
Politik und Volksbegehren in Corona-Zeiten
Die Corona-Schutzmassnahmen prägen nicht nur unseren Alltag – sie behindern auch die direkte Demokratie. Die Liste der 2020 abgesagten Gemeindeversammlungen ist lang. Da und dort wurden die Gemeindebudgets an der Urne und nicht in der Mehrzweckhalle beschlossen. Was war schlecht daran? Es war keine Mitsprache möglich und der Gemeinderat konnte nicht auf Voten reagieren – mit Argumenten seine Position untermauern.
In einer äusserst schwierigen Situation befanden und befinden sich politische Gruppierungen, welche ein Referendum ergriffen haben oder Unterschriften für eine Volksinitiative sammeln. Im Kanton Aargau sind aktuell drei Volksbegehren «hinterlegt», was heissen will, dass die Frist für die entsprechende Unterschriftensammlung läuft. Damit im Aargau eine Initiative zur Volksabstimmung gelangt, müssen innerhalb eines Jahres 3000 beglaubigte Unterschriften von Stimmberechtigten gesammelt werden.
Das eine Thema, das sowohl eine Gesetzes- wie auch eine Verfassungsänderung bedingt (und somit aus zwei Begehren besteht), betrifft die Verteilung der 140 Sitze im Grossen Rat auf die elf Bezirke. Hintergrund ist der Umstand, dass der Bezirk Brugg in der laufenden Amtsperiode mit 10 und nicht mehr mit 11 Sitzen im Grossen Rat vertreten ist – Lenzburg dafür mit 13 statt 12 Mandaten. Brugg verliert, weil dessen Wohnbevölkerung weniger stark gewachsen ist als diejenige anderer Bezirke.
Vielerorts ist das Wachstum auf einen steigenden Ausländeranteil zurückzuführen, der im kantonalen Durchschnitt inzwischen 25 Prozent beträgt. Die starke Zuwanderung führe bei der Verteilung der Grossratsmandate «zu einer nicht nachvollziehbaren politischen Verzerrung», heisst es bei der FDP Brugg, welche Urheberin der Initiative ist. Sie fordert für die Sitzverteilung eine neue Basis. Künftig sollen einzig Schweizerinnen und Schweizer zählen. Werden wir darüber an der Urne beschliessen können? Die Sammelfrist endet am 11. September und die Initianten konnten letzte Woche noch nicht sagen, ob die nötigen 3000 Stimmen zusammenkommen.
Das dritte Volksbegehren stammt von Pius Lischer. Das ist der Mann mit Kapitänsmütze, welcher mehrfach als Aussenseiterkandidat bei kantonalen Wahlen angetreten ist. Er fordert ein «Grundeinkommen durch Lenkungsabgaben». Diese sollen nicht nur auf Energie, sondern auch auf Grund und Boden erhoben werden. Ein Beispiel: «Die Hypothekar-Schulden der Haus- und Landbesitzer für das von ihnen genutzte Land werden ersatzlos gestrichen, weil diese den Hypothekar-Zins für die Bodennutzung für unser Grundeinkommen an die Gemeinden und den Kanton zahlen werden.»
Seit 1862 gab es im Kanton Aargau 120 Volksinitiativen. In den vergangenen zwanzig Jahren deren 49, von denen das Volk drei annahm. Dies waren die Verkleinerung des Grossen Rats von 200 auf 140 Sitze (im Jahr 2003), «Mehr Sicherheit für alle» – mindestens ein Polizist auf 700 Einwohner (2006) und im Jahr 2014 «Ja zu Mundart im Kindergarten».