
Aargauer Lehrplan: «Die Schule wird nicht neu erfunden»

Auf dem Feld und daheim mitarbeiten anstatt Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Vor über 180 Jahren besuchten die wenigsten Kinder das ganze Jahr über eine Schule. Brot ging vor Bildung. Eine grundlegende Veränderung brachte die revidierte Bundesverfassung. «Seit 1874 sind die Kantone verpflichtet einen unentgeltlichen, obligatorischen und bekenntnisfreien Primarunterricht unter staatlicher Leitung anzubieten», erklärte Klaus Joller-Graf. Der Professer der Pädagogischen Hochschule Luzern hielt im Gemeindesaal Breiten in Rothrist ein Referat zum Thema «Mit dem Lehrplan 21 kompeten unterrichten». Ab dem Schuljahr 2020/21 bildet der neue Aargauer Lehrplan die Grundlage für den Unterricht an der Volksschule. Neu werden die Fächer «Medien und Informatik», «Berufliche Orientierung» und «Politische Bildung» unterrichtet. Der Französischunterricht wird neu in der 5. Primarschulklasse beginnen.
Heiss diskutierte Reformen
«Mit der Einführung des neuen Lehrplans 21 wird die Schule nicht neu erfunden», beruhigte Klaus Joller-Graf die rund 240 Anwesenden. Die Schulleitung Rothrist hatte alle Lehr- und Fachpersonen, Schulleitungen, Schupflegemitglieder und Gemeinderäte der Gemeinden Rothrist, Murgenthal und Vordemwald eingeladen. Joller-Graf gab zu bedenken, dass bei Reformen der Lehrpläne immer heftig gestritten werde. So sei es auch beim heute geltenden lernzielorientierten Lehrplan gewesen, der seit 1970 gilt. «Obwohl befürchtet, war auch das kein Umsturz der Schule», sagte Joller-Graf. Er gab zu bedenken, dass auch der Lehrplan 21 nicht in Stein gemeisselt sei und in 25 oder 50 Jahren wohl auch revidiert werde. «Die Schule muss mit den gesellschaftlichen Veränderungen Schritt halten.» Joller-Graf befürwortet in die Zukunft zu blicken und darüber zu diskutieren, was die Kinder künftig für ein Rüstzeug brauchen. Oder welche Bedeutung digitale Medien in der Schule haben. «Frühfranzösisch und integrativer Unterricht haben aber nichts mit dem Lehrplan 21 zu tun», sagte Klaus Joller-Graf und betonte: «Das sind politische Entscheide der Kantone über die es sich durchaus lohnt zu diskutieren.»
Dass das Schuleintrittsalter, die Dauer der Grundausbildung, deren wichtigste Ziele sowie die Übergänge zwischen den einzelnen Schulstufen einheitlich geregelt sind, geht auf die Volksabstimmung im Mai 2006 zurück. «Der Lehrplan 21 ist eine Folge daraus, weil die 21 deutsch und mehrsprachigen Kantone nicht einfach einen Lehrplan übernehmen wollten.» Offen bleiben kantonale Eigenheiten und damit auch der Einführungszeitpunkt. So haben Basel Land und Basel Stadt ihn schon seit 2015/16. Seit diesem Jahr setzen unter anderem die Kanton Luzern und Solothurn darauf. Als letzte führen ihn 2020/21 die Aargauer, Fribourger und Schaffhauser ein.
Joller wiederlegte Kritikpunkte gegenüber dem Lehrplan 21. So, dass nur noch Kompetenzen und kein Wissen mehr vermittelt werden. Die Schüler alles selber lernen müssen und die Lehrpersonen dabei zu schauen. Es gebe Änderungen, aber diese sieht Joller-Graf als Akzentverschiebungen. Wie wichtig es sei, Wissen erfolgreich im Alltag anwenden zu können, zeigte er am Beispiel von Berufslernenden auf. So hätten verschiedene Lehrbetriebe bemängelte, dass Schulabgänger eine Dreisatz-Rechnung nicht mehr lösen können. Klaus Joller-Graf ging dem nach, befragte Lehrer und stellte fest, dass die Schüler die Formel zwar beherrschten, aber nicht praktisch verknüpft hatten. So beispielweise die angehende Coiffeuse bei der Berechnung der Anteile für die Farbmischung. «Kompetenzen werden im Alltag sichtbar», sagte Joller-Graf und gab zu bedeken, dass wirksames Handeln in der Familie, im Alltag und Beruf sowie teilweise auch schon im Schulunterricht vermittelt werden. «Ich behaupte, dass viele Lehrpersonen bis ahnhin schon den Bezug zum realen Leben gemacht haben, wozu die Kompetenzen gebraucht werden können.» Es käme aber bestimmt auf das Fach und die Lehrperson drauf ein, schränkte Klaus Joller-Graf ein.
Unter kompetentem Unterricht versteht Joller-Graf, dass die Lehrpersonend das notwendige Wissen vermitteln und die Schüler es anwenden, ihre Erfahrungen besprechen und so dazu lernen können. «Bei einer Fremdsprache, geht es beispieslweise darum die gelernten Wörter in einem Rollenspiel aktiv anwenden zu können.»
Welche Themen und Inhalte konkret gelehrt werden sollen, schreibe der neue Lehrplan nicht vor. «Lehrpersonen wissen selbst, welchen Stoff sie zur Förderung der einzelnen Kompetenzen lehren müssen», schloss Klaus Joller-Graf und ermunterte die Aufgaben auf den Entwicklungsstand, das Vorwissen und die persönlichen Leistungsfähigkeiten der Schüler abzustimmen.