Der Geschichte der Friedau-Liegenschaft auf der Spur

Paul Strähl durchforstete etliche Zofinger Verzeichnisse. Bild: jam
Paul Strähl durchforstete etliche Zofinger Verzeichnisse. Bild: jam

Es mag wohl an seiner früheren Tätigkeit als Notar und Fürsprecher liegen, dass Paul Strähl beim Zeitunglesen etwas genauer hinschaut als andere. Fehler, seien sie noch so versteckt, sieht er sofort. Ein solcher ist ihm in einem Artikel zur Jugendherberge Zofingen, die im altehrwürdigen Gebäude Friedau untergebracht ist, aufgefallen – also eigentlich mehrere. Das war am 5. August 2017.

Stein des Anstosses waren folgende Sätze: «Gebaut wurde es (die Friedau, Anm. d. Red.) in den 1860er Jahren als Villa eines Seidenfabrikanten. Später nutzte es die Stadt als Altersheim, bevor es 1987 in eine Jugendherberge umgestaltet wurde.» – «So viele Fehler in zwei Sätzen», sagt der 93-jährige Zofinger. Was ihn besonders störte: Die Fehler wurden in weiteren Artikeln wiederholt.

Paul Strähl ist aber nicht einer, der einfach mit dem Finger auf die Fehler anderer zeigt. Im Gegenteil. Weil er sowieso an Zofinger Familiengeschichten interessiert ist, stieg er in die Archive und in die Geschichtsbücher, durchforstete die «Verzeichnisse sämtlicher Häuser und Gebäude der Stadt-Gemeinde Zofingen». Und so eignete er sich das Wissen über die Friedau an, dieses Gebäude, das noch bis Ende Jahr eine Jugendherberge ist und danach zur Musikschule umfunktioniert werden soll.

Der Name wechselte von «Bleichegut» zu «Friedau»

Paul Strähl sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa, umgeben von antiken Stil-Möbeln. Neben dem Sofa steht ein Ofen des Aarauer Hafners Johann Jakob Fischer aus dem Jahr 1792. Dieser stammt aus dem Haus Rathausgasse 9 in Zofingen, das Johann Rudolf Imhoof-Fröhlich (1750 bis 1821) erbauen liess. Paul Strähl beginnt mit seiner Erzählung am Anfang der Geschichte der Friedau, die damals noch ganz anders hiess. Die Geschichte der Liegenschaft lässt sich bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen.

In einem Plan aus dem Jahr 1773 ist bereits ein Gebäude eingetragen. Eigentümer war damals der Arzt Dr. Seelmatter. Gemäss Verzeichnis von 1831 standen auf diesem Areal, das damals noch «Bleichegut» hiess, drei Gebäude. Als Eigentümer ist Johann Jakob Suter (1757 bis 1831), alt Stadtrat, aufgeführt. «Dieser war mit Susanna Magdalena Seelmatter verheiratet und kam so in den Besitz des von seinem Schwiegervater erbauten Neuhauses auf dem Thutplatz – heute UBS – wie auch des ‹Bleicheguts›», erzählt Paul Strähl.

Neuer Eigentümer der Liegenschaft wurde der Kaufmann Johann Jakob Müller (1803 bis 1857). Dieser liess das bestehende Wohnhaus durch einen Anbau, der sich deutlich vom alten Teil des Gebäudes abhebt, vergrössern. Auf der Westseite unter dem Giebel brachte er das Wappen der Familie Müller an. Im Gebäudeverzeichnis von 1851 wird die Liegenschaft nicht mehr als «Bleichegut» aufgeführt. Sie erhielt in der Folge den heutigen Namen «Friedau».

«Nächster Eigentümer der Friedau wurde der als Sohn eines Seidenfabrikanten 1845 geborene Johann Rudolf Suter», fährt Paul Strähl fort. «Dieser war selbst nicht Seidenfabrikant, sondern übernahm 1875 zusammen mit seinem Cousin Rudolf Strähl (1845 bis 1929) vom gemeinsamen Grossvater Johann Rudolf Suter die einträgliche Rotfarb (Krapp Färberei) am Tych.» Rudolf Strähl ist im Übrigen nur sehr weit verwandt mit Paul Strähl. Die Cousins führten die Färberei bis 1889 weiter. Johann Rudolf Suter, der Oberst war und für die Freisinnigen als Gross- und Nationalrat politisierte, starb 1917. Nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau 1926 wurde die Friedau zum Verkauf ausgeschrieben.

Das Asyl-Komitee erwarb die Liegenschaft für 105 000 Franken

Bereits damals bewarb sich die Einwohnergemeinde Zofingen um diese Liegenschaft. Allerdings interessierte sich auch das 1867 gegründete Asyl-Komitee, das in Zofingen seit 1873 ein privates Krankenasyl sowie seit 1902 ein Altersheim betrieb, für die Friedau. Da die Zofinger Gemeindeversammlung auf den Kauf verzichtete, konnte das Komitee die Friedau für 105 000 Franken erwerben und als Pflegeinstitution einrichten.

«Anstelle der alten Scheune wurde ein Personalhaus gebaut», sagt Paul Strähl. Heute ist dort die Musikschule untergebracht. Das bisherige Altersheim im Neuquartier wurde in die 1938 erworbene Liegenschaft Blumenheim verlegt. Die Friedau wurde nach Eröffnung des neuen städtischen Pflegezentrums im Tanner 1979 als Pflegeheim geschlossen und konnte dann von der Einwohnergemeinde Zofingen erworben und der heutigen Nutzung als Jugendherberge zugeführt werden. Das Blumenheim wurde dafür als Alterszentrum ausgebaut. «Sie sehen also», sagt Paul Strähl zur Journalistin, «ein städtisches Altersheim war die Friedau nie.» Zufrieden klappt er all die Geschichtsbücher zusammen.

Übrigens: Auch Paul Strähls Familie hat eine lange Geschichte in Zofingen. Seit 1600 ist sie in Zofingen eingebürgert. Paul Strähl hat schon Vorträge in der Historischen Vereinigung von Zofingen gehalten. Auf die Frage, wie er sich an das Zofingen in seiner Jugend erinnert, sagt er: «Das war schon ganz anders. Wenn ich heute vom Heitern herunterschaue, denke ich mir: ‹So grün war mein Tal.›» Manchmal bedaure er die wahnsinnige Bautätigkeit schon. Und auch der Verkehr habe sich enorm verändert. «Während dem Zweiten Weltkrieg waren die Strassen leer. Da konnten wir wunderbare Velotouren machen.»

Serie

ZT-Leser erzählen. Warum war die Friedau nie ein städtisches Altersheim? Wieso ist Zofingen nicht mehr das grösste Einkaufszentrum der Schweiz? Wie ist es, wenn elektrisches Licht nicht selbstverständlich ist? Wie fühlt es sich an, Weltgeschichte hautnah mitzuerleben?