
Schlafen während der Arbeit: Was die Wissenschaft zum kurzen Nickerchen herausgefunden hat
Der Grossvater machte früher ein Mittagsschläfchen, die Managerin heute macht das gleiche, nennt es aber lieber «Power-Napping». Wenn die Kreativität stockt, die Aufmerksamkeit sich verabschiedet und die Augenlider schwer werden, dann ist es nicht die dümmste Idee, sich kurz aufs Sofa zu legen. Denn ein kurzer Schlaf zwischendurch soll Konzentration und Gedächtnis steigern, den Blutdruck senken und sogar das Leben verlängern.
Doch Achtung: Das gilt nicht für alle Menschen, und auch nicht für jede Form des Nickerchens, gerade die Länge ist äusserst entscheidend.
Es gibt eine genetische Veranlagung für das Nickerchen
Eine Antwort darauf, für wen ein Mittagschlaf eine Wohltat ist und für wen eher nicht, hat eine Studie vom Massachusetts General Hospital in Boston gefunden. Das Forscherteam um den Genetiker Hassan Dashti befragte rund 450000 Probanden zu deren Napping-Gewohnheiten und glich deren Antworten mit ihrem Erbgut ab. Man fand dort 123 Regionen, die mit dem täglichen Extra-Schlaf in Verbindung stehen. Die regelmässigen Power-Napper waren genetisch anders konstruiert als diejenigen, die den Tag durchgehend wach verbringen. «Das Nickerchen ist offenbar auch biologisch bedingt», resümiert Dashti, «und nicht nur eine Umwelt- und Verhaltensentscheidung».
Indige Völker machen keinen Mittagschlaf
Wobei es keine urmenschliche Neigung zum Nickerchen zu geben scheint. Untersuchungen bei Urvölkern fernab der Zivilisation in Tansania, Namibia und Bolivien zeigten, dass diese Menschen zwar eine kleine Pause einlegen, um der heissen Mittagssonne zu entgehen. Doch sie schlafen dabei nicht.
Wecker oder Schlüssel
Salvador Dalí hielt einen Schlüssel in seiner heraushängenden Hand, wenn er sich zum Nickerchen auf die Couch legte. Wenn sich dann die Hand entspannte und den Schlüssel klirrend fallen liess, wurde er wach, sodass der Künstler nicht zu lange schlummerte. Hat aber den Nachteil, dass der Schlaf just dann unterbrochen wird, wenn man in ihn eingetreten ist. Besser ist da schon, dass man – wenn das Nickerchen nicht zu lang sein soll – den Wecker stellt. Beispielsweise auf 30 Minuten. Das ist lang genug.
Die Zivilisation verlangt vom Menschen jedoch einiges ab und hat auch zu einer Veränderung des Schlafverhaltens geführt. Deshalb ist das tägliche Nickerchen heute durchaus nützlich. Voraussetzung ist allerdings, dass dabei einige Regeln eingehalten werden.
Zehn Minuten Schlaf bringen Soforteffekt
So sollte das Nickerchen nicht länger als 30 Minuten dauern, weil dann das Herz-Kreislauf-System zu sehr in den Keller sackt. Ein Forscherteam der University im australischen Adelaide fand in einer Studie an 24 systematisch übermüdeten Studenten heraus, dass sie sich am besten bei einem Nickerchen von zehn Minuten erholten. «Zehn Minuten bringen sofortige Effekte auf die Wachheit und Konzentrationsfähigkeit nach dem Schlaf», erläutert Studienleiterin Amber Brooks. 20 Minuten brächten auch noch Erholung, so die Schlafforscherin. Allerdings könne es hier eine halbe Stunde dauern, bis sich die Effekte einstellen.
Zu lange Schläfchen sind ungesund
Geradezu lebensverkürzend können hingegen besonders ausgedehnte Nickerchen sein. Denn normalerweise gilt das Power-Napping als Herzschutz und Blutdrucksenker, doch bei extremer Dauer droht das Gegenteil. Chinesische Forschende kommen in einer Auswertung von 20 Studien zu dem Schluss, dass sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um rund einen Drittel erhöht, wenn man sich tagsüber länger als 60 Minuten zum Schlummern zurückzieht.
Die mögliche Erklärung: Die ausgedehnten Nickerchen gehen zu Lasten des Nachtschlafs, dem bei der Regeneration und Blutdruckkontrolle eine entscheidende Rolle zukommt. Bei Männern ist dieser Effekt allerdings deutlich schwächer ausgeprägt.
Japaner schwören auf zwei Minuten «Inemuri»
Weniger entscheidend ist die Schlafstellung. Der Vorteil der Sitzposition: Sie verhindert, dass man zu tief im Schlaf versinkt. In Japan hat sie eine lange Tradition. Man nennt sie dort «Inemuri», eine Kombination aus «i(ru)» = anwesend sein und «nemuri» = Schlaf. Die Wiener Japanologin Brigitte Steger ist davon überzeugt: «Zwei Minuten Inemuri machen fit für zwei Stunden Arbeit.» Hierzulande ist Schlafen im Sitzen allerdings nicht jedermanns Sache, und letzten Endes spricht auch medizinisch einiges für den klassischen Liegeschlaf, weil er seltener zu schmerzhaften Körperfehlstellungen und Verspannungen führt. Allerdings sollte man frühestens 30 Minuten nach dem Mittagessen damit beginnen. Denn vorher ist der Magen zu voll, und in der Horizontalen kann sein Inhalt nicht zügig abfliessen. Dann drohen beim Nickerchen schlechte Träume – und Sodbrennen.