
«Irgendwann muss man den Sack zumachen – Zack! Bumm! Fertig!»
Wenn Andreas Bieri aus seinem Bürofenster den Blick über die Suhre in Richtung Ruedertal schweifen lässt, kommt er ins Schwärmen. Im Frühling sei die Aussicht besonders schön, wenn alles grünt, und bei schönen Wetter sehe man im Süden bis an den Pilatus.
Er habe leider nicht allzu viel Zeit, aus dem Fenster zu schauen, was einleuchtet, schliesslich führt sich die Raiffeisenbank Reitnau-Rued nicht von alleine. Und doch habe er die Aussicht in den letzten 35 Jahren als Vorsitzender der Bankleitung doch schon das eine oder andere mal genossen. Bald hat er wieder mehr Zeit dafür, denn diesen Sommer lässt sich Bieri pensionieren: «Ich werde nächstes Jahr 65 Jahre alt, irgendwann muss man den Sack zumachen – Zack! Bumm! Fertig!» Er sei ein Mensch, der, wenn er sich entscheidet, die Entscheidung konsequent durchzieht, ohne sie lange vorwärts und rückwärts zu hinterfragen.
Eine trockene Abschiedstour durchs Kundenbuch
Auf der Internetseite der Bank ist Bieri bereits schon nicht mehr als Vorsitzender der Bankleitung angegeben. Und das hat seinen Grund, wie er erklärt: «Ich habe die Leitung nun per 1. Mai abgegeben, damit ich meine letzten zwei Monate dafür verwenden kann, mich persönlich von unseren Kunden zu verabschieden und die neue Ansprechperson der Bank vorzustellen – auch wenn das zurzeit aufgrund der geschlossenen Restaurants eine eher trockene Angelegenheit werden dürfte.»
Personalentscheidungen waren früher viel einfacher
Bieris Nachfolger, Reto Hauri, hat 1995 die Banklehre bei der Raiffeisenbank Reitnau gemacht und sass fünf Jahre später, also zwei Jahre nach Lehrabschluss, bereits in der Geschäftsleitung der Bank. Bieri: «Früher war das keine grosse Sache, ich habe einfach einen Stellvertreter gebraucht und dann auch ernannt. Heute müssen die Bankleitungsmitglieder vom Genossenschaftsbund Raiffeisen Schweiz und von der Finanzmarktaufsichtsbehörde Finma abgenickt werden.»
In dieser Hinsicht ist Bieri froh über die tatkräftige Unterstützung durch Raiffeisen Schweiz: «Die ganzen Vorgaben kommen von der Finma, Raiffeisen Schweiz filtert sie und bereitet sie portionsweise und so auch mundgerecht für uns zu. Alleine könnten wir den Regulierungsaufwand schon lange nicht mehr stemmen.»
Nicht gut zu sprechen auf Raiffeisen Schweiz war Bieri nach der Affäre rund um den ehemaligen Chef der Genossenschaftsbank, Pierin Vincenz, der dieses Jahr in Zürich des gewerbsmässigen Betrugs, der Veruntreuung, der Urkundenfälschung und der passiven Bestechung angeklagt wird. Vincenz habe dem Ansehen der Bank geschadet: «Eine Kundin hat mich direkt gefragt, ob sie nun Angst um ihr Geld bei uns haben muss, das war schon peinlich für uns.»
Schliesslich habe die Kundschaft aber gut zwischen Raiffeisen Schweiz in St. Gallen und der örtlichen Raiffeisenbank differenzieren können. Doch für die Bank selber sei es schon eine dumme Situation gewesen: «Wir gelten als bodenständig, und Herr Vincenz war alles andere als das.»
Die traurigen Momente im Leben des Bankers
Schwierige Momente habe es in Bieris Karriere schon auch gegeben, auch neben der Affäre Vincenz. So habe ihn beispielsweise der Tod eines Angestellten schockiert, der an einem Grümpelturnier der Bank zusammengebrochen und an Ort und Stelle verstorben ist. Oder die Entlassung eines anderen Angestellten, der über längere Zeit hinweg seine Zeiterfassung gefälscht hat, was laut Bieri in einer Bank, wo Vertrauen das A und O des Geschäfts ist, überhaupt keinen Platz hat.
Die Nähe zur Kundschaft ist es, was Bieri in seinen 35 Jahren am meisten berührt hat, wie er sagt: «Viele Kunden kenne ich schon sehr lange, und auch deren Kinder mussten bei der Eröffnung des Lohnkontos Anfang Lehre keine Sekunde lang überlegen, zu welcher Bank sie wollen, man geht einfach zur Raiffeisen.» Die Verwurzelung der Bank in der Region und die Nähe zur Kundschaft sei grundsätzlich auch das, was für ihn zähle. So beschreibt er sein Arbeitsmotto: «Man muss die Leute – unabhängig vom Kontostand – einfach gern haben.»
Die Konkurrenz aus Aarau ausgestochen
Als einer der Schlüsselmomente bezeichnet Bieri die Fusion zwischen Raiffeisen Reitnau und Raiffeisen Rued 2007, womit die Eröffnung der Geschäftsstelle im historischen Gasthof «Zum Löwen» in Schöftland ermöglicht wurde: «Weder Raiffeisen Reitnau noch Rued hatten den nötigen Schnauf, um in Schöftland eine Filiale zu eröffnen – zusammen haben wir es geschafft.» Am Gebäude war laut Bieri auch die Aargauische Kantonalbank interessiert, die sich das Angebot aber angeblich zu lange durch den Kopf hat gehen lassen, weshalb schliesslich Raiffeisen den Zuschlag erhalten hat.
Hoffnung auf weniger Struktur im Alltag
Besonders vermissen wird Bieri nach der Pension sein Team, das er in all diesen Jahren bei der Raiffeisenbank um sich hatte: «Meine Mitarbeitenden wären für mich durchs Feuer gegangen, und ich natürlich auch für sie.» Er freut sich aber auch auf die Zukunft, die er als Velofahrer, Holzer, Wanderer, Tubist, Traktorfahrer, Hausmann und Grossvater schon ordentlich gefüllt hat. Gleichzeitig will er sein Leben ab und an ein bisschen weniger strukturieren, als das ein Bankleiter muss – und einfach mal die Aussicht geniessen.