
Evelyne Binsack: «Drei Männer, die vor einer Blondine flüchten – eine schöne Genugtuung!»

ZUR PERSON
Evelyne Binsack
Die Extremsportlerin Evelyne Binsack (51) wuchs in Hergiswil NW auf und wollte ursprünglich Leichtathletin werden. Mit 17 Jahren entdeckte sie das Klettern und 1991 wurde die gelernte Sportartikelverkäuferin als eine der ersten Frauen in Europa diplomierte Bergführerin. 1996 kletterte Binsack auf das damals höchste Bürogebäude Europas, den 257 Meter hohen Frankfurter Messeturm. Sie bestieg 2001 als erste Schweizer Frau den Mount Everest. Darauf folgten Expeditionen an den Süd- und Nordpol. Evelyne Binsack lebt im Berner Oberland und ist als Referentin und Autorin unterwegs. Ihr drittes Buch «Grenzgängerin – ein Leben für drei Pole» ist im Schweizer Wörterseh Verlag erschienen. (egu)
Evelyne Binsack liebt das Extreme. Als erste Schweizerin erreichte sie vor 17 Jahren den Gipfel des Mount Everest. Den mit 8848 Meter höchsten Punkt der Welt nochmals zu erklimmen, musste die Extrembergsteigerin vier Jahre später aufgeben, weil sie in eine Eislawine geriet. Dafür durchstieg die Innerschweizerin unter anderem drei Mal die Eiger-Nordwand und erreichte aus eigener Muskelkraft in 484 Tagen den Südpol sowie in 105 Tagen den Nordpol. Heute Abend ist die Helikopterpilotin, Bergführerin und Autorin in der Aula des Schulhauses in Safenwil zu Gast. Im Interview erzählt die 51-Jährige über ihren Durchhaltewillen und Glücksmomente.
Evelyne Binsack, Sie haben viel erlebt und standen schon auf vielen Gipfeln. Gibt es hierzulande Berge, die Sie noch nicht erklommen haben?
Evelyne Binsack: (lacht) Es gibt vermutlich einige. Aber das beunruhigt mich überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich erklimme einen Berg, weil er mich reizt oder an diesem Tag gerade das Wetter und die Anfahrtszeit stimmen. Ich muss nicht immer superlative Ziele erreichen.
Welches ist Ihr Lieblingsgipfel?
Da gibt es einige. Dazu gehört unter anderem das Finsteraarhorn. Sehr oft habe ich als Bergführerin Gäste auf den Eiger, die Jungfrau und den Mönch geführt, aber auch auf den Mont Blanc. Das Matterhorn als Berg reizt mich zwar, doch der Riesenrummel schreckt mich ab, weil es unter anderem auch viel zu viele Vorgaben gibt, um ihn besteigen zu können.
Dennoch lieben Sie auch Grenzerfahrungen. Ist Ihr nächstes Abenteuer schon in Planung?
(Überlegt) Ich bin nicht jemand, der ein geografisches Ziel abhakt und das nächste dann setzt. Mir geht es beim Finden darum, wie ich den finalen Punkt erreichen will, welche Mittel ich dafür benötige und welche Erfahrungen ich daraus ziehen möchte. Ideen habe ich, möchte es aber noch für mich behalten.
Welches war Ihr grösstes Erlebnis?
Ein Erlebnis oder eine Erfahrung herauszulösen ist schwierig. Bei der Südpol-Expedition habe ich 16 Länder mit dem Velo durchquert und in jedem Land habe ich viel erlebt. So war es auch während der 105 Tage Richtung Nordpol oder den 52 Tagen, die ich für den Everest brauchte. Es ist die Frage des Fokus, aber bestimmt gehört die Rettung zweier Bergsteiger zu den glücklichsten Momenten in meinem Leben. Die beiden mussten am Everest auf 8700 Meter Höhe biwakieren und kämpften um ihr Leben.
Wie haben Sie geholfen?
Ich war weiter unten und bin Richtung Lager 1 hochgestiegen. Einen der beiden, Jamie, habe ich bis zum vorgeschobenen Basislager geführt. Auch sein Bergführer hat es geschafft. Mit Jamie bin ich immer noch in Kontakt.
Ihre abenteuerlichen Expeditionen sind aufwendig. Wer finanziert Sie?
Ich ganz alleine. Dabei riskiere ich viel und setze häufig all mein Geld auf eine Karte, um mir so meinen Traum zu verwirklichen. Wenn ich sage, dass ich keine Sponsoren habe, glaubt es mir niemand. Ich verzichte aber bewusst darauf, um frei entscheiden zu können. Dass mein Bankkonto nach der Südpol-Expedition leer war, hat mich schon beunruhigt. Doch da war die Zuversicht, dass ich meine Erfahrungen teilen und Referate halten darf.
Als Frau alleine unterwegs – gab es schon unliebsame Begegnungen?
In Mexiko wurde ich von wilden Hundemeuten gejagt. Um nicht gebissen zu werden, sprang ich vom Velo und schrie mit meiner ganzen angesammelten Wut den Rudelführer an. Es wirkte. Diese Wut half mir auch in Argentinien drei junge Männer einzuholen, die mich am Bankomaten überfallen hatten. Ohne nachzudenken rannte ich ihnen wütend und schreiend nach. Sie erschraken und liessen die Beute zurück. Drei Männer, die vor einer Blondine flüchten, ist eine schöne Genugtuung (lacht).
Auf was können Sie während einer Expedition nicht verzichten?
Expeditionen sind pragmatisch. Da geht es nicht darum, den Lieblingsteddy dabei zu haben. Ich brauche den Kompass und technische Geräte wie das Satellitentelefon und das GPS. Vor allem brauche ich aber Essen und Trinken, denn das ist überlebenswichtig.
Wie überwinden Sie sich selber zum Weitermachen?
Die meisten Menschen verstehen das Wort «Motivation» falsch. Wenn ich mich für ein Ziel entscheide, dann steckt sehr viel Vorarbeit drin. Ich stelle mich unerbittlich den Fragen, was ich erfahren und erleben will. Dabei lote ich meine Stärken und Schwächen aus, um zu wissen, wie ich meine Fähigkeiten umsetzen kann. Das Ziel kann nicht einfach gekauft und konsumiert werden. Ich muss mich hart mental und körperlich darauf vorbereiten. Wenn ich mich für eine Expedition entschliesse, ist es klar, dass ich mein Ziel erreichen will. Dass es Rückschläge und frustrierende Momente gibt, gehört ebenso dazu wie das Risiko, dass mein Ziel vielleicht unerreicht bleibt. Jede Expedition ist ein Traum und ein Fluch zugleich.
Heute Donnerstag, 20 Uhr, referiert Evelyne Binsack auf Einladung des Kulturchreises Sodhubel in der Aula des Schulhauses in Safenwil.