
Alfred Wälchli: Erinnerungen an einen Eigenwilligen

Er lebte und arbeitete zeitlebens abgeschieden in der Dachkammer über der Arztpraxis seines Bruders Walter Wälchli an der Unteren Grabenstrasse in Zofingen. Der grosse Park um die Liegenschaft ist heute überbaut.
Geboren 1922, von Zofingen und Brittnau, besuchte Alfred Wälchli die Kantonsschule in Aarau, studierte Klavier und Komposition am Konservatorium und an der Musikakademie Zürich, war Regieassistent bei Wolfgang Heinz am Schauspielhaus Zürich und gab Unterricht in Sprechtechnik am Bühnenstudio Zürich. Von 1952 bis 1959 leitete er den Orchesterverein Zofingen, 1980 erteilte er Klavierunterricht an der Kantonsschule Zofingen. Wälchlis Interesse galt einem breiten Musikspektrum. Besonders mochte er Bach, Schostakowitsch und Skrjabin. Seine sprachmusikalischen Werke benützten eine archaische, lautmalerische und radikal verfremdete Sprache; er wurde deshalb auch «Wortkomponist» genannt. Er war als Dichter und Musiker in jeder Beziehung unkonventionell.
Wesen und Wirken
Christoph Moor, Musikwissenschaftler an der Hochschule für Musik der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in Basel, hat im Kulturhaus West in Zofingen eine Veranstaltung aus Hörbeispielen, Lesungen, Analysen der Arbeitstechnik, Filmszenen und einer Diskussionsrunde über das Phänomen Alfred Wälchli organisiert, 15 Jahre nach dessen Tod am 5. Januar 2004 in Zofingen. Die Präsentation eines Forschungsprojektes der Hochschule ergab das Bild eines Künstlers, der zu den eigenständigsten, kreativsten und fantasievollsten in der Schweizer Kunstszene gehörte und nach wie vor gehört. Ähnliches hat sie seither nicht mehr hervorgebracht, Wälchli ist und bleibt ein Einzelgänger.
Das zeigte sich gleich zu Beginn, als Kirill Zwegintsow die «Ballata des Oscen für Klavier solo» mit rasendem Tempo in die Tasten hämmerte. Man hatte es aber nicht etwa mit einem «Wutpianisten» zu tun, sondern mit einem, der sich der Freiheiten bedient, welche der Komponist den Interpreten gewährt: Wälchli machte keine Angaben über Tempo, Dynamik, Agogik und Artikulation, sondern überlässt dies dem Pianisten. Dieser machte deutlich, dass die Komposition ein in viele Varianten abgewandeltes Grundmotiv enthält, mit hektischen Läufen, farbigen Akkorden und hohen virtuosen Ansprüchen versehen.
Wie sich Wälchli als Dichter äusserte, war im Dialog zwischen Eluvies (Miriam Japp, Lesung) und Oscen (Stimme von Alfred Wälchli eingespielt) aus «Die Romanza der Eluvies» zu vernehmen. Johannes Raiser analysierte darauf die Schreibweise in Wälchlis Dichtungen, die als «Sprachmusik» einzuordnen ist: Melodik (Onomatopödie, Lautmalerei) und Rhythmik sind wichtiger in der Wortwahl als ihr sprachliches Verständnis. «Da ich als Dichter der Methodik des Komponierens folge, könnte das der Grund für die Schwierigkeiten im Verstehen meiner Texte sein. Man muss sie beim Lesen hören», sagte Wälchli selber.
Martina Kalt (Viola) brachte darauf als Solistin die «Cadenza des Prester» zu Gehör. Sie zweifle zwar, dass Alfred Wälchli die Eigenheiten der Viola gekannt habe, erklärte sie auf Anfrage, und liess eine Flut von Doppelgriffen und Pizzicatos fliessen, worin sich ein Thema verbarg, hohe Virtuosität verlangend.
Der zweite Teil der Lesung «Die Romanza der Eluvies» mit dem Dialog zwischen Eluvies, der Dichterin, und Ocsen, dem Komponisten, liess Wälchli abermals als Sprachschöpfer mit Rhythmus und Takt wie in der Musik erkennen. Nochmals stand auch die «Ballata des Oscen» im Programm, diesmal mit einem Solo des Gitarristen Stephan Schmidt, Direktor der Hochschule für Musik in Basel.
Diskussionsrunde mit Filmclips
In einem 1989 von Thomas Hostettler gedrehten Film war Alfred Wälchli wie er leibt und lebt zu sehen. Er war in jeder Hinsicht ein vorzüglicher Interviewpartner ohne jegliche Allüren und Absonderlichkeiten. Alle waren der gleichen Meinung: Alfred Wälchli geht in die Kulturgeschichte als Pionier ein, der auf einzigartige Weise mit archaisch-anarchischer Schöpfungskraft die Musik mit der Sprache verbindet.