Ab morgen gilt «Einbahnverkehr» auf dem 1000er-Stägli am Born

Die Arbeitsgruppe besteht aus (v. l.) Fritz Sigrist, Bruno Zaugg, Berti Reichert, Guido Vonäsch, Hans Schürch und Rolf Wullschleger; auf dem Bild fehlt Neumitglied Bruno Muntwyler. Bild: Archiv bm
Die Arbeitsgruppe besteht aus (v. l.) Fritz Sigrist, Bruno Zaugg, Berti Reichert, Guido Vonäsch, Hans Schürch und Rolf Wullschleger; auf dem Bild fehlt Neumitglied Bruno Muntwyler. Bild: Archiv bm
Infos für die Stägli-Benutzer (Bild: BM)
Infos für die Stägli-Benutzer (Bild: BM)

Mit den neuen Freiheiten, die ab morgen Samstag, 6. Juni, gelten, ist die 1000er-Stägli-Sperrung, die mit der Kantonpolizei Solothurn abgesprochen und deren Nichteinhaltung rigoros geahndet wurde, Geschichte. Offiziell freigegeben wird der regionale «Fitness-Hotspot» morgen. Allerdings wird gebeten, nach dem Erklimmen der 1150 Stufen den Abstieg via Känzeli über den gut signalisierten Rundweg zu nehmen. Von der Stägli-Arbeitsgruppe angebrachte Einbahn­tafeln markieren die neue Situation deutlich. Einerseits will man mit dieser Massnahme das Kreuzen auf der schmalen Treppe vermeiden und andererseits auch für mehr Fairplay auf der «Himmelsleiter» sorgen.

Gesundheitsbewusstsein, Rücksichtnahme und Anstand sollte nach Ansicht der Leute, die die Bornstiege in Schuss halten, vor dem Fitnessdrang herrschen. Guido Vonäsch vom Unterhaltstrupp, Wortführer und Verbindungsmann zu den Förstern und zur Ortsbürgergemeinde Olten, bittet zudem alle, die rund ums Stägli unterwegs sind, den Born sauber zu halten: «Grillutensilien, Papiertaschentücher, leere Getränkeflaschen und Aludosen unbedingt mit nach Hause nehmen. Und denkt an die prekäre Parkierungssituation. Wenn immer möglich zu Fuss oder per Fahrrad anreisen. Dann hat der Körper genau die richtige Betriebstemperatur fürs 1000er-Stägli.»

Ein typisch schweizerisches Understatement

«Stägli» klingt harmlos, doch der Aufstieg ist happig. 1150 Stufen geht es hoch durch den Wald. Gradlinig und schnörkellos. 244 Meter Höhendifferenz auf einem halben Kilometer. Unten brettert der Verkehr über die A1, oben zwitschern die Vögel, und dazwischen hört man sein eigenes Keuchen. Die ersten Hüllen fallen, noch bevor 100 Stufen überwunden sind.

Wer den Kreislauf in Schwung bringen und erschlaffte Muskeln auf die Wandersaison vorbereiten will, ist hier richtig. Dabei war die Treppe nie als Spazierweg und schon gar nicht als Trainingsroute geplant. Als sie 1896 gebaut wurde, lag neben ihr die Druckleitung des Speicherkraftwerks Ruppoldingen. Die Treppe gewährte den Zugang.

Irgendwann wurde die Leitung nicht mehr benötigt und abgebaut. Dass aus der Stiege ein «Stägli» wurde, ist dem Aarburger Herbert Scheidegger, genannt «Born-Hörbi», zu verdanken. Der Arzt hatte ihm frische Luft und Bewegung verordnet – und so kam «Born-Hörbi» 1986 auf die Idee mit dem 1000er-
Stägli. In mehr als einem Jahr Arbeit schlugen er und seine Helfer die Tritte in den Berg – die alte Stiege war längst verlottert.

Hans Schürch, Mitglied der siebenköpfigen Arbeitsgruppe «Unterhalt 1000er-Stägli», machte anhand des Zählerstandes, gemeldet durch eine installierte Lichtschranke, folgende Rechnung: «Vom 1. Januar bis 31. Dezember 2019 gab es insgesamt über 150 000 Bewegungen. Zieht man die etwas mehr als ein Drittel Treppenabsteiger ab, die einen zusätzlichen Kontakt auslösen, dann ergibt das rund 90 000 Personen, welche die 1150 Stufen hinauf meisterten.»

Das 1000er-Stägli wird seit vielen Jahren von einem Freiwilligentrupp Woche für Woche und bei Bedarf mit zusätzlichen Einsätzen unterhalten. Unterhalten werden aber auch die verschiedenen Grillstellen und das Zick-Zack-Wegli. Die Arbeitsgruppe besteht aus Berti Reichert (89 Jahre alt), Hans Schürch (74), Bruno Zaugg (83), Fritz Sigrist (79), Guido Vonäsch (72), Rolf Wullschleger (71) und neu Bruno Muntwyler (65). Viel Lebenserfahrung und viel Berufserfahrung treffen da aufeinander. Die homogene Gruppe ist für das Stägli so etwas wie das «Lebenselixier». Der Massenandrang sorgt nämlich für eine enorme Belastung der Stufen. Ohne den Dauereinsatz der Freiwilligen wäre die Treppe in einem maroden Zustand. Abgenützte und von Witterungs­einflüssen beschädigte Stufen müssen laufend ersetzt, neu mit Armierungseisenstäben befestigt und mit Juramergel hinterfüllt werden. Noch eine einzige Stufe ist ein «Original von anno dazumal». Alle 100 Tritte zeigt ein Täfelchen an, wo man steht; zuoberst gibt es sogar verbalen Applaus: «Bravo!», lobt das letzte Schild.

Der Blick vom Känzeli reicht bis in die Alpen

Wer nach dem halbstündigen Aufstieg noch das Alpen­panorama betrachten möchte, geht oben links den gut beschilderten Weg. Nach wenigen Minuten erreicht man das Känzeli, einen Aussichtspunkt mit einer vom Rothrister Heimatverein gesponserten Panoramatafel und genialem Weitblick – bei ­optimaler Fernsicht bis in die Alpen.

Der 82-jährige Rothrister ­Dimitrios Ntinis, der das Stägli mehrmals pro Woche, manchmal mehrmals am Tag bezwingt, ist dankbar für die Arbeit des Unterhaltsteams: «Beim Treppensteigen fühle ich mich aktiv, spüre dabei insbesondere meine Beine und merke, dass ich meinem Körper damit etwas Gutes tue. Ausserdem kann ich die Ruhe oder Aussicht geniessen und auch dank der konzentrationsfördernden körperlichen Aktivität, die das Gehirn mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt, im Alltag profitieren.»

Herbert Scheidegger begann 1986 mit der Sanierung des Stäglis. Bild: Archiv Bruno Muntwyler
Herbert Scheidegger begann 1986 mit der Sanierung des Stäglis. Bild: Archiv Bruno Muntwyler

«Born-Hörbis» Vermächtnis

Dass die Bornstiege, die 1896 gebaut wurde und entlang der Druckleitung des einstigen Hochdruck-Speicherkraftwerkes Ruppoldingen führte, überhaupt begehbar ist, ist dem 2001 verstorbenen Aarburger Informatiker und Idealisten Herbert Scheidegger, alias «Born-Hörbi», zu verdanken. Scheideggers Idee, das 1000er-­Stägli zu sanieren, machte vorerst als Aprilscherz die Runde.

Am 1. April 1986 setzte er den ersten von insgesamt 1144 Holztritten in den steinernen Bornboden. Die 80 Zentimeter langen Rottannen- und Buchenspälten wurden mit 50 Zentimeter langen Armierungs- und Winkeleisen befestigt. Wie oft er mit seiner selbstgebastelten Transporthutte ins Basislager runterstieg, um neue Treppenstücke zu holen, das wusste er selbst nicht. Körperlich erging es ihm, der sich einer schweren Operation unterziehen musste, jedenfalls von Tag zu Tag besser.

Am 29. April 1987 hatten es Scheidegger und seine treuen Wegbegleiter geschafft, haute er doch persönlich die letzten beiden Armierungseisen für den damals 1144. Treppentritt in den Boden.

Die Hoffnung auf «Hörbis» vollständige Genesung war zu optimistisch: 2001 musste der liebenswerte Naturmensch die «Himmelsleiter» besteigen, als er vom Schöpfer für immer zu sich geholt wurde. (bm)