
Der Advent beginnt bei mir im Juli
Ganz ehrlich: Als Pfarrer habe ich ein schwieriges Verhältnis zu Advent und Weihnachten. Seufzend lese ich im E-Mail eines Kollegen aus Berlin: «Weihnachten? Ach nee, lass mal sein. Ich geh’ auf die Seychellen.»
Eigentlich finde ich die Weihnachtsgeschichte in der Bibel ja toll: Gott, der Schöpfer der Welt, macht sich klein und wird geboren als Mensch mit Namen Jesus. Nach der Geburt findet er lediglich Platz in einer Futterkrippe. Seine Eltern sind keine Könige, sondern einfache Leute. Und Bethlehem, wo er geboren wird, ist ein unbedeutender Ort am Rande der damals bekannten Welt. Von «unten» also wirkt der christliche Gott in die Welt hinein, nicht von oben herab.
Mein Problem dabei ist Folgendes: Schon zig Mal habe ich darüber gepredigt. Was soll ich dieses Jahr sagen, das nicht abgedroschen klingt? Wie wäre es mit einem Seitenhieb gegen die Konsumindustrie, die daraus ein Geschenkfest gemacht hat? Oder eine kritische Note gegen das «Fest der Liebe», das nicht selten voller Spannungen ist, weil die Verwandten, die unter dem Jahr spinnenfeind sind, sich an der reich gedeckten Tafel zusammenreisen müssen?
«Ach nein, lass das sein», sagt meine Frau. Sie hat einen anderen Vorschlag: «Versuch dich doch in eine Person hinein zu versetzen, die in der Weihnachtsgeschichte vorkommt. Vielleicht entdeckst du dabei etwas Neues!» Das sagt sie im Sommer, als wir in der Aare schwimmen.
«Okay, gute Idee.»
«Also», fängt sie an, «da wären zum Beispiel die Hirten auf dem Feld, denen ein Engel erscheint und von der Geburt des Jesuskindes erzählt.»
«Ein Hirte? Nein, lieber nicht. Der riecht bestimmt streng.»
«Josef, der Vater Jesu?»
«Ach, der arme Kerl, ist nicht einmal der leibliche Vater. Kommt nicht in Frage.»
«Maria?»
«Dafür habe ich das falsche Geschlecht.»
Sie seufzt.
«Ochs und Esel?»
«Ich bitte dich!»
Wir lassen uns im Wasser treiben. Auf einmal kommt mir in den Sinn, wer mich als Kind fasziniert hat: Die Weisen aus dem Morgenland!
Damals dachte ich, sie seien Könige gewesen. Heute weiss ich, dass das eine Erfindung aus dem 3. bis 6. Jahrhundert nach Christus ist. Ebenso die Zahl drei. In der Bibel ist von einer unbestimmten Anzahl Sterndeutern die Rede. Nach damaligen Massstäben waren sie Wissenschaftler oder einfach Weise. Sie machen sich auf eine lange Reise und folgen einem Stern, der sie zu Jesus führt. Obwohl sie einem fremden Glauben angehören und von weither anreisen, begreifen sie lange vor den religiösen Insidern vor Ort, dass mit Jesus nicht irgendein Kind, sondern der neue König der Juden geboren wurde (Matthäus-Evangelium Kapitel 2, Vers 2). Um ihn anzubeten und zu beschenken, machen sie sich auf die lange und beschwerliche Reise. Es ist schon auffällig, wie die Bibel berichtet, dass ausgerechnet die religiöse Elite vor Ort, Priester und Schriftgelehrte, nichts mitbekommen von Jesu Geburt.
Die Weisen aus dem Morgenland waren offenbar neugierige Menschen. Und sie waren bereit aufzubrechen. Ich beobachte es an mir selber: Als Pfarrer und langjähriger Christ bin ich in der Gefahr, die Neugierde auf Gott zu verlieren. Ständig will sich Routine breitmachen. Selbst unsere bis anhin christlich geprägte Gesellschaft scheint das Interesse an ihrem christlichen Erbe zu verlieren. Werden es wie damals Fremde sein, Flüchtlinge zum Beispiel, die uns neu zeigen, was Weihnachten wirklich bedeutet und wie Gott mitten unter uns lebt? Oder wer gibt uns die Neugierde und das Staunen über Gott zurück, wenn wir es verloren haben?
Vielleicht geschieht das durch das Theaterstück in der Kirche Oftringen am Wochenende vom 22. und 23. Dezember. Es trägt den Titel «Drei Weise auf turbulenter Reise» und ist meiner Feder entsprungen im Sommer nach dem Schwimmen in der Aare.
Oder durch die kommenden Gottesdienste und Krippenspiele in den Kirchen der Region. Alle haben das Potenzial, das Staunen über Gott neu zu entdecken. Falls Sie nicht auf die Seychellen verreisen, schauen Sie einfach herein.