
Der 48-Stunden-Feldversuch: Wie gut ist das Schweizer Fernsehen?
Die Situation ist delikat. Der «Medienclub», den Franz Fischlin moderiert, trägt den Titel: «Wie weiter nach der No-BillagAbstimmung». Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, wie Fischlin am 4. März abstimmen wird. Schliesslich steht sein Job auf dem Spiel.
Erschwerend kommt dazu, dass eine Vorgesetzte von Fischlin an der Gesprächsrunde teilnimmt: Ladina Heimgartner, stellvertretende Generaldirektorin der SRG. Trotz dieser äusserst anspruchsvollen Übungsanleitung vermittelt Fischlin weder den Eindruck, in der Sache befangen zu sein. Noch offenbart er Beisshemmungen gegenüber Frau Heimgartner.
Fischlin gelingt unter erschwerten Bedingungen eine herausragende Leistung. Wie aber schlagen sich die anderen SRF-Exponenten? Wir haben ihnen zwei Tage lang zugeschaut.
Montagmorgen: Wo, wie, was ist Parchim?
SRF 1 zeigt ab 10 Uhr «nano». Die Sendung verspricht, schon heute einen Ausblick auf die Welt von morgen zu geben. Ich erfahre: In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz jegliche Art des Klonens. Aber ich erfahre nicht, wie das in der Schweiz ist. Und ich erfahre, dass 2012 in Deutschland mehr als 10000 Menschen gestorben sind, weil sie Stickstoffdioxid ausgesetzt waren. Deshalb wurde ein Baustoff mit Titandioxid entwickelt, der dem Asphalt beigemischt wird, womit luftreinigende Pflastersteine hergestellt werden. Der Makel dieser gut gemachten, deutsch-österreichisch-schweizerischen 3sat-Produktion: Die Schweiz interessiert offenbar nicht.
«Grüezi mitenand». Also doch Schweizer Fernsehen? Aber mit der Begrüssung von «Kulturzeit»-Moderatorin Nina Mavis D Brunner ist es auch schon vorbei mit Schweiz-Bezug. Es wird der österreichische Science-Fiction-Thriller «Life Guidance» besprochen. Der Film weckt mein Interesse. Ob er in der Schweiz zu sehen ist? Auch die folgenden Berichte der 3sat-Produktion dringen nicht mal ansatzweise bis zur Schweizer Grenze vor. Damit will ich die Sendung nicht schlechtreden. Aber man fragt sich: Was hat sie in dieser Form im Schweizer Fernsehen verloren?
Weiter mit «Parchim International». Wo, wie, was ist Parchim? Ich vermisse die Orientierungshilfe durch die Programmansagerin und gucke nur, weil ich mich verpflichtet fühle. Hinterher bereue ich es nicht, den deutschen Dokfilm geschaut zu haben. Parchim ist eine Stadt zwischen Hamburg und Berlin. Dort will der chinesische Investor Jonathan Pang den maroden Flugplatz in eine prosperierende Welt mit Fracht- und Passagierabwicklung, mit Hotels und Kongresszentrum und der weltweit grössten Dutyfree-Meile verwandeln. Sieben Jahre hat ihn der Filmemacher begleitet. Am Schluss des Films ist immerhin die Baracke durch einen neuen Tower ersetzt. Aber sonst ist nichts passiert. Und Pang sagt: «Ich will diesen Flughafen zum Laufen bringen, um mir selbst zu beweisen, dass ich es kann. Um mir über meinen Wert klarzuwerden.» Der Herr Pang tut mir irgendwie leid. Und vielleicht auch den anderen 4000 Zuschauern, die den Film gesehen haben.
Montagnachmittag: Fohrler, immer noch auf Sendung?
SRF 1 zeigt die Wiederholung von «G&G Weekend spezial». Es ist, als würde ich meinen Lieblingsnachbarn nach vielen Jahren erstmals wieder sehen. Dani Fohrler ist nett, freundlich, nicht zu laut und nicht zu leise, und wenn ihm etwas nicht passt, lässt er sich nichts anmerken. So ist gut. Denn die Vera Dilliers dieser Welt zu interviewen oder wie in dieser Sendung Isabella von Seckendorf, ist kein Zuckerschlecken. Von Seckendorff noch nie gehört? Schande! Dabei haben von Seckendorff und ihre Mutter Johanna Henggeler – die beiden würden auch als Uriella und Icordo durchgehen – eben einen wichtigen Award gewonnen. Den «Glory» in der Kategorie Crazy. Auch vom «Glory» noch nie etwas gehört? Schwamm drüber.
Dann die «Reporter» mit «Der grosse Schnee – Zermatt schaufelt sich frei». Trotz tiefem Schnee bleibt der Beitrag an der Oberfläche. Die Macher hangeln sich von einem Seil zum nächsten. Froh, mit trockenen Füssen nach Hause gekommen zu sein. Was bleibt, ist die Erinnerung an Romy Biner. Sie ist die Gemeindepräsidentin von Zermatt. Eine bodenständige, couragierte Schnelldenkerin, die nicht versteht, warum selbst das ARD-Frühstücksfernsehen eine grosse Geschichte aus dem eingeschneiten Zermatt macht.
Montagabend: Ist Salzgeber ein Migros-Kind?
Hat es in der Maske geeilt? Das Kinn von Annina Frey glänzt etwas stark. Was solls, willkommen bei «Glanz und Gloria». Wer glaubt, die Sendung sei bloss ein Schlussverkauf der Eitelkeiten, täuscht sich. Moderatorin Frey sagt: «Die einen verzaubern die Menschen mit dem Aussehen, die anderen mit dem Können wie Zauberer Florian Klein.» Gelegenheit, sich für das Kompliment zu bedanken, hat Klein nicht. Dafür darf er Sandra Studer und Rainer Maria Salzgeber verblüffen. Beispielsweise, indem der Magier voraussagt, wann Frau Studer morgens aufsteht. Salzgeber reagiert mit einem Spruch, der allein das Eintrittsgeld wert wäre, falls bei einem Ja zu No Billag die Bezahlschranke kommen sollte. «Er ist wie eine menschliche Kumuluskarte, die viel mehr weiss, als man denkt.»
Bei «Schweiz aktuell» überzeugt die Moderatorin. Leider erfahre ich nicht, wie sie heisst. Noch bedauerlicher ist, dass die Sendung nicht so gut ist wie die Moderatorin. Sie entpuppt sich gar als unfreiwillig zynisch. Im Bericht geht es um die Sistierung des Vergewaltigungsfalles von Emmen aus dem Jahr 2015. Die Journalistin sagt: «Einen Hoffnungsschimmer gibts noch. Nämlich, wenn der Täter ein nächstes Mal zuschlägt.» Der Staatsanwalt sagt: «Das gibt uns die Möglichkeit, dass wir die Täter-DNA abgleichen können, in der Hoffnung, dass der Täter irgendwo seine Spuren nochmals hinterlässt.» Zur Erinnerung: Das Opfer ist seit der Vergewaltigung querschnittgelähmt. Die Hoffnung auf eine Wiederholung dieser widerwärtigen Tat ist ziemlich deplatziert.
Die «Tagesschau» gilt als Flaggschiff. Nicht zu Unrecht. Sie informiert sachlich und viel. Und sie schafft es, Themen, die schon am Mittag gelaufen sind, anzureichern. Wie bei der Nachricht um Sozialhilfebezüger, denen die Wiedereingliederung erleichtert werden soll. Im Gegensatz zur «Tagesschau» am Mittag wird abends ein Beitrag über eine Betroffene serviert, die nun eine KV-Lehre absolviert. Trotz ihrem Status und ihrer hohen Glaubwürdigkeit bedient sich auch die «Tagesschau» den Instrumenten des Boulevards. Beispielsweise, wenn Katja Stauber mit weit aufgeschlagenen Augen verkündet, dass in der Schweiz nie so viele Menschen ihre Organe gespendet hätten wie im letzten Jahr. Später erfahren wir: Von 145 Toten in der Schweiz durften letztes Jahr Organe entnommen werden. Das sind 2 mehr als im Vorjahr. Doch die Wartliste beträgt 1478 Patienten. Ein Hoch auf Minderheiten!
Mein Info-Favorit ist «10vor10» mit Susanne Wille. Nicht so umfassend, aber tiefgründiger als die «Tagesschau». Deshalb auch ein Mehrwert in Zeiten der permanenten InformationsFlut. Beim Thema Griechenland begnügt sich «10vor10» nicht mit den Streiks gegen die Einschränkung des Streikrechts, was mich nun wahrlich nicht interessiert. Nein, «10vor10» zeichnet das grosse Bild, nennt den hohen Preis, den die Bevölkerung für Reformen und den Kampf gegen die Schuldenkrise bezahlen muss. Einzig, man wünschte sich in dieser Sendung analog zur ARD auch mal einen Kommentar. Gewiss ist das heikel. Aber die Meinung drückt sowieso durch. Wie im sehr gelungenen Paket über die Aufweichung des Raser-Gesetzes. Übrigens: Die Deutschen würden sich über mildere Strafen für Raser in der Schweiz freuen. Seit das Gesetz in der Schweiz verschärft wurde, werden in Deutschland 60 Prozent mehr Raser mit Schweizer Kennzeichen gebüsst, lerne ich aus dem «10vor10»-Beitrag.
Dienstagmorgen: War Blocher mal Chauffeur?
Wird SRF vorgängig mit Informationen gefüttert? Gleichentags, wie der Flughafen Zürich seine Zahlen präsentiert, strahlt das Wirtschaftsmagazin «ECO» einen Beitrag aus. 29,4 Millionen Passagiere haben 2017 den Flughafen Zürich benutzt – 6,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Ansonsten erfahre ich, was ich schon weiss: Der Flughafen Zürich ist für die Bevölkerung unerträglich, wie Rümlangs Gemeindepräsident wettert.
Zeit, «Schawinski» nachzuschauen. Zu Gast ist Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands. Bigler, No-Billag-Befürworter, hat einen Plan skizziert, wie es für die SRG auch nach einem Ja weitergehen kann. Schawinski ist gewohnt giftig. Bigler muss immer wieder Treffer einstecken. Er habe bei «Weltwoche»-Kolumnist Zimmermann abgekupfert. Oder: Auf welche Erfahrungen aus dem Radio- und TV-Business er denn zurückgreifen könne, um Plan B zu skizzieren. Bigler taumelt. Aber er fällt nicht. Warum? Weil Schawinski seine Schlagkombinationen nicht zu Ende führt, weil er zu verbissen, zu ungeduldig ist, weil er zu ungestüm den K.-o.- Schlag sucht. Unentschieden.
Welch wohltuender Kontrast zu Schawinski: Sven Epiney. Eine Moderatoren-Allzweckwaffe. Wäre er Deutscher, hätte «Wetten, dass…?» auch nach Gottschalk eine Zukunft gehabt. Epiney ist für mich ein Wunderwuzzi, das ist alles so wunderbar mittig. Charmant, aber nicht anbiedernd. Witzig, aber nicht doof. Selbstbewusst, aber nicht überheblich. Nahbar, aber nicht kumpelhaft. Ich schaue erstmals bei der Quizsendung «Wir mal vier» rein. Aber nicht das letzte Mal. Übrigens: Nächste Woche spielt der Kandidat aus der Innerschweiz mit seinen drei Nichten um 100000 Franken. Die 25000- Franken-Frage lautete: Welcher ehemalige Nationalrat war Chauffeur von wem? Jean Ziegler von Che Guevara? Franz Steinegger von Jimmy Carter? Christoph Blocher von Willy Brandt? Flavio Cotti von Margaret Thatcher?
Dienstagabend: Ist Kessler der neue Bestatter?
Die unabhängige Information steht auf dem Spiel, argumentieren No-BillagGegner. Lassen wir das mal so stehen. Der «Kassensturz» klopft grossen Werbekunden auf die Finger. Wie der Amag. Der Autoimporteur und -händler hat ein Unfall-Auto als Nicht-Unfallauto deklariert und so verkauft. In einem anderen Fall hat Amag einem Kunden einen hochgetunten Golf verleast, dessen Auspuffanlage nicht zulässig war. Der Kunde erhielt nach einer Polizeikontrolle prompt einen Strafbefehl. Die Welt wird durch den «Kassensturz» kaum besser. Und Amag wird durch die Berichterstattung keinen Schaden nehmen. Das ist nicht weiter schlimm. Aber es ist auch gut, wenn der «Kassensturz» dafür sorgt, dass die Grossen und Mächtigen hin und wieder ihre Sinne schärfen.
Zurück zum Anfang, zurück zum «Medienclub», moderiert von Franz Fischlin, untermalt von esoterisch anmutender Musik, die ziemlich einschläfernd wirkt. Die Gäste: Olivier Kessler vom No-Billag-Initiativkomitee, flankiert von Giuseppe Scaglione, Geschäftsführer des Radiosenders «my 105». Auf der Gegenseite Ladina Heimgartner, stellvertretende Generaldirektorin der SRG, und Caspar Selg, ehemaliger Leiter von «Echo der Zeit».
Auf die Frage, ob die Billag-Gebühren bei einem Ja weiterbezahlt werden müssen, sagt Ladina Heimgartner: «Ich bin keine Juristin.» Aber auch keine Praktikantin. Es ist irritierend, wenn die Nummer 2 dieses Medien-Giganten derart lückenhafte Dossierkenntnisse offenbart.
Gibt es bei einem Ja zu No Billag einen Plan B, die SRG in ein kommerzielles Unternehmen umzuwandeln? Heimgartner drückt auf die Tränendrü- se. Nein, in diesem Fall gehe es einzig darum, den Konkurs zu verhindern. Kessler in der Rolle des Bestatters? Säuerliche Miene. Und Scaglione? Er wird unfreiwillig zum Tröster, indem er sagt: «Von wegen baldige Liquidierung.» Kurz darauf blamiert sich Heimgartner, weil sie nicht weiss, ob wir auch nach einem Ja noch Billag bezahlen müssen. Aber das mit dem Liquiditätsengpass glaubt sie ganz genau zu wissen.
Entscheidend für mich ist die Frage, was passiert, wenn No-Billag abgelehnt wird. Bleibt alles beim Alten? Das will auch Fischlin wissen. Heimgartner sagt: «Nein, wir lehnen uns nicht zurück. Aber wo abgespeckt wird, werde ich sechs Wochen vor der Abstimmung nicht sagen.» Fischlin lässt nicht locker. Fragt, gibt es bei der Diät Tabus? Nein, antwortet Heimgartner. Doch, ergänzt Heimgartner. Rätoromanisch zu streichen, sei ein Tabu. Zur Information: Heimgartner ist auch Direktorin von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha. Und Caspar Selg meint: «Bevor man über die Halbierung der Gebühren diskutiert, soll erst eine Diskussion stattfinden, was es braucht und was nicht. Und diese Diskussion kann in den nächsten sechs Wochen nicht stattfinden.» Richtig. Aber hätte man diese Diskussion nicht in den letzten zwei Jahren führen können?
Heimgartner und Selg machen nicht bella figura. Wenigstens kann Selg mit dem Schlusswort punkten: «Die SRG macht vieles auch sehr gut.» Nach zwei Tagen vor der Glotze kann ich diesen Satz unterschreiben.
VON FRANÇOIS SCHMID-BECHTEL/AZ
