach weg oder klopften einem noch auf die Schultern, ist naiv.

Und drittens: Der Fall Wicki ist auch eine Gelegenheit über Facebook & Co. nachzudenken. Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk sagte mir einmal, er würde es ablehnen, eine Kolumne für die «Bild»-Zeitung zu schreiben – weil diese bekanntlich «kein Reflexionsmedium» sei. Ähnliches liesse sich von Facebook sagen: Da kann man ganz gut reinschreien. Man sollte sich aber nicht über die Heftigkeit des Gebrülls wundern, das einem darauf entgegenschlägt. Schon gar nicht, wenn man Gemeindeschreiber ist.