Neue Studie zeigt: Die meisten sind wieder so zufrieden wie vor der Krise – doch Kindern und Jugendlichen geht es schlecht

Die Pandemie hat nicht nur körperlich, sondern auch seelisch ihre Wunden hinterlassen. Das stimmt so vor allem für die erste Corona-Welle im März 2020. Weltweit und in der Schweiz nahmen die Angst- und Depressionswerte in Umfragen massiv zu, Ambulatorien führten teils wochenlange Wartelisten. Doch nun zeigt eine neue, umfassende Auswertung weltweiter Studien: Die Bevölkerung hat sich erstaunlich gut und rasch von den Belastungen der Pandemie erholt.

Die «The Lancet’s COVID-19 Commission Mental Health Task Force», ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, hat über 1000 Studien verglichen, die Hunderttausende Menschen aus über 100 Ländern zu ihrer psychischen Gesundheit während der Pandemie untersuchten. Und fanden keinen Unterschied zur psychischen Verfassung verglichen mit der Zeit vor der Pandemie.

Zwar decken sich die Ergebnisse der ersten Welle und der Anstieg der psychischen Krankheitssymptome mit dem, was Expertinnen und Experten sahen: Ein markanter Anstieg an Angst, Depressions-Symptomen und Suizidalität. Doch die Untersuchung zeigte auch: Die meisten Menschen weltweit begannen bereits nach wenigen Wochen, sich zu fangen. Sie zeigten Resilienz, wie man in der Fachsprache sagt. Sprich: Sie wurden widerstandsfähig gegenüber den Veränderungen.

Das deckt sich auch mit den Ergebnissen verschiedener Zufriedenheitsmessungen wie den «World Happiness Index» oder dem «COVID-19 Social Monitor» aus der Schweiz. Laut Letzterem ist die allgemeine Zufriedenheit in der Schweiz seit Pandemiebeginn, abgesehen von einem kleinen Einbruch Ende 2020, konstant hoch – bei rekordverdächtigen 80 Prozent.

Viele Menschen entwickeln Resilienz

Die Autorinnen und Autoren der internationalen Auswertung, die ihre Ergebnisse im Magazin «The Atlantic» zusammenfassten, kommen zum Schluss, dass diese Widerstandsfähigkeit damit zu tun hat, dass wir Menschen dazu neigen, einschneidende Lebensereignisse als sehr dramatisch einzuschätzen. Wir gehen allgemein davon aus, dass eine Scheidung oder der Tod einer nahen Person uns für Monate oder Jahre leiden lässt.

Dabei kommen wir meistens schneller und besser über einen Schicksalsschlag hinweg als wir meinen. Auch Studien an Kriegsopfern beispielsweise zeigen, dass Menschen erstaunlich gut über traumatische Ereignisse hinwegkommen können.

Die psychische Situation von Kindern und Jugendlichen hat sich in der Pandemie verschlechtert. (Symbolbild)

Die psychische Situation von Kindern und Jugendlichen hat sich in der Pandemie verschlechtert. (Symbolbild)

Ennio Leanza / Keystone

Forschende nennen unsere Fähigkeit, psychisch mit Veränderungen klarzukommen, deshalb auch das «psychologische Immunsystem». Wir machen damit sprichwörtlich «das Beste draus», indem wir uns anpassen. Das sah man im ersten Lockdown beispielsweise daran, dass viele Menschen ihre frei gewordene Zeit mit neuen Hobbys füllten.

Was die Pandemie jedoch auch gezeigt hat, ist, dass sie unterschiedliche Gruppen unterschiedlich verletzlich macht. So litten jüngere Menschen weitaus stärker an den sozialen Einschränkungen als ältere Menschen. Vor allem während der ersten und zweiten Welle füllten sich Kinder- und Jugendpsychiatrien bis an den Rand, es existierten lange Wartelisten für ambulante psychologische Dienste. Und die Situation hält an: Eine Umfrage der Universität Basel unter Jugendlichen im März 2021 brachte hervor, dass 27 Prozent unter schweren depressiven Symptomen leiden.

Anstieg von 50 Prozent an Notfalltelefonaten

«Seit Sommer 2020 zeigt sich eine zunehmende Verschlechterung der psychischen Situation von Kindern und Jugendlichen», bestätigt auch Susanne Walitza, Klinikdirektorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Man sei bei einem Anstieg von 50 Prozent an Konsultationen und Notfalltelefonaten. «Und hier reden wir nicht von Bagatellen. Sondern von ernst zu nehmenden emotionalen Störungen und Suizidgedanken», sagt Walitza.

Man dürfe den Durchschnittswert von Studien und Befragungen nicht mit der Situation vulnerabler Gruppen verwechseln. Auch Menschen mit niedrigem Einkommen oder solche, die ihre Arbeitsstelle verloren, Frauen und Kranke sind anfälliger für psychische Instabilität als der Rest der Gesamtbevölkerung. «Sie alle sind in der einen oder anderen Form benachteiligt, wenn die Krise kommt», sagt die Expertin.

Langzeitfolgen noch ungeklärt

Ein Bericht im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit kommt zum Schluss, dass vor allem bei Kindern und Jugendlichen «mittel- und längerfristige Auswirkungen befürchtet» werden. Es sei nicht abzuschätzen, welchen Einfluss gewisse Veränderungen im Sozialverhalten der Bevölkerung auf junge Menschen hat; beispielsweise, ob der Verlust des Spontanen und das Empfinden von Nähe als potenzielle Bedrohung die emotionale Entwicklung von Kindern stören könnten.

Es lasse sich nicht mit Sicherheit sagen, ob die Belastungsreaktionen der Krise zurückgehen oder aber anhalten, sich chronifizieren und sich längerfristig zu ernsthaften psychischen Folgestörungen bis hin zum Suizid entwickeln.

Die meisten Studien und Auswertungen zu den psychischen Folgen von Covid-19 beziehen sich momentan noch auf die Akutphase der ersten Welle von 2020. Psychologisch gesehen ist es durchaus normal, dass Menschen in einer Extremsituation auf Bewältigungsmechanismen zurückgreifen und das auch gut funktioniert. «Doch jetzt befinden sich viele in einer längerfristigen, andauernden Unsicherheit», sagt Klinikdirektorin Walitza. Und das könne langfristige Folgen haben.

Denn auch, wenn wir als Gesamtbevölkerung rasch wieder auf Vorpandemie-Stufe gesprungen sind: Alleine in der Schweiz ist laut Bundesamt für Gesundheit im Laufe eines Jahres bis zu einem Drittel der Bevölkerung von einer psychischen Krankheit betroffen. Unabhängig einer Pandemie. Damit gehören psychische Krankheiten zu den am meisten verbreiteten Erkrankungen überhaupt. Auch verursachen psychische Krankheiten volkswirtschaftliche Kosten von über sieben Milliarden Franken pro Jahr.