
Wegen «Vermischung von Staat und Kirche»: Ehemaliger Bischofssprecher tritt aus der Kirche aus
Seit dem vergangenen März wirkt Joseph Bonnemain, direkt ernannt vom Papst, als Churer Bischof. Der Wechsel an der Spitze des Bistums Chur löste diverse personelle Veränderungen aus. Unter anderem verliess Giuseppe Gracia, langjähriger Mediensprecher von Bonnemains ultrakonservativem Vorgänger Vitus Huonder, seinen Posten. Wie jetzt bekannt wird, trat er gleichzeitig aus der Kirche aus. Dieser Schritt erfolgt nicht überraschend. Die ehemalige Führungsriege des Bistums Chur, mit dem früheren Generalvikar Martin Grichting als intellektuellem Vordenker, stand dem dualen System ablehnend gegenüber.
Die demokratisch organisierten Landeskirchen, eine Eigenheit der Schweiz, bestehen als vom Staat geschaffene Körperschaften parallel zur Römisch-katholischen Kirche. Sie verwalten Kirchensteuern und setzen diese für die kirchliche Arbeit ein. Anders als Huonder gilt der neue Churer Bischof Bonnemain als landeskirchenfreundlich.
Gracia: «Das passt nicht zu meinen liberalen Grundwerten»
Für Gracia verstösst das duale System gegen die Trennung von Kirche und Staat. «Das will ich nicht länger mittragen. Das passt nicht zu meinen liberalen Grundwerten», sagt er. Er habe das Schweizer Staatskirchentum, diese Vermischung von Staat und Kirche, unter anderem zum Zweck der Einnahme von Steuern, seit Jahren öffentlich kritisiert.
Den Wunsch zum Kirchenaustritt habe er schon zu seiner Zeit als Medienverantwortlicher im Bistum Chur gehegt, sagt Gracia. Sein Lohn sei zwar nicht von der Kirchensteuer gekommen, trotzdem habe er auf einen Austritt verzichtet, um den Bischof vor zusätzlicher öffentlicher Unruhe zu bewahren. «Seit meinem Weggang bin ich jedoch frei und nicht mehr Mitglied der römisch-katholischen Körperschaft.» Das Geld, das Gracia durch die wegfallende Kirchensteuer einspart, wird er karitativen Organisationen spenden.
SVP-Politiker beklagen politische Einmischung
Mit Gracias Austritt wächst die Liste von Prominenten, die der Katholischen Kirche den Rücken kehren und damit keine Kirchensteuern mehr entrichten. Natalie Rickli, unterdessen Zürcher Regierungsrätin, Roberto Martullo, der Ehemann von Magdalena Martullo-Blocher, und weitere bekannte SVP-Exponenten quittierten ihre Mitgliedschaft wegen kirchlicher Einmischung in die Politik.

Auch sie ist aus der Kirche ausgetreten: Die Zürcher SVP-Regierungsrätin Natalie Rickli.
Erst im vergangenen Jahr sorgte die Kirche diesbezüglich für kontroverse Diskussionen. Durch ihr Engagement zu Gunsten der Konzernverantwortungsinitiativen fühlten sich viele gläubige bürgerliche Initiativgegner vor den Kopf gestossen. Sogar von der Kanzel wurde für ein Ja geworben. «Ich finde es sehr problematisch, wenn die Kirche Gottesdienste zu politischen Propagandaveranstaltungen umfunktioniert», sagte Mitte-Präsident Gerhard Pfister.
Der Papst brachte das Fass für feministische Katholikinnen zum Überlaufen

Cécile Bühlmann (Grüne)
Hohe mediale Aufmerksamkeit generierte Ende 2018 auch der Austritt von sechs katholischen Feministinnen, darunter die ehemaligen Nationalrätinnen Monika Stocker (Grüne), Cécile Bühlmann (Grüne) und Ruth-Gaby Vermot (SP). Sie begründeten ihren Entscheid mit der «Frauenfeindlichkeit» des römisch-katholischen Machtapparats. Das Fass zum Überlaufen gebracht habe Papst Franziskus, der Abtreibung mit einem Auftragsmord verglichen hatte.
Kirchenaustritte liegen im Trend
In der Schweiz steigt die Zahl der Kirchenaustritte generell. 2019 verliessen 31’772 Menschen die Katholische Kirche – so viele wie noch nie und ein Viertel mehr als im Vorjahr, wie das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut schreibt. Auch aus der Evangelisch-reformierten Kirche traten 2019 26’198 Menschen aus – satte 18 Prozent mehr als im Vorjahr.
Doch weshalb wollen die Menschen nichts mehr von der Kirche wissen? Jörg Stolz, Professor für Religionssoziologie an der Universität Lausanne, identifizierte in einer Nationalfonds-Studie drei Hauptgründe. Erstens Gleichgültigkeit, zweitens – dies insbesondere bei den Katholiken – der Ärger über als unzeitgemäss empfundene Werte (Zölibat, keine Frauen als Priesterinnen) sowie die Fälle von sexuellem Missbrauch, und drittens auch ein bisschen Geiz. «Die Leute geben es zwar nicht gerne zu. Aber es geht auch darum, die Kirchensteuern zu sparen», sagt Stolz. Andere Untersuchungen liefern ähnliche Befunde. Interessantes offenbaren auch Daten des Bundesamtes für Statistik: Knapp 14 Prozent der Personen, die aus der Katholischen oder Evangelisch-reformierten Kirche austreten, waren gar nie gläubig.