Neues Projekt: Die Aaregondel soll die Menschen schwebend vom Hauptbahnhof ins Attisholz bringen

Es wird gebaut in und um Solothurn. Mehrfamilienhäuser, Mietwohnungen, Eigentumswohnungen, grosse Überbauungen in Zuchwil rund um den Widiwald in unmittelbarer Nähe des Sportzentrums. Aber auch im Attisholz sollen in den nächsten drei, vier Jahren Wohnungen entstehen. Schon jetzt locken zahlreiche kulturelle Veranstaltungen Besucher aufs Areal.

Und auf der anderen Seite der Aare, auf Luterbacher Boden, findet sich eine der wichtigsten neu entstandenen und noch immer wachsenden Industriezonen der Schweiz, das Areal, auf dem Biogen eine hochmoderne biopharmazeutische Produktionsstätte hochzieht und insgesamt bis zu 1200 Arbeitsplätze entstehen sollen. Wohnen, Freizeit, Arbeit – alles auf engstem Raum und im Wachstum.

Es sind zwei Entwicklungshotspots in unmittelbarer Nähe der Stadt. Orte, die Leute anziehen – das ist jetzt schon so und wird künftig noch mehr der Fall sein: Mieterinnen, Arbeitnehmer, Kulturinteressierte, Sportlerinnen, Freizeit-Ausflügler, Hinz und Kunz. Michael Ochsenbein, Gemeindepräsident der Nachbargemeinde Luterbach, sagt: «Der Entwicklungsschwerpunkt Attisholz hat mindestens regionale, wenn nicht sogar nationale Ausstrahlung.»

Das freut einerseits. Andererseits wächst das Verkehrsaufkommen dadurch. «Letzten Sommer hatte es viele Menschen im Attisholz-Areal», sagt Sandra Morstein, Gemeindepräsidentin von Riedholz.

Sie muss es wissen, auf ihrem Gemeindegebiet steht das Areal, dem sie «enormes Potenzial» zuschreibt und wo «etwas Grosses» entstehen könne. Aber je mehr Menschen irgendwohin wollen, desto mehr Verkehr entsteht. Deshalb steht die Anbindung an den öffentlichen Verkehr und für den Fuss- und Veloverkehr bei der Arealentwicklung klar im Fokus.

Die Aaregondel – eine kleine Verkehrs­revolution oder gar mehr?

Eine kleine Express-Buslinie fährt heute schon vom Bahnhof via Biogen zum Industriegebiet Attisholz Süd. Finanziert insbesondere von Biogen und der Halter AG, der Besitzerin und Entwicklerin der einst grössten Industriebrache Europas, dem Attisholz Nord. Dieses Angebot aber wird kaum genügen, um auch die künftigen Bedürfnisse abzudecken.

«Für die weitere Entwicklung der Arealanbindung arbeiten Investor, Gemeinden und Kanton eng zusammen. Und uns allen ist klar, dass die Anbindung an den öffentlichen Verkehr ein elementarer Punkt ist, um das Areal zu entwickeln», sagt Morstein. Sobald Leute in den dort entstehenden Wohnungen einziehen, müsse es eine Verbindung geben. Geplant ist, die Buslinien vom Hauptbahnhof via Zuchwil, Luterbach ins Attisholz auszubauen und später auch von Norden her über Riedholz anzubinden.

 

Jetzt aber bringt Reto Grimm eine neue Idee ins Spiel. Eine Gondel soll die Entwicklungshotspots mit dem Hauptverkehrsknotenpunkt verbinden. Vom Hauptbahnhof via Widi bis zum Uferpark an der Aare in Luterbach soll sie führen. «Aaregondel» nennt Grimm sein Projekt. 3250 Meter lang, 17 Masten, höchster Punkt 40 Meter über dem Boden, 74 Gondeln, die jede bis zu zehn Personen Platz bieten und zusammen bis zu 2000 Menschen pro Stunde transportieren können. Bei Vollauslastung verlässt alle 18 Sekunden eine Gondel die Station und bringt die Reisenden mit 6 Metern pro Sekunde in 11 Minuten und 11 Sekunden vom Hauptbahnhof ins Attisholz.

Eine Gondelbahn habe zudem zahlreiche Vorteile gegenüber Bus, Tram oder Zug. Sie ist lärmarm, emissionsfrei und statt im Stau zu stehen, schwebt man über die Aare an der Stadt vorbei in den pulsierenden Osten der Agglomeration. Urs Jäggi, Direktor des Sportzentrums Zuchwil, sagt: «Ohne Wartezeit innert vier Minuten eine Verbindung vom Hauptbahnhof ins Sportzentrum und das komplett staufrei, das wäre für uns und unsere Kundschaft ein Riesengewinn.»

Und dann gibt’s da noch den Nachhaltigkeitsaspekt. Die Gondel fährt nur dann, wenn auch effektiv jemand transportiert werden muss. Ein Selbstbedienungskonzept, alles vollautomatisch, möglichst wenig Personalaufwand und nur Verkehr, wenn Bedarf besteht. «Das gibt es bisher noch nicht im öffentlichen Verkehr der Schweiz», sagt Grimm. Und während Strassen und Schienen Landfresser sind, ist der Ressourcenverschleiss einer Gondelbahn vergleichsweise gering. Genauso wie die Baukosten. Ein Gondelkilometer koste einen Zehntel dessen, was ein Kilometer Kantonsstrasse koste, so Grimm.

Reto Grimm mit dem Modell einer Aare Gondel vor der Kulisse des Attisholz Areals. Bild: Hanspeter Bärtschi
Reto Grimm mit dem Modell einer Aare Gondel vor der Kulisse des Attisholz Areals. Bild: Hanspeter Bärtschi

 

Ganz nebenbei wäre die Aaregondel mit Sicherheit auch eine touristische Attraktion. Doch das ist für Grimm nebensächlich. Der Designer sowie Areal- und Immobilienprojektentwickler sagt: «Wir müssen eine Verbindung bauen, damit das, was zusammengehört auch zusammengeführt wird. Damit sich Leute begegnen können. Denn im Fokus jeder Arealentwicklung stehen Menschen, nicht Autos.»

Seilbahnen Weissenstein AG ist auch in der IG Aaregondel

Von der Notwendigkeit einer innovativen Lösung ist Grimm überzeugt. Denn der Bedarf sei gross. Laut ersten, konservativen Erhebungen für das Jahr 2040 liege das Potenzial der Aaregondel bei 4500 Fahrgästen pro Tag. Das entspreche rund 90 vollen Bussen, so Grimm. Die Zahl dürfte sich noch um einiges erhöhen, wenn man davon ausgeht, dass sich das Mobilitätsverhalten nachrückender Generationen bedeutend verändern wird.

Während Grimm nun sein Projekt offiziell publik macht, hat er in den vergangenen Wochen und Monaten im Hintergrund gearbeitet, genetzwerkt und für seine Idee geweibelt. Gondelbauer Garaventa hat erste Pläne gezeichnet, während Grimm mit Vertretern zahlreicher Interessengruppen gesprochen hat.

Aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft. Selbst eine Interessensgemeinschaft hat er gegründet. Darin vertreten Leute wie Urs Jäggi, Direktor des Sportzentrums Zuchwil oder die Seilbahn Weissenstein AG, die sich auch schon bereit erklärt hat, die Aaregondel zu betreiben, sollte das Projekt denn umgesetzt werden.

Gondeln im urbanen Raum sind nichts Neues. La Paz, Singapur, Medellin, Hongkong oder Moskau sind nur einige der Städte weltweit, die eine Stadtseilbahn mit öffentlicher Erschliessungsfunktion kennen. In der Schweiz aber gibt es Gondelbahnen bisher nur in den Bergen, auch wenn in den letzten Jahren etliche Ideen für städtische Seilbahnen präsentiert wurden. Die Liste solcher und ähnlicher Ideen reicht von Freiburg über Basel, Bern und Luzern bis Baden, Zürich, Winterthur und St. Gallen. Bisher höchstens mit Teilerfolgen, gebaut wurde noch keine.

Solothurn könnte Pionier sein, doch Gegenwind ist gewiss

Es kommt nicht von Ungefähr, dass Grimm eine IG Aaregondel gegründet hat. Er rechnet mit Gegenwind. Und der wird kommen. Die projektierte Gondel führt zwar nur über wenige private Gebäude und Grundstücke, aber natürlich ist von dieser Seite mit Widerstand zu rechnen. Und dann ist da noch die Linienwahl entlang der Aare, der Gewässer-, Heimat- und Landschaftsschutz. Zwischen Feldbrunnen und Flumenthal kreuzt die Gondel ein Wasser- und Zugvogelschutzgebiet von nationaler Bedeutung, wie Gemeindepräsidentin Sandra Morstein sagt. Und auf Luterbacher Seite, jenseits des Flusses, würde man sich in ein Auenschutzgebiet begeben. Vogel- und Umweltschützer werden mit Sicherheit intervenieren. Bleibt die Frage, ob man Kompromisse findet.

Und dann wäre da noch die Finanzierung. Ein weiterer kritischer Punkt. Grimm geht derzeit von Gesamtkosten für das Projekt von rund 30 bis 40 Millionen Franken aus. Ziel wäre es, die Bahn als Projekt des öffentlichen Verkehrs auch öffentlich zu finanzieren. Allerdings ist Grimm sich im Klaren, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Deshalb ist er vorerst auf der Suche nach Geldern für eine umfassende Machbarkeitsstudie. Er ist optimistisch diese bald zusammen zu haben.

Bis die Machbarkeitsstudie vorliegt, bleibt Zeit zu diskutieren, weitere Unterstützer zu finden und die Vision Aaregondel voranzutreiben. Der Initiant ist überzeugt, dass es nur wenige Orte gibt, wo eine Seilbahn sinnvoller in städtischem Gebiet eingesetzt werden könnte als in Solothurn. Und er sagt: «Gondeln können mehr als Skifahrer auf den Berg bringen. Die Zeit ist reif für eine Gondelbahn im urbanen Raum.»

Solothurn könnte eine Pionierrolle einnehmen. Oder wie Luterbachs Gemeindepräsident Michael Ochsenbein sagt: «Ich finde es extrem spannend, ein Nahverkehrssystem einmal anders zu denken, als man das bisher getan hat. Bei uns könnte ein interessantes Versuchsfeld sein, das man in anderen dicht besiedelten Gegenden wie Basel, Bern oder Zürich kopieren könnte.» Die Zukunftsvision einer Gondel entlang der Aare kann begeistern. Sie animiert die Menschen zum Träumen.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.aaregondel.ch