
«Das wird Ärger geben»: An der WM gebüsst, im Aargau kein Problem – im Gegenteil
Sie haben es geschafft. Am 9. Juni 2018 gewinnt der FC Eagles Aarau 3:0 gegen den FC Klingnau. Die meisten «Eagles» kommen ursprünglich aus Albanien, es werden aber auch Spieler anderer Herkunft aufgenommen. «Eagles, Eagles, Eagles!», jubeln die Spieler. Sie umarmen sich, hüpfen mit dem Pokal in der Hand übers Spielfeld. Fürs Siegerfoto knien sie auf den Rasen. Ein Chor aus «Ooooh»-Rufen, die Daumen ineinander verhakt, die restlichen Finger gespreizt am Flattern. Auf «Oi» reissen sie die Arme in die Luft, lassen den Doppeladler fliegen.
Die Spieler des FC Eagles Aarau feierten den Sieg mit den gleichen Gesten wie Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri letzten Freitag ihre Tore gegen Serbien. Mit dem Unterschied, dass seit dem Jubel der Nati-Spieler fast 700 Artikel zum Stichwort «Doppeladler» geschrieben wurden. War es dumm oder verständlich? Dumm aber verständlich? Weder dumm noch verständlich? Der 2:1-Sieg der Schweiz spielte auf jeden Fall die Nebenrolle. Die Fifa eröffnete ein Verfahren. Seit Montag ist klar: Xhaka, Shaqiri und Lichtsteiner dürfen heute Abend gegen Costa Rica spielen, müssen aber eine Busse zahlen. In New York sammelt ein Kosovare via Crowdfunding bereits das Geld für die beiden gebüssten Fussballer.
Beim Aargauischen Fussballverband war der Doppeladler-Jubel der Spieler des FC Eagles Aarau nie Thema. «Es war ein friedliches Spiel, eine friedliche Feier und der absolut beste Beweis, dass ein Miteinander funktioniert», sagt Geschäftsführer Hannes Hurter. Der Verband lege Wert auf politische und religiöse Neutralität der Fussballklubs. Er würde eingreifen, wenn er extremistische Tendenzen feststellen würde. «Das war aber bisher nie ein Problem. Es ist ein Miteinander», sagt Hurter. Die Mannschaften seien so gemischt, dass die Spieler früh lernten, tolerant zu sein.
«Nicht nur aus reiner Freude»
Faton Gashi, Präsident des FC Eagles Aarau, hat sich den Match Schweiz-Serbien im Public Viewing im Cinema 8 in Schöftland angeschaut. Kurz nach der Jubelgeste der beiden Nati-Spieler drehte er sich zu seiner Frau um und sagte: «Das wird Ärger geben.» Gashi ahnte, wie die Medien darauf reagieren würden, dass die Jubelgeste der beiden Torschützen ein Nachspiel haben würde. «Dass es einen solchen Hype gibt, habe ich aber nie erwartet», sagt Gashi. Unnötig findet er auch, dass die Fifa ein Verfahren eingeleitet hat und die Spieler eine Busse zahlen müssen. «Das führt nur dazu, dass in Zukunft jede Jubelgeste analysiert werden muss», sagt Gashi. Wie Xhaka, Shaqiri und Lichtsteiner haben seine Söhne am Freitag nach den Toren die Daumen ineinander verhakt, die restlichen Finger gespreizt und flattern lassen. Warum macht man den Doppeladler? Aus Freude? «Wir machen den Doppeladler nicht nur aus reiner Freude», erklärt Gashi. Der Doppeladler sei ein Zeichen dafür, dass sich jemand mit seinem Herkunftsland identifiziere. Heute sei der Doppeladler auch präsenter als früher. «Er ist auch etwas eine Mode-Erscheinung», sagt Gashi. Er stelle gerade bei den Jüngeren fest, dass der Doppeladler ein Symbol ist für sie, um ihren Migrationshintergrund zu zeigen. Gleichzeitig betont er, dass der Doppleradler auf keinen Fall ein Zeichen sei, das sich gegen die Schweiz richte. Er sei selber stolzer Schweizer. Aber er komme eben auch aus dem Kosovo und stehe zu seiner Herkunft. Deshalb verstehe er die Reaktion von Shaqiri und Xhaka, auch wenn er an ihrer Stelle wohl auf den Doppeladler verzichtet hätte.
Hintergrundwissen fehlt
Gashis Umfeld war nach den Jubel-Gesten der Nati-Spieler gespalten. Es gab Leute, die verstanden Xhaka und Shaqiri; andere verurteilten sie. «Je weniger Leute über den Hintergrund wussten, desto radikaler haben sie die Geste bewertet», sagt Gashi. Einige hätten den Ausschluss aus der Nati gefordert, sogar von Ausschaffung sei die Rede gewesen. Ihm falle schwer, auf solche Aussagen zu reagieren. Er versuche meistens, Hintergründe zu erklären. Zu erklären, dass hohe serbische Politiker vor dem Spiel bewusst provoziert haben, indem sie fragten, ob Serbien gegen die Schweiz, Albanien oder Pristina spiele. Dass die Spieler im Stadion nach jedem Ballkontakt ausgebuht, bedroht und ausgepfiffen wurden – von 35 000 Zuschauern. «Da können selbst Spieler wie Xhaka und Shaqiri die Emotionen nicht mehr im Griff haben», sagt Gashi.
Natürlich thematisiert er auch die Geschichte. Den Krieg, den seine Familie genauso wie jene von Xhaka und Shaqiri miterlebt hatte. Verwandte, die gestorben oder umgebracht wurden, Häuser, die kaputtgemacht worden sind. Es sei schwer, das innerhalb von zehn Jahren zu vergessen. «Ich bin aber überzeugt, dass wir in 20 oder 30 Jahren nicht mehr über solche Dinge wie den Doppeladler sprechen.»
Er wünsche sich nun, dass die Nati weiterkommt und mehr noch: «Dass wir einfach mal geniessen.» Es werde zu sehr in den Schatten gestellt, was die Spieler alles leisten. «Vielleicht ist das in vier oder acht Jahren nicht mehr so.»