
Maulkörbe helfen nur bei Hunden
Chefredaktor Philippe Pfister über die unterschiedlichen Reaktionen auf den Hunde-Angriff in Reiden.
Bevor ich zur Sache komme, muss ich eine Nebensächlichkeit festhalten: Ja, ich mag Hunde. Ich mag sie sogar sehr. Zuhause streichen mir zwar ein Kater und eine Katze um die Beine, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, einen Hund als Begleiter zur Seite zu haben. Warum ich das schreibe? Wir haben in den letzten Tagen mehrfach über Hunde berichtet, genauer über einen Hunde-Angriff in Reiden vor sechs Wochen. Aufgebauscht hätten wir, übertrieben. Eine Kampagne gegen Hunde und Hundehalter sei das.
Nun, die Sache war mitnichten aufgebauscht. Sie ist gravierender als wir zunächst berichtet haben. Ja, unsere Berichterstattung war zurückhaltend. Wir sind überzeugt, dass das Thema auf den Tisch gehört.
Die Fakten, die aus dem Umfeld des Opfers stammen, sind beängstigend. Der Arzt aus Zofingen war am 22. April joggend in Reiden unterwegs, auf einer Strecke, die er seit langem kannte. Er war mit Musik in den Ohren unterwegs, als ihn zwei Boxer von hinten anfielen. Da war es schon zu spät, sich «richtig» zu verhalten – also still zu stehen und die Arme hängen lassen. Weil die Hunde hochsprangen, riss er die Arme vors Gesicht, um sich zu schützen. Es folgte ein minutenlanger Kampf, bei dem der Arzt viel Blut verlor. Er hat übrigens Kampfsport-Erfahrung, konnte sich also gezielt wehren. Gegenüber Bekannten hat er mehrfach den Satz geäussert, ein Kind hätte den Angriff wohl nicht überlebt. Seit sechs Wochen kann er nicht mehr zur Arbeit, ja er weiss nicht einmal, ob er seinen Beruf je wieder wird ausüben können, weil er die schlimmste Verletzung an der linken Hand davongetragen hat.
Seltsam die Reaktion der Luzerner Behörden: Obwohl der Arzt gegenüber der Polizei mehrfach zu Protokoll gegeben hat, dass ihn zwei Hunde angefallen und verletzt hätten, sprechen die Behörden gegenüber der Öffentlichkeit immer nur von einem Hund, der zugebissen habe. Die Frage drängt sich auf, warum Polizei, Staatsanwaltschaft und Veterinäramt den Eindruck erwecken, den Fall unter dem Deckel halten zu wollen – informiert wurde bekanntlich erst auf Medienanfragen hin. Möglicherweise, weil der Fall zunächst massiv unterschätzt wurde?
Fakt ist, dass die vom Veterinäramt angeordneten «Sofort»-Massnahmen erst Tage nach dem Angriff erfolgten. Bei den Recherchen stiessen wir auf Fotos, auf denen zu sehen ist, wie der Rüde, der den Arzt schwer verletzte, unter dem Tor beim besagten, umzäunten Grundstück hindurch blickt – ohne Maulkorb. Zwischen dem Tor und dem Boden klafft ein breiter Spalt, was die Frage aufwirft, ob sich die Hunde möglicherweise unter dem Tor hindurchzwängten, um auszubrechen. Fakt ist, dass dieser Zustand über Tage anhielt, ohne dass die Behörden sofortige Massnahmen ergriffen hätten. Es geht hier nicht darum, die Besitzer der Hunde an der Pranger zu stellen. Es geht darum, bei einem solch gravierenden Zwischenfall unverzüglich zu verhindern, dass sich Ähnliches wiederholt – wir haben Zweifel, dass das geschehen ist. Und die Bevölkerung hat ein Recht darauf, über solche Vorfälle und die getroffenen Massnahmen schnell und umfassend informiert zu werden.