Aargauer Operationsfachfrau postet ihren Covid-Impfnachweis auf Facebook – mit ungeahnten Folgen

«Mit angsterfüllten Gesichtern werden die Patienten zu uns verlegt. Und ich bin hilflos. Unsere Hilfe ist nicht immer erfolgreich. Das wissen die Erkrankten genauso gut wie ich. Das versetzt mir Stiche ins Herz.» Diese ganz persönliche Aussage hat Operationsfachfrau Selina Baumgartner aus Meisterschwanden vor ein paar Tagen auf Facebook gepostet. Der Grund dafür waren verschiedene Reaktionen, welche Baumgartner auf ein Foto erhalten hat, das die Technische Operationsfachfrau am Kantonsspital Aarau (KSA) kurz zuvor auf dem gleichen Kanal veröffentlicht hatte. 

Das Bild zeigt die 27-Jährige mit dem Impfnachweis in den Händen, der belegt, dass sie sich gegen Covid-19 hat impfen lassen. Als Kommentar hat sie ein einziges Wort geschrieben: «Done», «gemacht».

Wegen Facebookpost angefeindet

Vergangene Woche wurde im Kanton Aargau mit einer breit angelegten Impfkampagne gestartet. Als KSA-Mitarbeiterin gehört Selina Baumgartner zu den ersten, welche sich freiwillig gegen das Virus impfen lassen konnten. Für Baumgartner stand ausser Frage, dass sie dies auch tun würde. Sie, die normalerweise im Operationssaal arbeitet, musste vor einiger Zeit den Arbeitsplatz innerhalb des KSA wechseln. Sie wird jetzt auf der Covid-Intensivstation benötigt. Dort ist sie tagtäglich mit jenen Menschen konfrontiert, «denen es richtig mies geht», wie sie sagt, Menschen, die oft mit dem Leben ringen.

Anfeindungen in dieser Form nicht erwartet

Womit Selina Baumgartner allerdings nicht gerechnet hatte, waren die teilweise heftigen Reaktionen, welche ihr Facebook-Fotopost auslöste. Viele wohlwollend, andere weniger, weitere gar beleidigend. Anstandsgrenzen wurden überschritten. In den öffentlichen Posts wurde ihr der Stinkefinger gezeigt, die persönlichen Nachrichten gingen viel weiter, erzählt sie. «Es wurden dabei Äusserungen gemacht, die mich regelrecht schockiert haben.» Anfeindungen in dieser Form habe sie nicht erwartet. Es sei nicht ihre Absicht gewesen, belehrend zu wirken.

Psychische Belastung kommt zur physischen hinzu

Mit ein Grund, weshalb Selina Baumgartner sich impfen liess, sei, erklärt sie auf Facebook: «Freunde, ich kann euch sagen: Das Virus ruft eine ganz, ganz schlimme Krankheit hervor. Ich habe sie jeden Tag vor Augen. Deshalb impfe ich mich.» Dass das Virus in gewissen Kreisen jedoch immer noch verharmlost werde, mache ihr, die in ihrer täglichen Arbeit grosses Leid und Trauer erlebe, sehr zu schaffen.

Zur physischen Belastung hinzu kommt die psychische. Wenn man Angehörige erlebe, die laut weinen, flehen und beten, so gehe das nicht spurlos an einem vorbei, sagt sie. Die langen intensiven Arbeitstage und -nächte forderten unglaublich viel vom Pflegepersonal, erzählt Baumgartner. Die Zeit während der Weihnachtsfeiertage bezeichnet sie als «die schlimmsten Nächte in meinem Berufsleben. Da hat es mich manchmal derart durchgeschüttelt, dass ich vor Erschöpfung geweint habe.» Dabei sei sie nicht die Einzige gewesen.

«Auf der Bühne wieder die Rampensau rauslassen»

Aktuell verboten: Baumgartner als Sängerin auf der Bühne.

Aktuell verboten: Baumgartner als Sängerin auf der Bühne. © zvg

Operationsfachfrau Selina Baumgartner möchte Corona­skeptiker aufrütteln, nicht weiter wegzuschauen, sondern die Pandemie ernst zu nehmen. Nur wenn alle am gleichen Strick ziehen, könne das Virus bezwungen werden und mache ein geregeltes Leben wieder möglich. «Auch ich möchte in mein normales Leben zurückkehren. Ich möchte wieder auf der Bühne stehen mit meinen wunderbaren Musikerfreunden, die ich alle höllisch vermisse, und mit ihnen die Rampensau rauslassen», schreibt sie auf Facebook. Dort hat Selina Baumgartner Fotos gepostet, die sie als Sängerin auf der Bühne zeigen. Und sie möchte ihren Freund, der in München lebt, wieder einfacher treffen können.

Möchte baldmöglichst wieder nach Indien reisen

Sie möchte ihre Eltern endlich wieder umarmen können. Sie möchte mit Freunden auf ein Feierabendbier in eine Bar oder ein Restaurant gehen. Sie möchte wieder mehr Planungssicherheit in ihrem Arbeitsalltag, was seit dem Ausbruch von Corona nicht mehr möglich sei. Sie möchte ihre Ferien nicht mehr abbrechen müssen, weil ihre Kollegen sie im Spital benötigten. Und sie möchte baldmöglichst wieder nach Indien reisen können, wo sie in einem kleinen ausländischen Team von Fachspezialisten ehrenamtliche Einsätze leistet und kranken Menschen die notwendige Operation ermöglicht. Dafür setzt Baumgartner pro Jahr zwei bis drei Ferienwochen ein. «Dass wir all diese Freiheiten wieder erlangen, macht die Impfung möglich.» Davon ist Operationsfachfrau Selina Baumgartner überzeugt.