Dozentin und Studentin reichen Beschwerde gegen Zertifikatspflicht an der Fachhochschule Nordwestschweiz ein

Vor zwei Wochen hat ein junger Professor der Hochschule für Technik in Brugg-Windisch gekündigt. Er kritisierte, mit der Zertifikatspflicht würden Studierende vom Unterricht ausgeschlossen – das sei einer öffentlichen Schule nicht würdig. Der Dozent verlässt die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) deshalb per Semesterende im Januar 2022 und wechselt in die Privatwirtschaft.

Seit dem 18. Oktober gilt auf dem FHNW-Campus in Brugg-Windisch eine strenge Zertifikatspflicht. Zuvor war das Zertifikat nur für den Zutritt zu Mensen, Bibliotheken und Weiterbildungsveranstaltungen mit mehr als 30 Personen notwendig. Nun ist der Nachweis, dass man geimpft, genesen, oder getestet ist, Voraussetzung für den Zugang zu allen Räumlichkeiten der Fachhochschule.

Studierende sammelten 380 Unterschriften gegen Zertifikatspflicht

Schon im September, als die FHNW die Einführung der Zertifikatspflicht auf Mitte Oktober ankündigte, gab es Kritik von Studierenden. In einem Brief forderte die sogenannte «Interessengemeinschaft FHNW zertifikatsfrei», den Entscheid zurückzunehmen. Später sammelten Studierende rund 380 Unterschriften, um sich gegen die Verschärfung der Schutzmassnahmen zu wehren.

Die Fachhochschule hielt aber an der Zertifikatspflicht fest und Anfang dieser Woche sagte Sprecher Dominik Lehmann, die Kontrollen seien gut angelaufen. Er hielt fest: «An der FHNW gibt es eine grosse Mehrheit von Studierenden, welche die Zertifikatspflicht unterstützt.» Viele möchten ihr Studium oder ihre Weiterbildung vor Ort wieder aufnehmen, hielt der Sprecher fest.

Dozentin und Studentin verlangen Aufhebung der Zertifikatspflicht

Doch nun gehen eine Dozentin und eine Studentin der FHNW rechtlich gegen die Zertifikatspflicht vor. Unterstützt vom Lehrernetzwerk Schweiz, das auch hinter der Klage gegen die Maskenpflicht in der 5. und 6. Klasse der Primarschule vor Verwaltungsgericht steht, wurde am Dienstag eine Beschwerde gegen das Schutzkonzept der Fachhochschule eingereicht. Die Rechtsschrift, welche der AZ vorliegt, umfasst 20 Seiten und enthält zahlreiche Anträge gegen die Zertifikatspflicht.

Verfasserin ist die Rechtsanwältin Silja V. Meyer, die bereits vor zwei Wochen eine ähnliche Beschwerde an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) eingereicht hatte. In ihrer Rechtsschrift an die Beschwerdekommission der Fachhochschule Nordwestschweiz verlangt Meyer, die Zertifikatspflicht an der FHNW sei vollständig aufzuheben.

Beschwerdeführer sehen Zertifikatskontrollen als rechtswidrig an

Die Rechtsanwältin stellt sich auf den Standpunkt, ihrer Beschwerde komme aufschiebende Wirkung zu. «Das heisst: Mit der Einreichung ist das Schutzkonzept bis auf weiteres gänzlich ausser Kraft gesetzt», teilt das Lehrernetzwerk Schweiz mit. Würde dies zutreffen, wären gemäss Mitteilung alle Zertifikatskontrollen, die nach Eingang der Beschwerde erfolgen, «per sofort und bis auf weiteres rechtswidrig».

Sollte die Beschwerdekommission die Aufhebung der Zertifikatspflicht ablehnen, stellt die Anwältin mehrere weitere Anträge. So verlangt sie für diesen Fall, dass Lehrveranstaltungen mit weniger als 50 Personen zertifikatsfrei sein sollen oder die Zertifikatspflicht für Mitarbeitende der FHNW aufgehoben wird.

Grundsätzlich stellen die Beschwerdeführerinnen die Gültigkeit des Schutzkonzeptes an der FHNW in Frage. Sie sind der Ansicht, dass Daniel Halter, Vizepräsident Hochschulentwicklung, dieses nicht in Alleinkompetenz hätte erlassen dürfen – deshalb sei das weitreichende Schutzkonzept nichtig.

Inhaltlich kritisieren sie, dass die Fachhochschule mit ihrem Vorgehen «gesetzeswidrig medizinische bzw. immunitätsbezogene Daten von Studentinnen und Studenten sowie von Mitarbeitenden sammelt». Aus Sicht der Dozentin und der Studentin, welche die Beschwerde eingereicht haben, ist die Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften sachlich nicht gerechtfertigt.

Fachhochschule widerspricht Vorwürfen und hält an Zertifikatspflicht fest

Dominik Lehmann, Kommunikationschef der FHNW, bestätigt auf Anfrage der AZ: «Das Direktionspräsidium der FHNW wurde am Dienstag darüber in Kenntnis gesetzt, dass die besagte Beschwerde bei der Beschwerdekommission eingereicht wurde.» Lehmann sagt, die unabhängige Kommission werde die Beschwerde prüfen. Er hält weiter fest: «Der Stellvertreter des Direktionspräsidenten hat die weitere Gültigkeit des Schutzkonzepts und damit die Zertifikatspflicht bestätigt.»

Der Erlass des Schutzkonzepts liegt laut Lehmann in der Kompetenz des Direktionspräsidenten bzw. in der seines Stellvertreters. Mit Blick auf die Kritik der Beschwerdeführerinnen, dass Daniel Halter nicht berechtigt dafür sei, hält der Sprecher fest: «Der Vizepräsident Hochschulentwicklung hat das Schutzkonzept in Stellvertretung des Direktionspräsidenten erlassen.»

Lehmann widerspricht auch den Vorwürfen der Beschwerdeführerinnen, dass die Fachhochschule gesetzeswidrig medizinische Daten sammle. «Studierende und Mitarbeitende, die sich hier testen lassen, geben ihr Einverständnis, dass ihre Anmeldedaten an der FHNW erfasst werden.» Er betont, die medizinischen Resultate der Tests gingen nur an die jeweils getestete Person, die Fachhochschule erhalte diese nicht.

Lehrernetzwerk vermisst «Vernunft, Scharfsinn und Weitblick»

Für das Lehrernetzwerk Schweiz drängt sich abgesehen von der Rechtslage die Frage auf, «wo Vernunft, Scharfsinn und Weitblick der verantwortlichen Personen geblieben sind». Die Organisation fragt, wie es sich erklären lasse, dass die FHNW zwar kostenlose PCR-Tests anbiete, mit diesen aber der Zugang zur Mensa und zur Bibliothek verwehrt werde.

Tatsächlich ist es so, dass man mit internen PCR-Tests kein offizielles Covid-Zertifikat erhält, sondern nur den Zutritt zu allen FHNW-Räumlichkeiten. «Die Mensen und die Bibliotheken sind davon ausgenommen, da für diese Bereiche die Zertifikatspflicht gemäss Bundesvorgaben gilt», erklärte Sprecher Lehmann dazu kürzlich.