
Die Knappheit ist vorbei: Nun werden sogar immer mehr Impfdosen weggeworfen – auch wegen mobilen Zentren
Anfang des Jahres war der Corona-Impfstoff in der Schweiz Mangelware. Zugelassen zur Impfung war nur, wer über 75 Jahre alt war oder zur Risikogruppe zählte. Nicht alle wollten sich damit abfinden, wie mehrere publik gewordene Fälle von so genannten Impfdränglern zeigten.
Für besonders viele Schlagzeilen sorgte jener des südafrikanischen Milliardärs Johann Rupert (70). Er wurde Anfang Januar 2021 im Kanton Thurgau geimpft – noch vor dem offiziellen Start der dortigen Impfkampagne. Rupert wurde in einem der von der Hirslanden-Gruppe betriebenen Impfzentren als Testperson geimpft. Grund für die Vorzugsbehandlung: Über ein Firmengeflecht ist Rupert der Besitzer der schweizweit tätigen Spitalgruppe.
Beim Grossandrang im Frühsommer war es einfacher
Unterdessen verfügt die Schweiz über ausreichend Impfstoff. Statt Impfdrängler stehen Impftrödler im Fokus. Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten ist der Anteil der vollständig geimpften Personen in der Schweiz weiterhin tief.
Um das zu ändern, hat der Bundesrat eine Impfoffensive beschlossen. Ein zentraler Pfeiler: Bis zu 38 Millionen Franken will er in den Ausbau des Angebots an mobilen Impf- und Beratungsstellen investieren. Sie sollen jene Bevölkerungsgruppen erreichen, die sich bisher noch nicht für eine Impfung entschieden haben.
Doch der Ausbau des dezentralen Impfangebots macht die Logistik für die Akteure der Impfkampagne zunehmend anspruchsvoller. Im Frühsommer war diese Aufgabe relativ einfach: Damals wurde der Zugang zur Impfung für die breite Bevölkerung geöffnet. Die Nachfrage war gross, die Termine entsprechend nachgefragt. Die Impfdosen wurden im Akkordtempo in grossen Impfzentren verimpft. Der Bedarf an Impfdosen war dank Voranmeldungen relativ einfach planbar, bei kurzfristigen Absagen konnten Interessierte auf Wartelisten aufgeboten werden.
Je mehr Impfangebote, desto mehr Impfstoff wird entsorgt
Nun gestaltet sich die Situation schwieriger. Eine der grossen Herausforderungen: Die Impfstoffe werden in Mehrfachampullen, auch Vials genannt, ausgeliefert. Beim Impfstoff von Pfizer/Biontech befinden sich darin sechs, beim Moderna-Impfstoff zehn Impfdosen – wobei beim sorgfältigen Gebrauch mehr Impfdosen aus einem Vial gezogen werden können. Einmal geöffnet, muss der Inhalt einer Ampulle innerhalb von sechs Stunden verimpft werden. Ansonsten muss der Impfstoff entsorgt werden.
Mit der generell gesunkenen Nachfrage und der Möglichkeit, ohne Voranmeldung spontan zu einem Impftermin zu erscheinen, wird der Umgang mit den Mehrfachampullen anspruchsvoller. Die Folge: Die Anzahl der Impfdosen, die ungenutzt entsorgt werden müssen, hat zugenommen. Das zeigt eine Umfrage bei mehreren Kantonen.

David Dürr.
Für den Kanton Luzern bestätigt dies David Dürr, Leiter der Dienststelle Gesundheit und Sport. Aktuell sei das Ziel, die Impfung mit niederschwelligen Walk-In-Angeboten zu den Menschen zu bringen und somit die Impfquote zu erhöhen, um möglichst raschen den Weg aus der Pandemie zu ebnen: «Diese Angebote bringen es mit sich, dass auf tiefem Niveau mehr Impfdosen weggeworfen werden müssen, da nicht planbar ist, wie viele Menschen sich impfen lassen werden.» Grundsätzlich gilt laut David Dürr:
«Je mehr Impfangebote es gibt, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass nicht verwerteter Impfstoff vernichtet werden muss.»
Ähnlich tönt es auch bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich. Durch die erweiterten Impfangebote, insbesondere solche ohne Anmeldungen, habe die Anzahl weggeworfener Impfdosen etwas zugenommen. Aber diese Zahl sei weiterhin «tief». Wie in Luzern und Zürich hat man auch im Kanton Bern keine Zahlen zur Anzahl ungenutzter Impfdosen. «Aber in der Tendenz dürfte sie zunehmen», schreibt die Gesundheitsdirektion.
Kantone wünschen sich kleinere Ampullen von den Herstellern
Mit zahlreichen Massnahmen versuchen die Kantone, die Anzahl weggeworfener Impfdosen möglichst klein zu halten. So werden angebrochene Vials aus Walk-in-Angeboten in Spitäler transportiert und dort ungeimpften Patienten angeboten. Oder man bittet Personen, die gegen Ende der Öffnungszeit bei einem Walk-In-Angebot erscheinen, am nächsten Tag wiederzukommen, um keine neuen Ampullen mehr öffnen zu müssen, die nicht aufgebraucht würden.
Weniger Impfdosen pro Vial könnten die Menge an entsorgtem Impfstoff verringern. Die Kantone haben diesen Wunsch beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) bereits seit längerem platziert. Das Thema sei «Diskussionsgegenstand mit den Impfstoffherstellern», schreibt das BAG auf Anfrage.