«Was passiert, ist ein Desaster» – Red Lions und Argovia Stars im Streitgespräch

Seit dieser Saison spielt neben den bewährten Argovia Stars mit den Red Lions Reinach ein zweites Aargauer Team in der 1. Liga. Die Lancierung des neuen Klubs hat vor allem bei den Ligakonkurrenten für viel Aufregung gesorgt. Für die «Nordwestschweiz» setzen sich Kritiker und Kritisierte erstmals gemeinsam an einen Tisch. Die Red Lions werden durch Albert Fässler vertreten, der in Reinach für die Mittelbeschaffung verantwortlich ist. Er kreuzt die Klingen im Streitgespräch mit dem langjährigen Argovia-Sportchef Heinz Leuenberger.

Herr Leuenberger, was haben Sie gegen ein Aargauer Derby?

Heinz Leuenberger: Gar nichts. Die Argovia Stars haben das Mitmachen von Reinach in der 1. Liga gestützt, sonst wäre es gar nicht so weit gekommen. Für die Argovia Stars wäre es hervorragend, wenn wir einen richtigen Kantonsrivalen hätten.

Aber der Ist-Zustand der Red Lions Reinach befriedigt Sie nicht?

Leuenberger: Sportlich ist das, was derzeit in Reinach geschieht, ein Desaster. Wir haben bei den Diskussionen, ob Reinach in die 1. Liga aufgenommen wird, gewarnt, dass dies eine ganz schwierige Sache wird. Ich persönliche habe stets am Gelingen gezweifelt. Trotzdem haben wir im Frühjahr «Ja» gesagt. Heute würde ich ganz klar «Nein» sagen. Zum Schutz von Reinach.

Was missfällt Ihnen?

Leuenberger: Ich goutiere gar nicht, dass die technischen Verantwortlichen von Reinach bei den Gesprächen gesagt haben, sie hätten zehn Elite-Spieler fix im Kader und bei einer Zusage nochmals fünf. Leider sind Sportchef und Trainer der Red Lions mit der Wahrheit ziemlich flexibel umgegangen.

Herr Fässler, wieso schiebt Reinach den Schwarzen Peter für die Situation anderen Klubs in die Schuhe?

Albert Fässler: Wir schieben niemandem den Schwarzen Peter zu, sondern halten uns einfach an die Fakten. Uns war klar, dass wir mit Reinachs bestehendem 3.-Liga-Team nicht in der 1. Liga antreten konnten und neue Spieler gefunden werden mussten. Fakt ist aber, dass wir offiziell erst am 10. Juni vom Verband grünes Licht erhalten haben. Ich gebe zu, dass wir die sportliche Situation unterschätzt und uns vielleicht zu sehr auf die Beschaffung der Finanzen konzentriert haben. Zumindest in diesem Bereich müssen wir uns keine Vorwürfe machen und wurden alle Ziele erreicht.

Aber sportlich läuft es gar nicht.

Fässler: Das lässt sich nicht leugnen. Der sportliche Bereich ist zurzeit eine grosse Baustelle. Wir haben einige Dinge unterschätzt. Wir haben aber auch feststellen müssen, dass 95 Prozent aller Spieler im Juni bereits irgendwo einen Vertrag unterschrieben hatte und nicht mehr zur Verfügung standen. Vieles lief in der Folge auch gegen uns. Ende Mai hatten wir die schriftliche oder zumindest mündliche Zusage von 15 Spielern. Drei Spieler sprangen ab, weil sie von anderen Klubs Geld erhielten. Dazu gab es zwei Ausfälle wegen gravierenden Verletzungen. Statt 15 standen plötzlich nur noch 10 Spieler im Kader, und genauso viele sind es auch jetzt noch. Eine halbe statt eine ganze Mannschaft.

Haben Sie nicht auf diese Entwicklung reagiert?

Fässler: Wir hofften auf die Hilfe anderer Vereine und haben einen entsprechenden Aufruf gestartet. Es war frustrierend, dass uns überall die kalte Schulter gezeigt wurde. Gerade die sehr gut organisierten und breit abgestützten Argovia Stars hätten uns in dieser Situation doch helfen können. Ich kann nicht nachvollziehen, dass dies nicht möglich war.

Herr Leuenberger, Sie schütteln den Kopf…

Leuenberger: Ich habe gerade ein wenig Mühe. Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir zur Realität zurückkehren. Erstens habe ich Reinach ganz klar kommuniziert, dass es die Spieler, die sie zur Komplettierung ihres Kaders suchen, gar nicht gibt. Man hat in Reinach schlicht nicht auf Leute mit jahrelanger Erfahrung in der 1. Liga gehört.

Aber wieso haben Sie den Red Lions nicht geholfen?

Leuenberger: Da muss ich ein wenig ausholen. 2006 musste ich die 1.-Liga-Mannschaft von Wettingen-Baden zurückziehen, weil wir sahen, dass wir ansonsten in ein finanzielles Fiasko hineinlaufen. Wir haben uns dann darauf konzentriert, Nachwuchs aufzubauen. Mit der Zusammenlegung der Kräfte unter dem Namen Argovia Stars konnten wir einerseits die 1.-Liga-Mannschaft von Aarau und andererseits den Nachwuchs von Wettingen-Baden unter einem neuen Dach vereinen. Heute sind wir eine Organisation, die rund 300 Nachwuchsspieler betreut. In unserer ersten Mannschaft spielen 92 Prozent eigene Spieler. Wir fördern durchaus das Eishockey im Aargau. Aber das Ganze muss auf einem Fundament aufgebaut sein. Es ist sonnenklar: Wir bilden doch nicht Spieler für viel Geld aus, um sie danach zu verschenken. Das können wir uns gar nicht leisten. Und mich ärgert: Wir machen jahrelang ein Super-Projekt und werden nun von den Klubverantwortlichen der Red Lions quasi für ihre Fehler in die Pflicht genommen.

Dass Reinach all seine Spiele verliert, könnte Ihnen egal sein?

Leuenberger: Die Reinacher Misswirtschaft färbt leider auf die ganze Liga ab. Um auf dieser Stufe mitspielen zu können, benötige ich eigene Spieler. Und wenn Reinach sagt, in der nächsten Saison wird alles besser, dann muss ich erneut widersprechen. Die Spieler, die Reinach sucht, gibt es nicht. Wenn Reinach eine Mannschaft stellen will, die in der 1. Liga mitspielt, dann benötigt man im Minimum 300000 Franken für Transfers. Wenn ihr das nachhaltig machen wollt, dann braucht ihr nochmals so viel Geld jährlich, um den Nachwuchs aufzubauen. Aber für mich ist das Harakiri. Das kann nie im Leben funktionieren.

Fässler: Wir wussten, dass es ohne Leihspieler nicht geht, und haben in unserem Budget 70000 Franken für die Entrichtung von Ausbildungsentschädigungen vorgesehen. Diesen Betrag haben wir nun bei weitem nicht gebraucht, weil die entsprechenden Spieler nicht gefunden wurden. Herr Leuenberger vergisst bei seinen Berechnungen allerdings, dass der SC Reinach als Hauptverein seit Jahren zumindest in den unteren Ausbildungsstufen sehr gute Arbeit leistet und ein Budget von 200000 Franken selber stemmt. Wir starten demzufolge nicht bei Nullkommanull im Nachwuchs.

Dem Projekt «Red Lions» wird auch vom Stammklub SC Reinach grosse Skepsis entgegengebracht…

Fässler: Da müssen wir selbstkritisch sein. Es war der zweite grosse Fehler, dass wir es verpasst haben, im Verein eine Urabstimmung zum Projekt durchzuführen. Inzwischen haben wir uns schriftlich bei allen Mitgliedern entschuldigt und hoffen, dass dies zu einem Stimmungsumschwung führt.

Leuenberger: Noch einmal, der Plan der Reinacher ist zum Scheitern verurteilt. Man will mit einem Gefäss für junge Spieler auf dem Sprung in die Nationalliga eine Lücke schaffen. Nur gibt es diese Lücke gar nicht. Wir arbeiten mit dem EV Zug zusammen, ich bin also legitimiert, hier eine klare Aussage zu machen: Das könnt ihr vergessen.

Von wo nimmt Reinach trotz massiver Skepsis seinen Optimismus?

Fässler: Wenn man Heinz Leuenbergers Worten Glauben schenkt und es die von uns angepeilten Spieler nicht gibt, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als die Strategie anzupassen. Zurzeit läuft bereits die Planung für 2018/19. Was in diesem Zusammenhang jedoch ganz wichtig ist: Unser Projekt ist finanziell weitgehend abgesichert. Wir können die drei Jahre ohne Absteiger dazu nutzen, etwas Nachhaltiges aufzubauen, sind uns aber bewusst, dass es keine zweite Saison wie diese mehr geben darf.

Herr Leuenberger, sehen Sie einen Weg für Reinach?

Leuenberger: Der erste richtige Weg ist es, keine Schuldigen zu suchen. Man kann zum Beispiel nicht einfach Verträge mit Ausländern unterschreiben und sich dann in den Medien darüber beklagen, dass man für diese keine Lizenz erhält. Wenn 35 Vereine der Amateurliga miteinander ein Gentlemen’s Agreement abschliessen, dass man keine Ausländer in der Liga will, dann gilt es dies ganz einfach zu akzeptieren.

Fässler: Eines unserer Ziele ist es, junge Spieler an höhere Aufgaben heranzuführen. Als wir erkennen mussten, dass von den anderen Vereinen keine Hilfe erwartet werden kann, haben wir versucht, als Teamleader zwei ausländische Spieler zu verpflichten. Diese zwei 20-Jährigen hätten genau ins Profil gepasst. Es sind Perspektivspieler für die Nationalliga und damit wären sie im 1.-Liga-Betrieb garantiert echte Publikums-Attraktionen gewesen. Auch das hat man uns verweigert, im Sinne von angeblichen Gentlemen eben …

Wir kommen zum Schlusswort …

Fässler: Wir müssen aus den Fehlern lernen, das ist klar. Ich appelliere aber an die Fairness aller Klubverantwortlichen, uns nun diese zweite Chance einzuräumen. Wir werden unsere Strategie anpassen und für die nächste Saison klare Strukturen schaffen, die funktionieren. Schaffen wir es nicht, dann macht das Projekt tatsächlich keinen Sinn.

Leuenberger: Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf Reinach zu zeigen und Schuldige für diese sportliche Misere zu finden. Wir wollen einen Kantonsrivalen, der mithalten kann. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Und das tun sie derzeit nicht.

Interview: Rainer Sommerhalder, Aargauer Zeitung