Teenager wollen sich nicht impfen lassen: 13 Gründe im Faktencheck

Über 6,7 Millionen Impfdosen wurden in der Schweiz schon verabreicht, weltweit sind es 2,7 Milliarden. Am häufigsten wurde bisher verimpft: Pfizer/Biontech, dann AstraZeneca, Moderna und Johnson&Johnson. Die ersten Personen sind nun ein halbes Jahr geimpft und die steigenden Impfquoten drückten die Infektionszahlen in jedem Land schnell runter. Selbst in England, wo die ansteckendere Delta-Variante wütet, schützen die Impfungen immerhin soweit, dass die Hospitalisationen nur wenig ansteigen. Die Schweiz kehrte aufgrund der guten Lage am Samstag praktisch zur Normalität zurück.

Für Junge ist das Risiko, an einer Coronainfektion schwer zu erkranken, besonders klein. Es ist der Hauptgrund, warum sich einige nicht impfen lassen wollen.

Doch es kursieren gerade unter Jugendliche auch verschiedene Ängste zu möglichen Nebenwirkungen, die den Entscheid zur Impfung beeinflussen. An welchen ist was dran? Was ist aus der Luft gegriffen? Wir klären auf.

1. Die Impfung kann Frauen unfruchtbar machen.

Stimmt nicht. Claire-Anne Siegrist, Expertin für Infektionskrankheiten am Universitätsspital in Genf sagt: «Es stimmt ganz und gar nicht, dass der Impfstoff ein Protein enthält, das die Ausbildung der Plazenta verhindert, wenn es zur Schwangerschaft kommt.» Aber es sei erstaunlich, dass bei jedem neuen Impfstoff, die Befürchtung aufkomme, dass er unfruchtbar mache. Sie vermutet, dass dies so sei, weil es eine der grössten Ängste der Frauen sei, kein Kind bekommen zu können. Schon unter den Geimpften in der Zulassungsstudie von Pfizer/Biontech wurden unterdessen 12 Frauen schwanger.

Das Spike-Protein hat zwar eine ähnliche Aminosäuren-Sequenz wie das Protein Syncytin-1, das für die Bildung der Plazenta zuständig ist, sie ist jedoch viel zu kurz, als dass sie der Körper verwechseln könnte. Auch andere Schnupfenviren haben solche ähnlichen Sequenzen. Würde die Theorie stimmen, könnte auch eine Coronainfektion Frauen unfruchtbar machen, weil das Virus natürlich eine sehr ähnliche Aminosäurensequenz hat.

2. Die Impfung kann Männer unfruchtbar machen.

Mittlerweile gibt es so viele Untersuchungen, die herauszufinden versuchen, warum sich die Spermienqualität in den 100 Jahren so verschlechtert hat, dass es auf eine Impfung mehr oder weniger wahrscheinlich auch nicht mehr ankommt. Spass beiseite: Es gibt nicht den Hauch eines Hinweises, dass da etwas dran sein könnte.

3. Die Impfung kann Herzmuskelentzündungen bei jungen Männern verursachen.

Vermutlich. Die Betroffenen sind meist junge Männer. Den Verdacht schöpfte als erstes Israel im April, wo der Stoff von Pfizer/BioNTech verimpft wurde. Nun melden auch die USA etwas mehr Fälle als üblich. In Israel kam es zu einem Fall pro 3000 bis 6000 Geimpften unter den 16- bis 24-Jährigen. Das ist 5- bis 15-fach häufiger als in diesem Alter üblich.

In der Schweiz wurden auf 5 Millionen verimpfte Dosen 12 Fälle von Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündungen gemeldet. Die Fälle verlaufen in den allermeisten Fällen mild. Grund für die Entzündung könnte laut «Science» die hohe Zahl an Antikörpern sein, die durch die Impfung im Körper junger Menschen generiert werden, was eine Überreaktion des Immunsystems auslösen könnte.

4. Das Spike-Protein, also das Antigen der Impfung, erreicht das Blut und ist auch in vielen Organen wie Gehirn, wie Nieren, Milz, die Hoden und Eierstöcken nachweisbar. Der Reihe nach …

– gelangt in den Blutkreislauf.

Warum nicht? Allerdings ist die Gensequenz, die für das als Antigen benutzte S-Protein codiert, gegenüber dem Original-Virus etwas abgeändert. Das Protein bleibt nach der Produktion aussen an der Zelle hängen, vielleicht gelangt wenig Proteinmaterial ins Blut. Das ist aber auch nicht gerade unerwünscht, damit das Immunsystem zur gewünschten Reaktion angeregt wird: Antikörper zu bilden. Die vom mRNA-Impfstoff produzierten S-Proteine sind inaktiv und können zudem nicht an Zellwände andocken.

– und ist in vielen Organen wie Gehirn, Nieren, Milz, Hoden oder Eierstöcken nachweisbar.

Stimmt nicht. Die Aussage stammt aus einem Radiointerview, das der kanadische Virologe Byram Bridle Ende Mai gegeben hat. Er nennt eine japanische Studie als Beleg. Sie stammt von Pfizer und lag auch der EMA vor.

Dort wurden Ratten und Mäusen grosse Mengen radioaktiver Lipidpartikel und mRNA (aber keine Proteine) gespritzt; ähnliche Stoffe wie in den mRNA-Impfstoffen. Sie waren radioaktiv markiert, damit man ihr Fortkommen im Organismus verfolgen konnte. Die Dosierung war 300 bis 1000-mal höher als in den für Menschen verwendeten Impfstoffen. Die Stoffe verteilten sich in der Tat in den Mäuse- und Ratten-Körpern, aber es handelte sich nicht um die viralen oder ähnliche Proteine. Und sie werden rasch abgebaut und ausgeschieden.

– Und es ist giftig und richtet Schaden an.

Es stimmt zwar, dass das Original-Spike-Protein des Virus Gefässwände beschädigen kann. Aber dazu muss es in hoher Konzentration vorhanden sein, was bei der Impfung nicht der Fall sein kann. Bei einigen Probanden wurde nach der ersten Impfung S-Proteine im Körper gefunden, aber in sehr geringer Konzentration und gegenüber den Antikörpern abnehmend, nach 14 Tagen waren sie völlig verschwunden.

Mittlerweile sind Millionen von Menschen geimpft. Solche Schäden wären auf jeden Fall aufgefallen. Aber dafür gibt es keine Belege. Und wenn man – schutzlos – das Virus erwischt, sind die Schäden auf jeden Fall grösser.

5. Die Lipid-Nanopartikel sind gefährlich.

Es stimmt nicht, dass diese Nanopartikel gefährlich sind. Denn sie bestehen aus Material, das im Körper auch vorkommt – nämlich Fettverbindungen. Mit ihnen wird schon seit den 90er-Jahren geforscht für Krebsmedikament. Studien zeigen, dass sie nicht toxisch für die Zellen sind. Wie eine Studie zu den Pfizer/BioNTec-Lipiden der Firma Acuitas mit Ratten und radioaktiver Markierung zeigte, werden sie vom Körper innert Stunden bis zwei Tagen via Kot und Urin ausgeschieden.

6. Nach der Impfung haben Frauen eine heftigere Menstruation.

Der Zusammenhang ist nicht belegt. Das Gerücht kam auf, nachdem die Amerikanerin Kate Clancy den Verdacht auf Twitter nach der ersten Impfung äusserte und viele Frauen ihr beipflichteten. Eine Umfrage der Sexspielzeugmarke Womanizer bei 552 Frauen ergab, dass jede fünfte Frau berichtet, die Periode sei danach stärker, schmerzhafter oder verspätet ausgefallen.

Infektiologin Claire-Anne Siegrist in Genf sagt dazu: «Falls bewiesen wurde, dass dies mit der Impfung zusammenhängt, dann wäre es ohne Zweifel ganz einfach die Entzündungsreaktion, die den Stoffwechsel für kurze Zeit verändert.» Das sei kein Grund zur Beunruhigung.

7. mRNA-Impfungen verändern das Erbgut.

Das stimmt nicht. Das Erbgut in der Form von doppelsträngiger DNA liegt im Zellkern. Dorthin gelangt die mRNA des Impfstoffs nicht. Die mRNA-Impfung macht sich einen natürlichen Zell-Mechnismus zunutze:

Während der Genexpression – wenn zum Beispiel ein Protein produziert werden soll – wird eine DNA-Sequenz in RNA transkribiert. Diese mRNA (Messenger-RNA – Boten-RNA) wird zu den Ribosomen ins Zytoplasma geschickt. Diese zelleigenen Proteinfabriken lesen die mRNA ab und stellen nach der Anleitung das verlangte Protein her.

Danach wird die mRNA abgebaut. Das ist der normale Weg: von DNA zu RNA. Es gibt ein Enzym, das das Umgekehrte kann: die Reverse Transkriptase, nämlich RNA in DNA umzuschreiben. Retroviren, wie zB das HI-Virus, machen das. Der Prozess ist aber ziemlich fehleranfällig. Das macht die Bekämpfung des Aids-Virus gerade schwierig. Die Möglichkeit also, dass sich das Virus (also nicht der Impfstoff) durch einen Zufall ins Erbgut einschreibt, ist nicht auszuschliessen. Dazu müsste eine Reverse Transkriptase vorhanden sein (vielleicht durch eine Infektion durch ein Retrovirus, die bringen das Enzym mit). Dann könnte passieren, was in Millionen von Jahren immer wieder vorgekommen ist, dass sich Viren in unser Erbgut eingeschrieben haben.

Gelingt ihnen das bei einer Keimzelle (in einer Körperzelle verschwindet das Viren-Genom nach dem Tod wieder), wird das Viren-Genom vererbt. Es wird dann zu einem humanen endogenen Retrovirus (HERV). Geschätzte 8 bis 9 Prozent unseres Erbguts stammen von Viren.

8. mRNA-Impfungen sind generell gefährlicher.

Das stimmt weder vom Prinzip her, noch von der einzelnen Anwendung. Das Prinzip der mRNA-Impfung erlaubt ein sehr gezieltes Vorgehen. Man weiss dabei genau, was man will. Und man bringt die Zelle dazu, das Antigen zu produzieren. Man muss keine fremde DNA oder andere Fremdsubstanzen in den Körper bringen, sondern spitzt nur zwei leicht flüchtige Stoffe: Lipidpartikel (die Umhüllung) und die mRNA-Sequenz (die Bauanleitung für das Protein, das als Antigen dienen soll).

Tot- oder Lebendimpfstoffe müssen in Zellkulturen gezüchtet werden. Das dauert nicht nur lange, sondern bedingt auch umfangreiche und aufwändige Aufreinigungsprozesse. Dabei kann es leicht Pannen geben wie beim sogenannten «Cutter-Incident», als 1955 unzureichend abgeschwächter Polio-Impfstoff verimpft wurde. Verunreinigungen verhinderten, dass das Polio-Virus durch Formaldehyd unwirksam gemacht werden konnte. Viele geimpfte Kinder erkrankten, es kam zu 55 Fällen dauerhafter Lähmung und 5 Todesfällen.

9. Die Impfung kann einen Gürtelrose-Ausbruch hervorrufen.

Vermutlich. Swissmedic listet 140 Meldungen von Gürtelrose auf, also Reaktivierungen von Herpes Zoster, das Virus, welches in der Kindheit Wilde Blattern auslöst. Der schmerzhafte Hautausschlag heilt nach einigen Tagen von selbst. Schwerwiegend können die damit verbundenen Komplikationen wie Augenentzündungen oder chronische Schmerzen sein, die bei 20 Prozent der über 65-Jährigen vorkommen. Doch gibt es wirklich einen Zusammenhang dieser in der Schweiz sehr häufigen Krankheit mit den Impfungen?

 

Viele Fälle werden schon vom ersten oder zweiten Tag nach der Impfung gemeldet (siehe Grafik). Swissmedic-Mediensprecher Alex Josty sagt: «Bei diesen frühen Meldungen fragt sich, ob die Impfung die Ursache sein kann.» Claire-Anne Siegrist, Infektiologin in Genf, sagt auf Anfrage: «Falls eines Tage ein Zusammenhang zwischen der Impfung und Gürtelrose wirklich bewiesen ist, dann ist es vermutlich ein indirekter Zusammenhang: Wir wissen, dass eine Entzündungsreaktion einen Ausbruch von Gürtelrose bewirken kann.»

10. Die Impfung kann eine heftige allergische Reaktion hervorrufen.

Stimmt, ist aber sehr selten. Ein solches Risiko besteht bei vielen Medikamenten. Zu allergischen Schocks kommt es bei einer von 100’000 Impfungen mit Pfizer/Biontech und bei 0,25 von 100’000 Impfungen mit Moderna. Die allergische Reaktion tritt kurz nach der Impfung auf und lässt sich gut behandeln, ohne dass Langzeitschäden bleiben. Bei der Coronaerkrankung gibt es diese Garantie nicht.

11. Die Impfungen wurden zu schnell entwickelt, um sicher zu sein.

Stimmt nicht. Die Pandemie hat im Gegenteil gezeigt, wie schnell die Entwicklung von Impfstoffen (oder Medikamenten) auch gehen könnte, wenn weltweit daran gearbeitet wird und plötzlich viel Geld zur Verfügung steht. Ausserdem wurden die bürokratischen Hürden gesenkt: Die Phasen der Impfstudien wurden fortlaufend von den Zulassungsbehörden ausgewertet. So waren die hiesigen mRNA-Impfstoffe zuerst nur für Erwachsene zugelassen. Übersprungen wurden keine Studienschritte. Da die Pandemie weltweit wütete, war es besonders einfach, die Wirksamkeit der Stoffe schnell zu testen. Denn es ist ethisch nicht erlaubt, geimpfte Probanden absichtlich dem Virus auszusetzen.

12. Die Fehlinformationen über die Impfungen sind zentral orchestriert.

Es wird Kampagnen geben, die gesteuert sind. Und es werden auch die üblichen Verdächtigen sein, die dahinter stehen. Aber die Fehlinformationen verbreiten sich auch so. Die Gesetze der Netzökonomie gelten auch, wenn es um anderes als um Produkte für Körperpflege oder dergleichen geht. Auffällig ist, dass bei den meisten Impf-Skeptiker-Seiten sehr früh um Spenden geworben wird. Und die Aufrufe wirken, offenbar fliesst Geld. Also gilt auch hier: Crowdfunding funktioniert, worum es auch immer geht.

13. Die Impfung könnte Folgen haben, die noch nicht bekannt sind, weil sie erst nach Jahren auftreten.

Das ist möglich, aber unwahrscheinlich. Bislang ist von keiner bestehenden Impfung bekannt, dass sie Folgen hat, die nach Jahren erst auftreten. Schon früher wurden Impfungen verdächtigt, zum Beispiel Autismus auslösen zu können. Dies ist inzwischen in mehreren Studien widerlegt.

Es gibt Impfpannen mit Schäden, die von Fehlern bei der Entwicklung der Impfstoffe verursacht wurden. Am Anfang der Impfgeschichte wurde mangels Wissen auch viel Wildes einfach ausprobiert. Schäden werden aber innerhalb von Wochen oder spätestens Monaten nach der Impfung entdeckt. So auch beim Impfstoff Pandemrix gegen das Schweinegrippevirus 2010.

Anfang 2011 wurden bei 31 Millionen verabreichter Dosen ein Zusammenhang mit Fällen von Narkolepsie bemerkt vor allem bei Kindern und Jugendlichen von 4 bis 19 Jahren. Es wurden schliesslich in Europa mehr als 1300 Fälle bekannt. Teenager waren eher betroffen, weil das Immunsystem in diesem Alter besonders aktiv ist. Die Europäische Arzneimittelagentur riet darauf von der Verwendung bei unter 20-Jährigen ab. Bis Januar 2015 wurden in Europa mehr als 1300 Fälle bekannt.

Das Problem war, dass das Schweinegrippevirus dem körpereigenen Wachmacher Orexin ähnelt und das Immunsystem nach einer Impfung oder Infektion vermutlich auch diesen angreift. Doch die anderen beiden Impfstoffe gegen das Schweinegrippevirus von Novartis riefen kaum Nebenwirkungen hervor. Es stellte sich heraus, dass bei Pandemrix von Galaxo Smith Kline der Zusatzstoff, der die Wirkung verstärken sollte, das Problem war.

Solche Zusatzstoffe (Adjuvantien) werden verwendet, um die Dosis des Antigens zu vermindern und so mehr Impfdosen herstellen zu können. Weil Swissmedic von Galaxo Smith Kline nicht genügend Daten erhalten hatte, war Pandemrix für Kinder, Jugendliche und Schwangere hier nie zugelassen. Die Narkolepsie trat meist zwei bis acht Wochen nach der Impfung auf.

Das Corona-Risiko bei Kindern und Jugendlichen

Das Risiko für einen schweren Verlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus ist sehr klein und Todesfälle sind extrem selten. Laut dem Robert-Koch-Institut in Deutschland müssen 1 Prozent aller Kinder und Jugendlichen, die an Corona erkranken, ins Spital und eines von 100’000 stirbt, die meisten hatten sehr schwere Vorerkrankungen. Wie bei anderen Virusinfektionen kann in seltenen Fällen eine heftige Entzündungsreaktion auftreten (Kawasaki-Syndrom). Das ist Ärztinnen und Ärzten während der Pandemie auch für Coronainfektionen aufgefallen und wird PIMS genannt. Die Erkrankung trat bei 12- bis 17-Jährigen bei rund 4 von 10’000 Infektionen auf, das Robert-Koch-Institut vermutet, dass es eher weniger als mehr sind.

Etwas grösser als das Risiko für einen schweren Verlauf bei Jugendlichen und Kindern könnte das Risiko für Long Covid sein, das besonders nach mildem Verlauf auftritt. Davon geht auch der deutsche Virologe Christian Drosten aus. Von anderen Virusinfektionen ist bekannt, dass sie das Müdigkeitsyndrom ME/CFS auslösen können, das Long-Covid gleicht. Es tritt gemäss Adoleszenzmedizinerin Lara Gamper vom Kinderspital Zürich besonders häufig bei Jugendlichen zwischen 11 und 19 Jahren beiden Geschlechts und später dann bei 30- bis 39-Jährigen auf (eher Frauen). Bei Jugendlichen sind die Heilungschancen allerdings besser.