
Weniger Ertrag, dafür super Qualität: Das verregnete Jahr nimmt ein versöhnliches Ende für die Winzer
Am Waldrand leuchtet ein Rebberg in den schönsten Herbstfarben. «Ja», sagt Cornelia Jacquemai, «im Riedtal würde wohl kaum jemand einen Rebberg erwarten.» Und dass Wein aus Zofingen komme, wäre noch vor einigen Jahren schlicht undenkbar gewesen, ergänzt Martin Wullschleger. Doch die Bedingungen haben sich gewandelt. «Professioneller Weinbau ist auch in nördlicheren Lagen möglich geworden», führt Martin Wullschleger aus. Einerseits seien die durchschnittlichen Temperaturen durch die Klimaerwärmung gestiegen, andererseits seien Neuzüchtungen auf den Markt gekommen.
Die Sortenwahl hat sich als richtig erwiesen
Einige dieser Neuzüchtungen seien früher reif und würden eine schöne Aromatik von eher südlich wachsenden Rebsorten mitbringen. Vor allem aber seien sie deutlich weniger anfällig auf Pilzkrankheiten wie den Mehltau, betont Martin Wullschleger.
2017 haben Cornelia Jacquemai und Martin Wullschleger den Hof im Riedtal von Martins Eltern Fritz und Myrtha übernommen. Als (fast) Branchenfremde, waren doch beide viele Jahre in der Industrie tätig. Die Verbundenheit zum Weinbau rührte bei Martin Wullschleger daher, dass er ursprünglich eine Landwirtschaftslehre auf einem Weinbaubetrieb im Waadtland abgeschlossen hatte, während die HR-Fachfrau Cornelia Jacquemai seit 2019 im Besitz einer Weinsensorik-Lizenz ist.
Die beiden richteten den Hof nach der Übernahme teilweise neu aus. Während der Pferde-Laufstall als Betriebsstandbein beibehalten wurde, sollte der Weinbau anstelle der Mutterkuhhaltung zum zweiten Standbein werden. «Für uns war von Beginn her klar, dass wir Weine in Top-Qualität produzieren wollen, wobei die Produktion möglichst nachhaltig sein soll», betont Martin Wullschleger. In Frage gekommen seien daher ausschliesslich Neuzüchtungen. Der Evaluationsprozess wie auch der Aufbau des Rebbergs hingegen sei langwierig und anforderungsreich gewesen, führt Cornelia Jacquemai aus. Das rühre vor allem daher, dass es kaum und schon gar nicht langjährige Erfahrungen im An- und Ausbau von Neuzüchtungen gebe. Entschieden haben sich Wullschleger und Jacquemai schlussendlich für den Anbau von drei Rebsorten. Die weisse Johanniter-Rebe sowie die beiden Rotweinsorten Cabernet Jura und Cal 1-28. «Heute können wir sagen, dass sich unsere Sortenwahl als völlig richtig erwiesen hat», sagen die beiden 49-Jährigen. Aus den drei Rebsorten produzieren Wullschleger und Jacquemai drei verschiedene Weine. Der weisse Johanniter wird sortenrein ausgebaut und eignet sich sowohl als Apérowein wie auch als vorzüglicher Essensbegleiter. Ein Teil der Cabernet Jura-Ernte wird als Roséwein ausgebaut, der andere Teil ergibt zusammen mit dem Cal die rote Cuvée 29. Gekeltert werden die Weine bei Daniel Fürst im fricktalischen Hornussen.
Das diesjährige Weinjahr sei extrem anspruchsvoll gewesen, sagt Martin Wullschleger. Bereits die Blütezeit sei sehr heikel gewesen, der verregnete Sommer habe viele Probleme mit sich gebracht. Der Boden sei teilweise so nass gewesen, dass er nicht mehr mit den Maschinen befahren werden konnte. Um den falschen Mehltau in dieser Zeit bekämpfen zu können, habe es fast ein wenig Erfindergeist gebraucht. «Anstatt das trockene Blattwerk maschinell mit der Rebenspritze mit einer Flüssiglösung zu besprühen, bin ich – ausgerüstet mit einem Laubbläser – zu Fuss durch die Reben marschiert, um die nassen Blätter mit Kalkpulver zu bestäuben», führt Martin Wullschleger aus. Damit erreichte der Zofinger Winzer zumindest einen bescheidenen Schutz für rund 24 Stunden. Die Reifephase ab Anfang September hingegen sei fast perfekt gewesen. Viel Sonne tagsüber und kalte Nächte seien ideale Bedingungen, um viel Aromatik in die Trauben zu bringen. Mitte Oktober konnten perfekt ausgereifte Johanniter- und Cabernet Jura-Trauben gelesen werden, «mit der Lese der Cal-Trauben können wir eventuell bis in den November zuwarten», betonte Martin Wullschleger.
Reduzierter Ertrag, grossartige Qualität
Die schwierigen Bedingungen im Rebberg werden in der ganzen Schweiz grosse Auswirkungen auf die Erntemenge haben. Er wage eine (private) Schätzung sagt Martin Wullschleger. In der Schweiz werde der Ertrag vielleicht bei 50 Prozent einer durchschnittlichen Ernte liegen. Im Riedtal hingegen sind die Sorgenfalten deutlich kleiner. «Gegenüber der letztjährigen Ernte werden wir einen um vielleicht 20 bis 25 Prozent reduzierten Ertrag haben», ist sich Martin Wullschleger sicher. Die Qualität der Trauben hingegen sei super. «Dieses Jahr wird es finessenreiche Weine geben.»
Weinfreunde, die nun neugierig auf den Wein aus Zofingen geworden sind, werden sich allerdings bis in den Frühling 2022 gedulden müssen. «Von der letztjährigen Ernte von rund 4500 Flaschen ist nichts mehr da – wir sind vollständig ausverkauft», sagt Cornelia Jacquemai. Deshalb wollen die beiden die Produktion im Riedtal in naher Zukunft ausweiten. «Ziel sollte einmal eine Jahresproduktion von rund 15 000 Flaschen sein», verrät Cornelia Jacquemai. 3400 weitere Rebstöcke – Johanniter und Cabernet Jura – wurden dieses Jahr bereits gepflanzt. Und weitere 40 Aren sind noch im Rebkataster. Wullschleger und Jacquemai sind schon längere Zeit am Planen – doch mit der Entscheidung tun sie sich noch schwer. «Wir möchten auf 20 Aren sicher eine weitere Weissweinsorte anpflanzen und schwanken immer noch zwischen Souvignier gris und Sauvignac», sagt Martin Wullschleger. Würde die Wahl auf die erste Rebsorte fallen, könnte im Riedtal dereinst sogar ein Süsswein produziert werden. Auch das wäre vor einigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen.