Doppelte Lust im Stadtsaal: Molières Lachen in Scapins Haut

Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt, sagte Schiller in seiner ästhetischen Erziehung. Molière (1622–1673), der furiose Analytiker menschlicher Schwächen, hat diesen Gedanken schon über 100 Jahre davor zu seinem Prinzip gemacht. Die Welt ist eine Bühne. In ihren Schwächen sind die mit Scharfblick ins Schaufenster gestellten Figuren klein, in ihrer Inszenierung ihrer selbst dagegen gross.

Peter Lotschak verleiht diesem ohnehin schon Doppelbödigen in seiner Bearbeitung des Stücks «Die Streiche des Scapin» eine zusätzliche Dimension. Er montiert es mit dem Molière-Einakter «Stegreifspiel zu Versailles» zum Spiel im Spiel. Das Publikum begegnet zu Beginn dem grossen Molière (Saro Emirze) höchstpersönlich und bekommt mit, wie er sich mit seinem Ensemble für ein neues Stück abmüht. Unter den schmallippigen und übereilten Darstellern der Bühnenkunst menschelt es derweil deftig, während Molière aufgrund der Zeitnot den vor Jahren mal gespielten Scapin ausgräbt. Notabene ohne ausreichend Personal und ohne Zeit zum Üben. Glücklicherweise hält sich der gockelhafte Theatermäzen Marquis de La Thorillière (Dierk Prawdzik) für musengeküsst genug, um kurzerhand den Leandre zu geben.

Über die Stränge geschlagen

Doch dann agiert er, zur Belustigung des Publikums wiederholt wie ein Elefant im Porzellanladen. Die Geschichte ist so rasch erzählt, wie die Verwicklung im Einzelnen kompliziert. Der neckisch tölpelhafte Leandre und der verzärtelt-komische Octave (Laurenz Wiegand), die beiden Söhne des aufgeblasen-cholerischen Géronte (Kai Frederic Schickel) und des moralinsauren Argante (Andreas Erfurth), den beiden grössten Geizhälse der Stadt, haben in Abwesenheit ihrer Väter über die Stränge geschlagen. Liebestrunken haben sie sich zwei Frauen per Heirat verbunden. Dabei hätte Argante seinen Octave der fernab erzogenen Tochter Gérontes verheiraten wollen.

Rettung verspricht Leandres Diener Scapin, den Molière gleich selber spielt. Saro Emirze gibt das uneigennützige Schlitzohr, das für alle nur das Beste will, mit der Spottlust eines Conférenciers. Gerade weil er sich nicht ernst nimmt, ist er allen überlegen. Ausgerechnet, als er sich seiner Fähigkeit rühmt, jederzeit ein Mittel zu finden, verfängt er sich im Dialog mit Octave in einer Textschleife. Das Duo schraubt sich dabei so lange in einen Erregungszustand, bis sich das Publikum vor Lachen biegt und die gerade noch rechtzeitig frisierte Souffleuse beide erlöst.

Die Details machen das Spiel

Es sind diese Momente, die diese ausgezeichnet gespielte und klug durchdachte Inszenierung gross werden lassen. Selbst Augenblicke tragender Komik sind nicht vor der urplötzlich durchbrechenden Realitätsebene der Molière-Schauspieltruppe gefeit. Sei es auch nur, dass Molière-Scapin seiner Frau (Rike Joeinig), die die leidenschaftliche Giacinta spielt, einen Fusstritt verpasst, weil sie ihrem Octave zu nahe kommt. Auf kongeniale Weise akkurat und mit Mass weiss das Neue Globe Theater diese Szenen so einzusetzen, dass das Stücks stets im Fluss bleibt.

Molière-Scapin tanzt seinen Komparsen auf der Nase herum. Octave bringt er dazu, über Leandre mit zu spotten, ohne dass dieser recht merkt, dass ihm auch die Spottdrossel im Nacken sitzt. Selbstredend gewinnt Scapin damit das Publikum zum Komplizen. Die beiden Szenen, in denen Scapin den alten Geizhälsen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gar die Mitgift abknöpft, sind ein Genuss an rhetorisch raffinierter Wechselrede. Höhepunkt ist aber die Rache an Géronte: Die Szene, in der Scapin vorgibt, denselben vor seinen Häschern in einem Sack verstecken zu wollen, während er ihn mit wechselnder Stimmen kräftig mit dem Knüppel durchwalkt, ist zum Totlachen. Nur gut, dass der Gott der Komödie es fügt, dass sich die beiden so leicht hinzugeheirateten Frauen, als Töchter des Géronte respektive Argante erweisen. Alles löst sich in Wohlgefallen auf.

Wie es dem Klassiker von 1671 dank des hineinverschachtelten Vorspiels neue humoristische Volten abgewinnt, darf sich das Neue Globe Theater ebenso als Verdienst anrechnen lassen wie die Vermittlung von Theatergeschichte und Zeitgeist. Genau das ist schliesslich mit «prodesse et delectare» (nützen und unterhalten) gemeint.