Biobauernhöfe: Aargau auf dem viertletzten Platz – wie sich die 303 Betriebe in der Region verteilen

Der Aargau ist ein Agrarkanton. Fast die Hälfte seiner Fläche wird landwirtschaftlich genutzt. Mit 3052 landwirtschaftlichen Betrieben liegt er im kantonalen Vergleich auf dem sechsten Platz, wie aktuelle Daten des Bundesamts für Statistik zeigen. Der Kanton Bern weist am meisten Bauernhöfe auf.

Was auffällt: Betrachtet man die Anzahl Biobetriebe, ist der Kanton Aargau am Ende der Rangliste zu finden. Gerade einmal 303 Betriebe produzieren nach biologischen Standards. Das entspricht knapp zehn Prozent aller Aargauer Landwirtschaftsbetriebe. Im Kantonsvergleich belegt der Aargau den viertletzten Platz. Nur in den Kantonen Freiburg, Schaffhausen und Appenzell Innerrhoden ist der Bioanteil geringer. Wie kommt das?

Mehr Ackerbau, mehr Pestizide

Christoph Hagenbuch, Präsident des Bauernverbands Aargau (BVA), gibt seine Einschätzung zu diesem Ranking ab. Er erklärt:

«Im Aargau wird viel Ackerbau betrieben, und es werden viele Spezialkulturen wie Obst, Beeren, Wein und Gemüse angebaut. Viele dieser Kulturen lassen sich unter Einhaltung der Biorichtlinien nur erschwert oder gar nicht anbauen.»
Christoph Hagenbuch, Präsident des Bauernverbands Aargau.

Christoph Hagenbuch, Präsident des Bauernverbands Aargau.

zvg

Laut Daten des Landwirtschaftlichen Zentrums Liebegg werden 44 Prozent der verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche im Aargau für den Ackerbau verwendet. Anders sieht es im Kanton Graubünden aus. In Graubünden gibt es gemäss Hagenbuch aufgrund der Topografie und des langen Winters weniger Äcker, dafür mehr Grasland, wo beispielsweise Kühe weiden. Bei dieser Art von Landwirtschaft habe man viel weniger mit Schädlingen und Pilzkrankheiten zu kämpfen, wodurch es einfacher sei, auf Pestizide zu verzichten und biologisch zu produzieren. Der Unterschied zwischen bio und konventionell sei da geringer. Dies erkläre die knapp 60 Prozent Biobetriebe im Bergkanton.

Doch nicht nur die Topografie und die angebauten Kulturen haben einen Einfluss darauf, ob sich Bio für einen Betrieb eignet und lohnt. Hagenbuch konkretisiert: «Als Bauer muss ich mir zwei Dinge überlegen. Erstens: Kann ich meine Produkte unter den verlangten Auflagen überhaupt produzieren? Und zweitens: Kann ich die Produkte verkaufen?» Neben der Landwirtschaftsstruktur nennt er auch die Käufer als Grund für die wenigen Biobetriebe. Er sagt:

«Solange die Abnehmer und die Konsumenten grossmehrheitlich den günstigeren konventionellen Produkten den Vorzug geben, können höherpreisige biologische Nahrungsmittel am Markt nicht abgesetzt werden.»

So habe auch der Markt Einfluss darauf, wie produziert werde.

Auf die Frage, ob der Kanton mehr tun müsste, um Biobetriebe zu fördern, antwortet Hagenbuch entschieden: «Im Gegenteil! Der Kanton macht genug.» Der Kanton habe einerseits die Vorgaben des Bundes, bei deren Umsetzung er wenig Spielraum habe und welche er gut umsetze. Andererseits habe der Kanton die eigenen Konzepte. Auch diese heisst Hagenbuch gut. Als Beispiel nennt er das Programm «Landwirtschaft – Biodiversität – Landschaft» (kurz: Labiola). Damit will der Kanton die Ökologie und Biodiversität in der Landwirtschaft auf allen Betrieben fördern, bio als auch konventionell.

Programm Labiola

Mit dem Programm Labiola will der Kanton Aargau verschiedene Massnahmen und Projekte im Bereich der Biodiversität und der Landschaftsqualität fördern. So soll zu einer attraktiven Landschaft und der Schaffung von Naherholungsräumen im Kanton beigetragen werden. Dabei werden Synergien der beiden Beitragsarten Biodiversität und Landschaftsqualität des Direktzahlungssystems genutzt. Die zwischen Kanton und Landwirtinnen und Landwirten abgeschlossenen Verträge haben jeweils eine Laufzeit von acht Jahren. 

Konkret setzt sich Labiola beispielsweise für die Schaffung neuer Amphibien-Tümpel ein. Auf der Website sind ausserdem Ratschläge und Tipps aufgeschaltet, wie diverse Massnahmen für mehr Biodiversität optimal umgesetzt werden können. Beispiele sind das Aufhängen von Nistkästen oder das gestaffelte Mähen von Wiesen.

Das Beispiel mit den Insekten an der Windschutzscheibe

Anderer Meinung ist Matthias Betsche, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau. Bezüglich Anreize für Biolandwirtschaft von Seiten des Kantons sagt er:

«Da gibt es noch sehr viel Luft nach oben.»

Die intensive Landwirtschaft habe im Mittelland und somit auch im Kanton Aargau zugenommen. Darauf deuteten diverse Indikatoren wie die hohe Nitratbelastung des Grundwassers, die erhöhte Bautätigkeit auf Landwirtschaftsland und der Gülle-Export des Aargaus in andere Kantone hin. Die Stickstofffrachten aus der intensiven Landwirtschaft führten immer mehr zur Überdüngung und Destabilisierung der Wälder, Magerwiesen und Moore.

Matthias Betsche, Geschäftsleiter von Pro Natura Aargau.

Matthias Betsche, Geschäftsleiter von Pro Natura Aargau.

Britta Gut

Diese intensivere Landwirtschaft wirke sich negativ auf die Biodiversität aus. «Ich bringe jeweils gerne das Beispiel mit den Insekten an den Windschutzscheiben», sagt Betsche. Früher hätten die Tiere dauernd an den Scheiben der Fahrzeuge geklebt. Das sei heute kaum mehr der Fall – und ein Hinweis auf die prekäre Situation der Insekten. Deren Zahl sei nämlich innerhalb der letzten dreissig Jahre um 75 Prozent eingebrochen. Rund 60 Prozent der Insektenarten sind bedroht.

«Es herrscht ein Ungleichgewicht», sagt Betsche und schliesst daraus: «Wir brauchen mehr Biodiversität und mehr Ökologie.» Diese kann durch biologische Landwirtschaft gefördert werden. Ein wichtiger Punkt sei, dass die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehe. Der Kanton habe zum Beispiel die Möglichkeit, Land an Biobetriebe zu verpachten. Konkret nennt Betsche die landwirtschaftliche Nutzfläche, welche der Justizvollzugsanstalt Lenzburg gehört. Der Kanton könne entscheiden, diese Fläche fortan biologisch zu bewirtschaften.

Betsche räumt beim Stichwort Topografie ein, dass der Ackerbau im Aargau stark vertreten ist und Pestizide dort ein grösseres Thema sind. Doch er sagt auch: «Ackerbau schliesst Bio nicht aus. Auch im Aargau zeigen uns Landwirte, dass man mit Biogemüse sehr gut fahren kann.»

Auch den Punkt, dass Abnehmer häufig kein Bio wollen, sieht er. Und nimmt sie in die Pflicht:

«Auch der Konsument spielt eine wichtige Rolle und muss dazu beitragen, dass sich etwas verändert.»

Betsche gibt zu bedenken: «Wir Konsumenten müssen uns bewusst sein, dass es auch um Versorgungssicherheit geht. Eine auslandabhängige Intensivlandwirtschaft ist nicht einheimisch.» Gleichzeitig sei man als Konsument im Laden teilweise überfordert. Was ist Anfang Juni ökologischer: der regionale, konventionell angebaute Apfel, der über Winter im Kühlhaus eingelagert war, oder der Bioapfel aus dem Ausland? Auch die Marge auf Bioprodukte kritisiert er zu einem gewissen Grad, da sie hauptsächlich den Vertreibern zugutekomme. Es sei deshalb gerade für den Aargau als relativ grosser Player in der Landwirtschaftspolitik wichtig, die richtigen Anreize für mehr Nachhaltigkeit zu schaffen.

Biotrend sichtbar – auch im Aargau

In den letzten Jahren hat die Zahl der Biobetriebe schweizweit stetig zugenommen, während Tausende konventionelle Höfe verschwunden sind. Dieser Trend ist auch im Aargau zu beobachten: Innerhalb von 24 Jahren ist die Anzahl konventioneller Betriebe um 1802 geschrumpft. Im selben Zeitraum sind 190 Biohöfe dazugekommen. Gesamthaft nimmt die Zahl aller Landwirtschaftsbetriebe stetig ab – im Aargau, als auch national.

Auch bei den Konsumentinnen und Konsumenten wird Bio zunehmend beliebter. Bio Suisse teilte mit, dass der Schweizer Detailhandel für das Jahr 2020 Rekordzahlen vermeldet. Der Marktanteil von Biokonsumgütern stieg im vergangenen Jahr um gute 20 Prozent. Bio Suisse führt diese Entwicklung unter anderem auf Corona zurück: Aufgrund geschlossener Kantinen und Restaurants kochten die Leute wieder vermehrt selber.

Im Jahr 2018 startete der Kanton Aargau ein Projekt, um bezüglich Biolandwirtschaft Gas zu geben: Als erster deutschschweizerischer Kanton erstellte er einen Aktionsplan, um die Biobranche zu fördern. Der Aktionsplan 2021 wurde mit interessierten Akteuren aus der Biobranche und den Fachstellen des Kantons erarbeitet. Koordiniert wurde das Projekt durch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick.

Durch diesen Aktionsplan sollte die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) und das Wachstum der gesamten regionalen Biobranche gefördert werden. Dazu sollen die Akteure der gesamten Wertschöpfungskette enger zusammenarbeiten. Konkret verfolgte der Kanton mit dem Aktionsplan folgende Ziele:

  • Biologisch bewirtschaftete Landwirtschaftsflächen steigern.
  • Effizienz der Logistik verbessern.
  • Wissen über Produktion und Handel von Bioprodukten in der Bildung auf verschiedenen Stufen und in der gesamten Wertschöpfungskette verbessern.
  • Kompetenz in der Verarbeitung von Biolebensmitteln verbessern.
  • Bewusstsein bei Konsumentinnen und Konsumenten in Bezug auf biologische Landwirtschaft und Regionalität fördern.
  • Wertschöpfung der regionalen Biobranche stärken.
  • Biobetriebe im Kanton Aargau über alle Handelsstufen (Produktion, Verarbeitung, Handel, Gastronomie) vernetzen und den Aktionsplan mit einer Geschäftsstelle umsetzen.

Seit dem vergangenen November liegt ein Fazit des Aktionsplans vor. Er habe Impulse setzen können, um Wahrnehmung und Wertschätzung für biologisch produzierte Lebensmittel zu stärken, heisst es darin. Grosses Potenzial orten die Verfasser in zwei Bereichen: in der Förderung von Biokomponenten in der Gemeinschaftsverpflegung und der Vereinfachung der Logistik zwischen Produktion und Handel.

Was bedeutet Bio überhaupt?

Der Biolandbau ist eine besonders naturnahe Form der Landwirtschaft. Sie ist seit 20 Jahren durch Gesetze und die Bio-Verordnung definiert. 

Die wichtigsten weltweit eingehaltenen Anforderungen sind:

  • Keine chemisch-synthetischen Pestizide und Dünger
  • Kein Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen
  • Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und natürlichen Vielfalt
  • Artgerechte Tierhaltung
  • Biodiversität fördern

Der Biolandbau arbeitet mit der Natur und den lokalen Gegebenheiten: mit organischen Düngern, natürlichen Pflanzenschutzmitteln und robusten Pflanzensorten und Tierrassen. Natürliche Mittel zu Behandlungen von Schädlingen und Krankheiten sind erlaubt. Mit diesem «sanften» Pflanzenschutz werden Rückstände von chemischen Pflanzenschutzmitteln im Lebensmittel vermieden. Die Umwelt soll von schädlichen und naturfremden Substanzen entlastet und die biologische Vielfalt gestärkt werden.

Biobetriebe streben eine möglichst geschlossene Kreislaufwirtschaft an. So werden Pflanzen mit betriebseigenen organischen Düngern wie Mist, Kompost oder Gülle gedüngt und die Futtermittel für die Tiere möglichst selbst produziert. Die Tiere werden artgerecht gehalten und gefüttert. 

Quelle: www.bio-suisse.ch