Nur noch mit Zertifikat ins Restaurant? Ungeimpfte Pfleger markieren? Das sagen die betroffenen Branchen

Die Impfkampagne ist ins Stocken geraten. Rund die Hälfte der Aargauerinnen und Aargauer ist mindestens einmal geimpft. Doch neue Erstimpfungen werden immer weniger durchgeführt. In den vergangenen Tagen waren es noch um die 500 bis 1000 pro Tag. Im Mai und Juni waren es teilweise bis zu 5000 Erstimpfungen pro Tag gewesen.

Bereits mit inbegriffen in diesen Zahlen sind die Impfungen in Apotheken, Firmen oder bei Läden. Diese Massnahmen, die dafür gedacht waren, die Impfquote zu erhöhen, haben das bisher aber nicht wesentlich geschafft.

So wurden bei Migros und Coop in diesem Monat bisher 608 Personen geimpft (wobei diese mobilen Standorte jeweils nur für Donnerstag bis Samstag in Betrieb sind). Für die Impfungen in Firmen wurden zu Beginn dieser Kampagne 2500 Impfdosen bereitgestellt. Seither ist nur ein weiteres Unternehmen dazu gekommen, das seine Mitarbeitenden impft.

Geht es in diesem Tempo weiter, erreicht der Kanton die angestrebte Durchimpfungsrate von 70 bis 80 Prozent nicht rechtzeitig, um im Herbst oder Winter eine allfällige nächste Welle zu verhindern. Verschiedene Politikerinnen und Politiker haben in der «Sonntags-Zeitung» deshalb gefordert, den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen und sie so zur Impfung zu bewegen. Der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri hat etwa vorgeschlagen, dass Ungeimpfte in bestimmten Fällen bei einer Infektion die Behandlungskosten selbst übernehmen müssen. Daneben stehen weitere Vorschläge aus unterschiedlichen Branchen im Raum.

Nur noch mit Zertifikat ins Restaurant?

Die Restaurants sind wieder geöffnet – doch bald nur noch für Gäste mit Zertifikat?

Die Restaurants sind wieder geöffnet – doch bald nur noch für Gäste mit Zertifikat?

Britta Gut

Auf den Terrassen der Restaurants gelten gar keine Einschränkungen mehr, drinnen gilt eine Maskenpflicht, wenn man nicht am Tisch sitzt, und eine Person pro Tisch muss ihre Kontaktdaten hinterlegen. Wirte können auch diese Auflagen weglassen, wenn sie stattdessen nur Gäste mit einem Covid-Zertifikat begrüssen. Das ist aber freiwillig. Ähnlich ist es in Kinos, Theater oder anderen Einrichtungen: Drinnen gelten noch gewisse Einschränkungen, die mittels Zertifikat aber auf freiwilliger Basis umgangen werden könnten.

Jürg Grossen, Präsident der GLP, forderte in der «Sonntags-Zeitung», dort anzusetzen. Bei kleineren Veranstaltungen, also etwa Kino- oder Theaterbesuche, aber auch bei Banketten in Restaurants, soll das Zertifikat zur Pflicht werden. Ausserdem sollen die Schnelltests, mit denen man vorübergehend ein Zertifikat bekommt, nicht länger gratis sein, so die Forderung des GLP-Präsidenten.

Auch die Forderung, den Restaurantbesuch bei steigenden Fallzahlen grundsätzlich an ein Zertifikat zu knüpfen, steht im Raum. Anne Lévy, Direktorin des Bundesamts für Gesundheit, sagte in der «NZZ am Sonntag»:

«Sollte sich die Lage zuspitzen, könnte man eventuell den Einsatz der Covid-Zertifikate ausweiten, etwa auf Besuche in Restaurants.»
GastroAargau-Präsident Bruno Lustenberger.

GastroAargau-Präsident Bruno Lustenberger.

Britta Gut

Gar nichts von dieser Idee hält Bruno Lustenberger, Präsident von GastroAargau.

«Wir sind keine Polizisten. Es kann nicht sein, dass wir prüfen müssen, wer ein Zertifikat hat und wer nicht.»

Ausserdem haben Gastronomen regelmässig ausländische Gäste. «Was ist mit denen?», fragt Lustenberger. Dürfte er diese nicht mehr bewirten?

Was wäre die Alternative? Restaurants bei steigenden Fallzahlen wieder ganz schliessen? Lustenberger: «Damit müssen wir jetzt wirklich aufhören. Wir können die Restaurants nicht mehr schliessen. Sonst gibt es eine Katastrophe.»

Auch Kinobetreiber halten nichts von der Idee, nur noch Personen mit Zertifikat hineinzulassen.

Auch Kinobetreiber halten nichts von der Idee, nur noch Personen mit Zertifikat hineinzulassen.

Adrian Reusser

Auch Kinobetreiber wehren sich dagegen, nur noch Menschen mit Zertifikat in den Saal lassen zu dürfen. «Wir wollen Kino für alle machen. Je mehr auf Eigenverantwortung gesetzt wird, desto besser», sagte ein Kinobetreiber, der nicht beim Namen genannt werden möchte, zu TeleM1. Ein anderer, der ebenfalls seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt: «Ich bin ganz klar gegen eine Zweiklassengesellschaft.»

Ungeimpfte Betreuerinnen und Pfleger «kennzeichnen»?

In den Spitälern gilt drinnen nach wie vor Maskenpflicht, ebenso in Kindertagesstätten. In Pflegeheimen ist die Situation eine andere: Grundsätzlich gilt für die Mitarbeitenden in Innenräumen zwar Maskenpflicht, wenn sie Kontakt zu ungeimpften Bewohnerinnen haben. Jedes Heim kann diese Maskenpflicht für Pflegerinnen mit Zertifikat allerdings aufheben. Im Endeffekt entscheidet jedes Heim selbst.

Die Maskenpflicht soll nun für alle Personen in diesen Branchen, die über ein Zertifikat verfügen, gelockert werden, forderte die Aargauer Die-Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel in der «Sonntags-Zeitung». Noch weiter geht die Forderung von GLP-Präsident Grossen: Ungeimpfte Mitarbeitende in Spitälern, Altersheimen oder Kitas sollen gekennzeichnet werden, etwa mit einem Sticker.

Geht es nach dem KSB, werden im Spital auch weiterhin Masken getragen – trotz Impfung.

Geht es nach dem KSB, werden im Spital auch weiterhin Masken getragen – trotz Impfung.

Alex Spichale

Im Kantonsspital Baden (KSB) hält man von beiden Forderungen nichts. Auf die Frage, ob Mitarbeitende mit Zertifikat von der Maskenpflicht befreit werden sollen, schreibt Mediensprecher Stefan Wey:

«Nein.»

Und auf die Frage, was man von der Idee halte, ungeimpftes Personal zu kennzeichnen: «Das ist so im KSB nicht geplant.»

Der Verband Kibesuisse setzt sich dafür ein, dass Betreuerinnen und Betreuer in Kitas mit Zertifikat künftig keine Masken mehr tragen müssen.

Der Verband Kibesuisse setzt sich dafür ein, dass Betreuerinnen und Betreuer in Kitas mit Zertifikat künftig keine Masken mehr tragen müssen.

Severin Bigler

Auch in Kindertagesstätten gilt für die Betreuerinnen drinnen nach wie vor grundsätzlich Maskenpflicht. Nur in einzelnen Situationen können sie die Masken kurz abnehmen, müssen das dann aber dokumentieren. Wie und wann Masken getragen werden, muss im Schutzkonzept definiert sein.

Als Orientierungshilfe dazu dient das Standard-Schutzkonzept des Verbands Kibesuisse. Dieses empfiehlt nun neu, Maskenbefreiung und maskenfreie Zeiten in erster Linie für Mitarbeitende vorzusehen, die als geimpft oder genesen gelten, aber auch für Mitarbeitende, die sich regelmässig betrieblich testen lassen. Im Aargau haben Kitas bereits heute die Möglichkeit, im Betrieb repetitiv zu testen.

Ungeimpftes Personal aber mit einer Art Sticker zu kennzeichnen, hält Kibesuisse für unnötig. Sprecherin Prisca Mattanza:

«Dazu gibt es aus Sicht des Verbandes keinen Grund. Informationen über den Impfstatus werden als persönliche Information respektiert.»

Allerdings: Wer gar keine Information bekanntgibt, gilt in der Umsetzung der Schutzmassnahmen grundsätzlich als ungeimpft.

Rechts Andre Rotzetter, Geschäftsführer des Vereins für Altersbetreuung im Oberen Fricktal und Spartenpräsident Pflegeinstitutionen der VAKA.

Rechts Andre Rotzetter, Geschäftsführer des Vereins für Altersbetreuung im Oberen Fricktal und Spartenpräsident Pflegeinstitutionen der VAKA.

Alex Spichale

Und auch in den Heimen kann man der Idee mit den Stickern gar nichts abgewinnen. Andre Rotzetter, Spartenpräsident der Pflegeinstitutionen: «Das ist absurd.»

Dass Pflegerinnen mit Zertifikat von der Maskenpflicht befreit werden können, hält er allerdings für richtig. «Immer wieder wird verlangt, dass Pflegerinnen mehr machen als normale Leute. Was soll das?» Denn das Virus könne genauso gut über Besucher oder Lieferanten ins Heim gelangen. «Pflegerinnen und Pfleger sind normale Leute, die dieselben Rechte wie alle anderen haben. Wieso wird bei ihnen etwas eingefordert, das die Gesellschaft selbst gar nicht zu leisten bereit ist?»

Weiter hält es Rotzetter für richtig, dass die Heime im Moment grosse Entscheidungsfreiheit haben. Man müsse keine Einschränkungen dort erlassen, wo es gar keinen Sinn mache. Zu unterschiedlich seien die Ausgangslagen in den einzelnen Pflegeheimen. Rotzetter: «Es macht einen Unterschied, ob in einem Heim 70 oder 98 Prozent der Pflegerinnen geimpft sind. Es braucht eine individuelle Risikobeurteilung in jedem Heim.»

Gemeindeversammlungen dürfen nicht ans Zertifikat gebunden sein

Grossveranstaltungen sind, nebst dem Reisen, bisher der einzige Bereich, in dem Zertifikate Pflicht sind. Will ein Veranstalter mehr als 1000 Gäste begrüssen, darf er nur solche mit Zertifikat begrüssen. Bei kleineren Veranstaltungen gilt: Gewisse Einschränkungen müssen eingehalten werden. Diese sind unter anderem: Nur zwei Drittel der Kapazität darf genutzt werden, bei Veranstaltungen ohne Sitzpflicht dürfen drinnen maximal 250, draussen maximal 500 Personen anwesend sein, drinnen gilt zudem Maskenpflicht. Diese Auflagen kann der Veranstalter freiwillig umgehen, wenn er stattdessen nur Personen mit Zertifikat hineinlässt.

Das Brügglifeld darf kommende Saison wieder gefüllt werden. Allerdings nur mit Gästen mit Zertifikat.

Das Brügglifeld darf kommende Saison wieder gefüllt werden. Allerdings nur mit Gästen mit Zertifikat.

Marc Schumacher

So hat der FC Aarau etwa schon angekündigt, nächste Saison nur Zuschauer mit Zertifikat hineinzulassen. Dieser Entscheid kam nicht überall gut an. Man habe noch nicht entschieden, ob unter den geltenden Bestimmungen eine Rückkehr an den Stammplatz an der Mittelfeldlinie auf der Stehrampe erfolgen werde, schrieb die «Szene Aarau» in einer Stellungnahme. Für FCA-Präsident Philipp Bonorand ist allerdings klar: «Für uns als Verein ist es schlichtweg eine Grundvoraussetzung, damit wir wieder Zuschauer empfangen dürfen.»

Der Hauseigentümerverband Aarau-Kulm will als einer der wenigen Verbände seine Generalversammlung abhalten: Dafür wird er aber ausschliesslich Personen mit Zertifikat zulassen. Wer das nicht hat, kann sein Stimmrecht aber auch schriftlich ausüben.

Grossratssitzungen gehören zu den Veranstaltungen, an denen es weder Platzbeschränkungen noch eine Zertifikatspflicht geben darf.

Grossratssitzungen gehören zu den Veranstaltungen, an denen es weder Platzbeschränkungen noch eine Zertifikatspflicht geben darf.

Sandra Ardizzone

Dann gibt es auch gewisse Veranstaltungen, für die weder die Platzzahl beschränkt noch eine Zertifikatspflicht eingeführt werden darf. Es sind das politische Versammlungen der Legislative (etwa Gemeindeversammlungen oder Grossratssitzungen), unaufschiebbare Versammlungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften (etwa der Landeskirche) und auch internationale Konferenzen. An solchen Veranstaltungen müssen dafür Schutzkonzepte eingehalten werden.